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Channel: Western – Remember it for later
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butch cassidy and the sundance kid (george roy hill, usa 1969)

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Wie seine titelgebenden Protagonisten nimmt BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID einen fast legendär zu nennenden Ruf für sich in Anspruch. 2003 wurde der Film von der US-amerikanischen Library of Congress als „culturally, historically or aesthetically significant“ in die United States Film Registry aufgenommen. Er war der größte Kassenerfolg des Jahres 1969 und rangiert derzeit immerhin auf Rang 34 der erfolgreichsten Filme aller Zeiten (nach Inflationsbereinigung). Besondere Auszeichnung erhielt das Originaldrehbuch von William Goldman, das seinerzeit zu einem von den Studios heiß begehrten Stück avancierte und schließlich von 20th Century Fox für 400.000 Dollar gekauft wurde. Es wurde dann auch mehrfach ausgezeichnet, wie der Film überhaupt zahlreiche Trophäen sammelte, unter anderem den Academy Award für „Best Cinematography“ für Conrad Hall, „Best Score for a Motion Picture (not a Musical)“ für Burt Bacharach und für den besten Song (“Raindrops keep falling on my head”). Für Robert Redford bedeutete die Rolle als Sundance Kid den endgültigen Durchbruch zum gefragten Star. Und das Finale, mit dem in einem Freeze Frame eingefrorenen Schussgefecht zwischen den in der Falle sitzenden Helden und der bolivianischen Armee, zählt zu den großen, ikonischen Szenen der Filmgeschichte und wurde etliche Male zitiert oder referenziert.

Warum ich das alles aufzähle? Weil BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID für einen Film mit diesem großen Erbe geradezu aufreizend leicht und flockig daherkommt – und überdies über eine recht ungewöhnliche Dramaturgie verfügt. George Roy Hills Film platziert sich sehr selbstbewusst an der Kreuzungslinie des traditionellen Hollywood-Abenteuerkinos und des gerade aufblühenden New Hollywoods mit seinen Alltagshelden und -geschichten. Es handelt sich bei BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID um einen Spätwestern, der sein Thema der Zeitenwende aber nicht mit bitterer Resignation behandelt, wie das etwa Sam Peckinpah in THE WILD BUNCH getan hatte, sondern mit lakonischem Humor und milder Melancholie. Wie Pike Bishop und seine Männer stürzen sich auch Butch Cassidy und Sundance Kid sehenden Auges in den Tod, aber ihre Haltung ist eine andere. Während das „Wild Bunch“ erkennt, dass es in dieser Welt keinen Platz mehr hat, und gemeinsam beschließt, sich mit einem lauten Knall zu verabschieden, sehen die Helden von Hills Film die Lage deutlich weniger dramatisch. Sie sind halt in eine Scheißsituation geraten – ein Risiko, das ihr Beruf mit sich bringt. Ihnen fehlt die Einsicht in die größeren Sinnzusammenhänge: nicht, weil sie dafür zu dumm wären, sondern weil sie die Welt generell einfach weniger ernst und wichtig nehmen. Jeder Weg ist irgendwann einmal zu Ende, das ist der normale Lauf der Dinge. Kein Grund, darüber in Verzweiflung zu geraten.

BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID ist eigentlich eine Schelmenkomödie und seine Protagonisten sind weniger zupackende Helden, als vielmehr vom Schicksal lange Zeit über Gebühr begünstigte Glückspilze, die allein kraft ihrer Unverzagtheit und grenzenloser Lebenslust so lange durchhalten, wie sie das tun. Während eines nicht unerheblichen Teils des Films sind sie passive Figuren und auf der Flucht: vor dem Gesetz, das durch einige sich in der Ferne abzeichnende Reiter verkörpert wird, mehr aber noch vor der Zeit, die für Outlaws, wie sie es sind, langsam, aber sicher abläuft. Die Frage, ob die beiden mit der Vermutung, bei ihren Verfolgern handle es sich um den gefürchteten indianischen Fährtenleser „Lord Baltimore“ und den gnadenlosen Gesetzeshüter Lefors, Recht haben, wird im Film weder beantwortet noch bekommt man die Verfolger überhaupt einmal aus der Nähe zu Gesicht. Sie bleiben eine anonyme, fast metaphysische Größe, eine nackte Manifestation des nahenden Endes, dem Butch und Sundance auch auf einem anderen Kontinent nicht entrinnen können. Auch in Bolivien, das Butch Cassidy sich als Schlaraffenland für Gauner erträumt, wird scharf geschossen, weiß die Polizei, was sie mit Dieben anzufangen hat. Einen Ausweg gibt es für die beiden Helden nicht, da liegt Hills Film ganz auf Linie der existenzialistischen Western Peckinpahs: Ausgerechnet der Versuch, sich durch ehrliche Arbeit Geld zu verdienen, endet damit, dass Butch seinen ersten Mord begeht, weil die beiden ihrerseits von Dieben überfallen werden. Sie können nichts anderes, als Banken auszurauben, und sie akzeptieren, dass dies die Tätigkeit ist, die für sie bestimmt ist. Auch wenn sie irgendwann unweigerlich in den Tod führt.

BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID ist ein auch heute noch ungewöhnlicher Film: Ungewöhnlich in seiner Verbindung von Elementen und Motiven des Westerns, des Historien- und Abenteuerfilms und der Komödie. Ungewöhnlich in seiner heiteren Stimmung, die auch durch den Tod seiner Helden nicht wirklich getrübt wird, weil die sich selbst die Laune nicht durch ihr nahendes Ende verderben lassen. Ungewöhnlich in seinem Handlungsverlauf, der über weite Strecken ihre Unbekümmertheit und in gewisser Hinsicht auch Blindheit in den Vordergrund rückt, statt ihrer tollkühnen Leistungen. Ungewöhnlich natürlich in seinem beschwingten Easy-Listening-Score, der nicht die Weite der Landschaft oder das Abenteuer betont, sondern die Geisteshaltung der Protagonisten, die in gewisser Hinsicht typisch für die Sechzigerjahre war. Auch wenn BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID im Kern eine traurige Geschichte erzählt, ist es ein positiver, hoffnungsfroher Film. Wenn man den Weg geht, den man gehen will, ist es egal, wohin er einen führt.



tom horn (william wiard, usa 1980)

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Die letzten Jahre von McQueens Filmkarriere verliefen gemessen an dem Status, den er innehatte, enttäuschend und problematisch. Nach dem Verweigerungsfilm und Megaflop AN ENEMY OF THE PEOPLE war der Star willens, “seinem” Publikum wieder einen “echten McQueen” zu geben, doch er war immer noch an First Artists gebunden, mit denen eine Zusammenarbeit schwierig war. Gemeinsam einigte man sich dennoch auf einen Film über den Westernhelden Tom Horn, ein Wunschprojekt McQueens. Horn war unter anderem ein Pinkerton-Detektiv und Fährtenleser gewesen, doch in die Geschichtsbücher ging er als der Mann ein, der wesentlich daran beteiligt war, den gefürchteten Apachen-Häuptling Geronimo zur Aufgabe zu bewegen. Später in seinem Leben arbeitete er für die Viehzüchter in Wyoming, die ihn zur Verteidigung ihrer Kühe gegen Viehdiebe einsetzten. Als er seiner Aufgabe etwas zu fleißig nachkam, schob man ihm den Mord an einem 14-jährigen Jungen in die Schuhe und verurteilte ihn zum Tode durch den Strang. Weil keiner der anwesenden Staatsbeamten als Scharfrichter antreten wollte, wurde eine mechanische Vorrichtung entwickelt, mit der Horn sich quasi selbst aufhängen konnte.

Die ersten Drehbuchentwürfe für TOM HORN entwickelten die Lebensgeschichte des Titelhelden als bildgewaltiges Epos  mit mehrstündiger Laufzeit. Doch es zeichnete sich recht schnell ab, dass First Artists für ein solches nicht das nötige Budget bereitstellen würde. McQueen, der Aussagen von Kollegen und Freunden zufolge ahnte, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb, hatte keine Lust, sich für das Projekt zu zerreißen und akzeptierte zähneknirschend jede Budget- und Drehbuchkürzung, die man an ihn herantrug. Auch die Suche nach einem geeigneten Regisseur gestaltete sich kompliziert: McQueens Favorit Don Siegel lehnte nach einigen Gesprächen ab, weil er nicht verstand, was McQueen eigentlich für ein Film vorschwebte. Auch Elliott Silverstein (A MAN CALLED HORSE) kam nicht auf einen gemeinsamen Nenner mit McQueen. James William Guercio (ELECTRA GLIDE IN BLUE) war ein weiterer Kandidat, wurde jedoch nach wenigen Drehtagen von McQueen gefeuert: Guercio hatte nur eine Regiearbeit vorzuweisen und damit von vornherein einen schweren Stand, aber er war wohl auch überfordert damit, einen Superstar zu handlen. Schließlich übernahm mit William Wiard ein Mann die Regie, der bis dahin lediglich für das Fernsehen gearbeitet hatte: McQueen stellte so sicher, dass er die Kontrolle über den Film behielt, der vom ambitionierten Historienepos mittlerweile zum kleinen, übersichtlichen 95-Minüter geschrumpft war, Das Box-Office-Ergebnis war einigermaßen verheerend: Niemand wollte zu jener Zeit einen Western sehen, schon gar keinen nachdenklichen, deprimierenden über einen Helden, der am Ende feige gehängt wird und noch nicht einmal bereit ist, sich entscheidend dagegen zu wehren.

Heute lässt sich hingegen sagen, dass die Enttäuschung von einst ein starker, weil ungewöhnlicher Film ist, der den melancholischen Spätwestern der Sechziger noch einen draufsetzt. McQueen brilliert als aus der Zeit gefallener Held, der seinen Zeitgenossen mehr als nur ein bisschen Angst macht. Er verkörpert eine Ära, die endgültig vorbei ist, die man als verklärtes Bild zwar gern hochhält, mit der man aber im “echten Leben” nichts mehr zu tun haben möchte. Von den vergangenen Heldentaten von Tom Horn erzählt man sich, doch der Mensch, der sie vollbracht hat, ist vor allem eine Bedrohung. Und Horn ist nicht der Mann, der sich auf dem Feld der Politik zu bewegen wüsste: Er ist, was er ist, und wenn man meint, ihn dafür hängen zu müssen, dann soll man das tun. TOM HORN erzählt wie eigentlich alle Spätwestern nicht nur von den Geburtswehen der USA, sondern auch von denen der Moderne: Weil diese Geburt immer mit Blutverlust einhergeht, nie sauber ist, sich die nachfolgende Generation erst von ihr “reinwaschen” muss, müssen auch die Geburtshelfer dran glauben. Tom Horn ist ein Bauernopfer: Er hat große Entwicklungen angeschoben, aber er selbst ist nur ein kleines Licht, das lang genug gebrannt hat. Von einem Film wie THE WILD BUNCH  unterscheidet sich TOM HORN durch den Mangel an trügerischer Romantik: Peckinpah gönnt seinen Helden – die wie Tom Horn auch von der Zeit überholt werden – einen Ausstieg nach Maß und nach den eigenen Regeln, er erlaubt ihnen, die Bedingungen ihres Untergangs selbst zu wählen und einige ihrer Feinde mit in die Hölle zu nehmen. Live by the sword, die by the sword. Diese poetische Gerechtigkeit ist Tom Horn nicht vergönnt: Er steht am Ende seinen feigen Henkern gegenüber, die noch nicht einmal bereit sind, sich selbst die Hände schmutzig zu machen.

TOM HORN ist ein schmerzhaft trauriger Film, von einer Nüchternheit, die niederdrückt. Kameramann Alonzo fängt die endlose Weite der Landschaft in Bildern ein, die klar machen, dass sie nur eine Illusion ist. Längst sind überall Grenzzäune errichtet, die Männern wie Tom Horn ein freies Leben unmöglich machen. Ein kleiner, aber verdammt großer Film.


john ford retrospektive

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John Ford. Ein Name, der eine fast ebenso mythische Qualität hat wie das Land, dem der Regisseur so viele seiner Filme gewidmet hat. Ein Mann, dessen Bedeutung sowohl für den Film als auch für die USA selbst kaum zu unterschätzen ist. Wenn man ein umfassendes historisches Verständnis der “siebten Kunst” anstrebt, ist die Beschäftigung mit ihm schon allein deshalb absolut unerlässlich. Viele der allergrößten Regisseure der Welt – Ingmar Bergman, Orson Welles, Frank Capra, Federico Fellini, Jean-Luc Godard, Alfred Hitchcock, Akira Kurowsawa, David Lean, Sergio Leone, Sam Peckinpah, Jean Renoir, Martin Scorsese, Steven Spielberg oder Francois Truffaut, um nur einige zu nennen – berufen und beriefen sich auf den Mann, der es liebte, sich mit einer Augenklappe selbst zu inszenieren, und die meisten sprechen mit Worten von seiner Meisterschaft, die über bloße Bewunderung oder eine affektive Bindung weit hinausgehen. John Ford ist mehr als nur einer von vielen “Meisterregisseuren”: Er hat ganz entscheidend dazu beigetragen, die Kriterien aufzustellen, nach denen diese Bewertung heute überhaupt vorgenommen werden kann. Um es plakativ zu sagen: John Ford hat nicht bloß Filme gedreht. Er hat die Kunstform selbst mitgeschaffen, zu einer frühen Reife geführt und den Maßstab gesetzt, an dem sich alle Regisseure, die nach ihm kamen, messen lassen müssen.

1894 unter dem Namen John Martin Feeney als zehntes Kind irischer Einwanderer in Maine geboren, folgte er nach dem Schulabschluss seinem 13 Jahre älteren Bruder nach Hollywood, wo der bereits erfolgreich als Regisseur und Schauspieler arbeitete. Nach einigen Jahren als Darsteller inszenierte Ford – noch unter dem Namen “Jack” – seinen ersten Kurz-Stummfilm 1917: THE TORNADO. Bis zu seinem ersten “Talkie”, NAPOLEON’S BARBER von 1928, folgten insgesamt 63 weitere Stummfilme, von denen ein Großteil (man spricht von 85 %) heute leider verschollen ist. Besonders erwähnenswert ist der 1924 entstandene THE IRON HORSE, vielleicht das erste Meisterwerk des Westerns, ein Film über den Bau der Eisenbahn und eine echte Mammutproduktion, an der über 5.000 Statisten beteiligt waren. Der Western sollte das Genre bleiben, mit dem John Ford am meisten assoziiert wurde – er selbst wird mit der Selbstbeschreibung zitiert “My name is John Ford and I make Westerns.” -, obwohl er in nahezu allen populären Genres (vielleicht mit Ausnahme des Musicals) gearbeitet hatte und dort große Erfolge erzielte. Seine insgesamt vier Oscars als Bester Regisseur erhielt er allesamt für Nicht-Western: 1936 für THE INFORMER, 1941 für GRAPES OF WRATH, 1942 für HOW GREEN WAS MY VALLEY und 1953 für THE QUIET MAN. Aber am bekanntesten sind wahrscheinlich Filme wie STAGECOACH, der 1939 eine Wiedererweckung des totgesagten Western bedeutete und John Wayne zum Star machte, MY DARLING CLEMENTINE, ein Film über den legendären Gunfight am OK Corral, die Kavallerie-Trilogie, bestehend aus FORT APACHE, SHE WORE A YELLOW RIBBON und THE HORSE SOLDIERS, THE SEARCHERS, die Gottwerdung des Genres und für viele der beste amerikanische Film überhaupt, und THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALANCE, eine Genrereflexion, die den paradigmatischen Satz enthält: “When the legend becomes fact, print the legend.” John Ford ist als Filmemacher aber nicht nur deshalb so faszinierend, weil er die Kunstform fast vom Start weg für sein ganzes Leben begleitete und darüber Dutzende namhafter Klassiker inszenierte, sondern weil seine insgesamt 145 Werke zählende Filmografie darüber hinaus zahlreiche weitere Entdeckungen verspricht.

Die schier überwältigende Größe seines Werks macht John Ford für mich allein schon zum Faszinosum. Dass es diesen Umfang erreichen konnte, liegt natürlich zum einen an den Umständen, unter denen damals produziert wurde. Die Nachfrage nach neuem Stoff seitens des Publikums war riesig und machte es möglich, dass Ford etwa im Jahr 1917, dem Jahr seines Debüts, zehn Filme drehen konnte (1919 waren es gar 14). Mit dem Einzug des Tonfilms verringerte sich das Pensum zwar, trotzdem produzierte Ford zwischen 1928 und 1945 kontinuierlich zwei bis drei Filme pro Jahr (1928 waren es fünf). Man kann sich vielleicht vorstellen, welches Maß an Routine und technischer Sicherheit Ford so gewann, welches Wissen er anhäufte, welche Flexibilität er erlangte, dass es kaum ein filmisches Problem gab, für das er keine Lösung parat hatte. Dass er in einem Interview lapidar behaupten konnte, es sei “easy”, Filme zu drehen, ein Kinderspiel geradezu im Vergleich zu anderen Tätigkeiten, war keine Angeberei. Offensichtlich hatte da ein natural seine Berufung gefunden und was ihm nicht in den Schoß gefallen war, das erwarb er nach dem Prinzip learning by doing. Man stelle sich das vor: Als Ford 1939 STAGECOACH inszenierte, mit THE SEARCHERS möglicherweise sein berühmtester Film, da hatte er bereits 94 Filme gedreht (zum Vergleich: Scorseses Filmografie umfasst derzeit 23 Spielfilme). Und als er mit dem Meisterwerk fertig war, da machte er einfach weiter, ohne jedes Anzeichen kreativer oder körperlicher Erschöpfung. Im Gegenteil hatte er noch so viel Energie, zwei weitere Filme zu drehen, die Cineasten in Verzückung geraten lassen: YOUNG MR. LINCOLN und DRUMS ALONG THE MOHAWK.

Ich gehe schon seit einiger Zeit schwanger mit der Idee, mich John Fords Schaffen systematisch und ausdauernd zu widmen. Das, was dieses Projekt für mich so reizvoll macht, der erwähnte Umfang, ist natürlich auch ein Hindernis. In den letzten Wochen habe ich fleißig gesammelt und so viele Filme des Meisters zusammengetragen, dass der Begriff der “Werkschau” keine Anmaßung mehr ist. Derzeit stehen 65 Filme auf meiner Liste, darunter zahlreiche Stummfilme, alle Klassiker, einige eher unbekannte Titel sowie die Dokumentationen, die Ford während des Zweiten Weltkriegs drehte. Gut möglich, dass die Liste noch um den ein oder anderen Titel erweitert wird, aber allzu viel sollte da nicht mehr kommen. Klar, dass es sich bei der Ford-Retrospektive um ein längerfristiges Projekt handelt. In Akkordarbeit 60 bis 70 Filme zu schauen, halte ich für wenig erstrebenswert und sinnvoll. John Ford wird mich und die Leser meines Blogs also einige Wochen und Monate begleiten. Damit es nicht langweilig wird und die Synapsen zwischendurch mal ordentlich durchgelüftet werden, werde ich einige Pausen einbauen oder natürlich auch andere Sachen einstreuen. Ich verspreche mir von der ganzen Sache nicht nur, mir einen der wichtigsten Filmemacher überhaupt zu erschließen, sondern auch, mein Wissen über Film und Filmgeschichte generell entscheidend zu erweitern. Und selbstverständlich viele unvergessliche Filme.


the big country (william wyler, usa 1958)

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The_Big_Country-609819729-large“It’ s a big country.” Diesen Satz sagen die Charaktere des Films immer wieder, fast mantraartig wiederholen sie ihn. Er ist durchaus ambivalent, bedeutet einerseits, dass es viel Platz gibt für die unterschiedlichsten Menschen mit den unterschiedlichsten Lebensentwürfen, besagt andererseits, dass in diesem weiten Land auch viel passieren kann, von dem niemand Notiz nimmt. “Das nächste Sheriff-Büro ist 200 Meilen weit entfernt, man muss seine Gesetze hier selbst machen.”, sagt Major Terrill (Charles Bickford) einmal. William Wyler zeigt das weite Land als endlose karge, von Horizont zu Horizont reichende Fläche, tabula rasa für die Verwirklichung der eigenen Träume, ein Land, das erst noch gefüllt werden muss, mit Bedeutung, mit Zukunft. Das einzige, was es hier noch mehr gibt als Land ist Himmel, doch der liebe Gott ist auffallend abwesend. THE BIG COUNTRY handelt vom Traum der Pioniere, die nach Westen zogen, aber auch von dem diesem Traum inhärenten Konfliktpotenzial: Wenn alle Menschen ihn verwirklichen wollen, muss es zu Problemen zwischen ihnen kommen, und die Findung eines Kompromisses fällt schwer, wenn man mehrere tausend Meilen gereist ist, um keinen mehr machen zu müssen. Für den Protagonisten erfüllt sich die Utopie am Ende – wahrscheinlich zumindest. Aber THE BIG COUNTRY ist natürlich auch ein Film, der der US-amerikanischen Faszination für Waffen und Gewalt auf den Grund geht, zeigt, welches Dilemma das Herz der großen Nation bis heute zerreißt. Die größtmögliche Freiheit, nach der da gestrebt wird, ist gleichzeitig der Quell größter Unfreiheit. Die Flucht vor der als beengend empfundenen Zivilisation führt geradewegs in die nächste.

William Wyler vermeidet einen drögen Historienwestern, indem er sein Thema auf einer ganz konkret individuellen Ebene ansiedelt und spiegelt. Der Neuankömmling James McKay (Gregory Peck), ein wohlhabender Schiffskapitän von der Ostküste, der in den Westen kommt, um Patricia (Carroll Baker), Tochter des reichen Großgrundbesitzers Terrill zu heiraten, sieht sich Vorurteilen und Anfeindungen ausgesetzt, weil er sich nicht den vorherrschenden Regeln beugen will. Er wird am Ende triumphieren, weil er nicht einem gerade nicht das tut, was ihm die Konvention diktiert, sondern nur das, was er selbst für richtig hält. Während Terrill seit Jahrzehnten mit dem heruntergekommenen Hannassey-Clan um Wasserrechte für die Viehherden im Clinch liegt, wie sein Gegenüber (Burl Ives) nicht bereit ist, auch nur einen Fußbreit zurückzuweichen, und so einen handfesten Krieg vom Zaun bricht, kann McKay das große Ganze sehen und eine Entscheidung im Sinne des Gemeinwohls treffen. Gregory Peck, der häufiger in der Rolle des für weich gehaltenen Kopfmenschen zu sehen war (man denke an Robert Mulligans TO KILL A MOCKINGBIRD), lässt seinen James McKay häufig seinen Gedanken nachhängen, reflektieren, seine nächsten Züge überdenken. Anders als Terrill schwingt er keinen großen Reden, um sich selbst zu inszenieren, aber alles, was er sagt und tut, hat Hand und Fuß. So betrachtet er den wilden Hengst Thunder – den zu reiten ihm der Cowboy Steve Leech (Charlton Heston) zu Beginn vorgeschlagen hat, natürlich mit dem Hintergedanken, den “eitlen Stadtmensch” im Dreck landen zu sehen und ihn so zurechtzustutzen – lange Zeit, als wollte er sein Verhalten studieren, bis er es dann wagt, sich auf den Sattel zu schwingen. Er ruht ganz in sich, weiß stets genau, was er will, ohne diese Selbstsicherheit demonstrativ vor sich her zu tragen. Gerade das wird ihm als Schwäche ausgelegt, weil der Schein im Wilden Westen von immenser Bedeutung ist. Nicht nur, um Halsabschneider wie die Hannasseys abzuschrecken, sondern weil die Existenz im Pionierland gewissermaßen Wunscherfüllung ist. Wer hier bereits mit sich zufrieden ist, muss den anderen suspekt sein.

THE BIG COUNTRY verfügt, ganz ähnlich wie der zuletzt gesehene RIO BRAVO, über ein Inventar faszinierender Charaktere, das seine Handlung diktiert. Charles Bickford ist wunderbar hassenswert als Patriarch, der jeden Vorwand nutzt, um einen Lynchmob gegen seine Erzfeinde anzuführen. Carroll Baker ist in der Rolle seiner ihm treu ergebenen Tochter kaum weniger schlimm. Sie kündigt ihrem Verlobten auf der Stelle die Treue, als der sich weigert, sich mit dem vor Zorn (und Eifersucht) brodelnden Leech zu prügeln. Überhaupt Heston: Hier sieht man, dass er in Schurkenrollen möglicherweise besser aufgehoben gewesen wäre, als immer wieder den lustfeindlichen, grimmigen Helden zu geben. Burl Ives gewann als Vater des Hannassey-Clans zwar einen Oscar, aber seine Darbietung ist tatsächlich am wenigsten gut gealtert, voller theaterhafter Monologe, die seiner Wirkung etwas im Weg stehen. Ganz anders Chuck Connors als sein rüpelhafter Sohn Buck: Seine widerspenstige Haartolle macht die Figur, gibt dem Raubein diesen Hauch verwundbarer Jungenhaftigkeit, lässt sein tragisches Ende umso bitterer erscheinen. Jean Simmons verblasst in ihrem – zugegebenermaßen undankbaren – Part etwas: Sie äußerte sich Jahre nach dem Film, dass es ihr unter den herrschenden Umständen – es gab während der Dreharbeiten zahlreiche Drehbuchmodifikationen – unmöglich war, eine gute Leistung abzuliefern. THE BIG COUNTRY war eine schwierige Produktion, bei der sich die guten Freunde Peck und Wyler schwer verkrachten und anschließend Jahre brauchten, um sich wieder zu versöhnen. Es ist bemerkenswert, dass man dem fertigen Film nichts davon anmerkt. Er ist schlicht makellos, grandios geschrieben, gespielt, fotografiert und inszeniert, ein Film für die Ewigkeit im wahrsten Sinne des Wortes. Seine Botschaft sollten sich die Menschen auch heute noch zu Herzen nehmen.

 


der letzt mohikaner (harald reinl, italien/spanien/deutschland 1965)

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Als erster und – trotz wohlwollender Publikums- und Kritikerreaktionen – auch letzter Film einer nach dem bahnbrechenden Erfolg von Reinls DER SCHATZ IM SILBERSEE neben den Karl-May-Filmen von der Constantin geplanten Reihe von Western, ist DER LETZTE MOHIKANER deutlich härter und auch amerikanischer als die schwelgerischen Epen nach Vorlage des deutschen Romanciers aus Radebeul. Reinl, zu seiner Zeit ohnehin einer der wenigen deutschsprachigen Regisseure, die sich auf die Inszenierung von Action verstanden, drehte einen erstklassigen Verfolgungs- und Belagerungswestern, verlegte die Handlung des berühmten Romans von James Fenimore Cooper vom 18. ins 19. Jahrhundert, von den Waldgebieten im Osten in eine typisch felsige Wildwestkulisse. Die drei Hauptstränge der Handlung führt er mit großer Könnerschaft und stetigem Spannungsaufbau auf das explosive Finale, das sichtlich von Altmeistern wie Howard Hawks inspiriert ist. Lediglich in der Figurenzeichnung der Titelfigur, dem Indianer Unkas (Daniel Martin) und seinem treuen Freund Falkenauge (Anthony Steffen), zeigen sich deutliche Parallelen zu den Winnetou-Filmen: schon allein deshalb, weil beiden dieselben Synchronsprecher zugeteilt wurden. Aber auch sonst erinnert Unkas’ Art, mit den Augen einen Punkt hinter dem Horizont zu fixieren und in poetischen Bildern zu sprechen an den berühmten Apachenkollegen. Es stört nicht weiter, weil “der letzte Mohikaner” von Cooper ja schon im Titel als tiefromantische Figur angelegt worden war, als Zeichen einer untergehenden, naturverbundenen Kultur und einer gewissen wilden Unschuld, die die weißen Siedler dabei waren, endgültig zu zerstören.

Doch eigentlich bleibt diese Hauptfigur ein Nebenaspekt in einem sehr geradlinig auf den finalen Showdown zulaufenden Film, dem sehr viel mehr an der historischen Realität als an einer märchenhaften Utopie gelegen ist, wie sie die Karl-May-Filme verkörperten. Schon die unwirtliche Felsenlandschaft der andalusischen Tabernas-Wüste markiert einen gewaltigen Unterschied zu den saftig-grünen, mit leuchtend weißen Felsen gesprenkelten Wiesen Jugoslawiens, und Karin Dors Cora gibt gleich mehrfach zu verstehen, wie grausam dieses Land sei. Die Menschen sterben hier deutlich weniger glamouröse oder auch nur dramatische Tode, sie beißen eben ins Gras, und das in stattlicher Zahl, ohne dass sie noch einem Blutsbruder den letzten Gruß ins Ohr hauchen könnten, und selbst, wenn die Bösewichte am Ende besiegt oder wenigstens in die Flucht geschlagen werden, stellt sich nicht die Euphorie des Triumphes ein. DER LETZTE MOHIKANER endet mit dem sinnlosen Tod desselben, ein unmissverständliches Zeichen dafür, das jede Hoffnung auf einen Sieg der Vernunft, auf eine gleichberechtigte Koexistenz nicht nur zwischen Weißen und Indianern, sondern zwischen Menschen jeglicher Herkunft, vergebens ist. Ein starker Film, der eine wertvolle Ergänzung und einen wirkungsvollen Kontrapunkt zu den Karl-May-Filmen bildet.

 

 


terza visione 2: il ritorno di ringo (duccio tessari, italien/spanien 1965)

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ritorno_di_ringo_giuliano_gemma_duccio_tessari_005_jpg_xrjmEin Beispiel für die vielen filmischen Schmankerl und Liebesdienste, die dem Besucher in Nürnberg – sei es beim Terza Visione oder den Hofbauer-Kongressen – geboten werden: IL RITORNO DI RINGO, der in Deutschland in zwei unterschiedlichen Fassungen ur- und wiederaufgeführt wurde, wurde für diese Aufführung in einer mit beträchtlichem Aufwand rekonstruierten Version gezeigt. Um die bestmögliche Bildqualität zu bieten, wurde die leicht gekürzte deutsche Fassung, die in einer sehr gut erhaltenen Kopie vorlag, mittels einer ungeschnittenen, leider aber rotstichigen Fassung vervollständigt. So kamen die Besucher in den Genuss des intakten Films, ohne dabei allzu große Einschränkungen hinnehmen zu müssen. Tessaris Film hat es verdient, denn er gehört ohne Zweifel zu den stärksten und ungewöhnlichsten Filmen seines Genres.

Die Geschichte ist ein Amalgam aus Corbuccis DJANGO und Leones PER UN PUGNO DI DOLLARI: Ein namenloser Soldat (Giuliano Gemma) kommt aus dem Krieg nach Hause und erkundigt sich nach einem Ringo, der im Nachbarort Mimbres leben soll. Er erfährt, dass Ringo gefallen sei und dessen Gattin nun kurz vor der Eheschließung mit einem Sohn des schurkischen Esteban Fuentes (Fernando Sancho) stehe, der Mimbres ganz in seiner Gewalt hat. Der Soldat – von dem wir ahnen, dass es sich um jenen Ringo handelt – verkleidet sich als Mexikaner und begibt sich nach Mimbres, um seine Gattin, seinen Grundbesitz und seine männliche Würde zurückzuerobern und den Ort von den Verbrechern zu befreien.

Wie Christian Kessler in seinem Italowestern-Buch “Willkommen in der Hölle” richtig schreibt, handelt es sich bei IL RITORNO DI RINGO um eine Art Westernvariante der alten Odysseus-Geschichte. Es ist mithin kaum verwunderlich, dass Tessaris Film eher dem mythisch Überhöhten statt dem Kurzweilig-Knalligen verpflichtet ist. Ringo ist wie ein Geist, der noch einmal die Gelegenheit bekommt, sich anzusehen, was von seiner alten Existenz übrig geblieben ist: nichts. Wenn im weiteren Verlauf des Films der Wunsch nach Rache in ihm heranreift, bekommt IL RITORNO DI RINGO eine heftige Schlagseite zum psychosexuellen Drama. Kämpft Ringo wirklich um seine alte Liebe oder geht es ihm nicht doch nur darum, seine Autorität als Kerl wiederherzustellen, seine Kastration rückgängig zu machen und seinen alten Platz als Alphamännchen von Mimbres wieder einzunehmen? Man weiß es nicht genau, das Schlussbild, dass eine naive Herzchenzeichnung zeigt, in der einige Messer stecken, ist vielseitig intepretierbar, lässt durchaus die Möglichkeit offen, dass hier längst nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist. Mal ganz davon abgesehen, dass Ringo mit seinen Helfern ein wahres Massaker unter den Fuentes angerichtet hat.

Auch wenn IL RITORNO DI RINGO mit seinem ausgedehnten Showdown am Schluss in recht genreübliche Bahnen gelenkt wird, bleibt doch der Eindruck eines besonderen Vertreters des Italowesterns. Duccio Tessari inszeniert überaus geduldig, fast zärtlich ist es, wie er seinen Helden bei der Hand nimmt, und ihn an seine alte Wirkungsstätte führt. Mimbres entpuppt sich weniger als Höllenloch denn als Jenseitsort, durch den ständig ein Windhauch zieht, der herumliegendes Heu mit sich trägt; die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm hat sich dort breitgemacht. Der erste Höhepunkt des Films ist die Wiederbegegnung von Ringo und seiner Ehefrau, bei der die alte, tot geglaubte Liebe sofort zu neuem Leben erwacht: ein Moment, der sich dank Ennio Morricones Score in nicht für möglich gehaltene emotionale Höhen emporschwingt. Später, während der wüsten Schlussballerei, gibt es ebenfalls einen wunderschönen, ruhigen und abgründigen Moment, wenn sich der verwundete Held von seiner kleinen Tochter die Waffe laden lässt und die Ruhepause nutzt, das Eis mit einem kleinen Scherz zu brechen. In diesen Szenen fällt die Maske des Nihilismus, hinter der der Italowestern sein wahres Gesicht oft verbarg, und entpuppt sich darunter als hoffnungslos sentimental und melancholisch. Ein Jahrhundertfilm, den auch die deutsche Synchro, die irgendwann anfängt, dem Helden idiotische One-Liner in den Mund zu legen, nicht kaputt bekommen hat.


the magnificent seven (john sturges, usa 1960)

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kfHuiowDie Lektüre des Buches “Steve McQueen: Portrait of an American Rebel” hat mich dazu inspiriert, dem Superstar, meisterhaften Minimalisten und reactor hier in den nächsten Wochen und in loser Folge eine kleine Reihe zu widmen. Viele seiner Filme kenne ich noch gar nicht, andere haben mal wieder eine Auffrischung verdient. Mit den neu angelesenen Informationen im Hinterkopf erhoffe ich mir außerdem auch neue Erkenntnisse. Ich war nämlich einigermaßen überrascht über McQueens Lebenslauf: Da er für mich die idealtypische Verkörperung männlicher Autorität und natürlich der viel beschworenen Coolness ist, hatte ich angenommen, dass der Superstar auch in seinem Leben ein Musterbeispiel für jene straightness gewesen sei, die er auf der Leinwand so unnachahmlich verkörpert. Stattdessen erfuhr ich, dass der Mann, der als Kind von seiner wenig verantwortungsbewussten Mutter hin und hergeschoben worden war, eine Vergangenheit als Gangmitglied und Jugendstraftäter hatte und seine Jugend zum Teil in einem Heim für schwer Erziehbare verbrachte, aufgrund seiner geringen Bildung unter großen Minderwertigkeitskomplexen litt und mehrere Anläufe benötigte, um sich als Schauspieler zu etablieren. Kurz gesagt: Steve McQueen war nicht gerade prädestiniert dazu, ein Künstler zu werden, noch weniger der bestbezahlte Schauspieler seiner Zeit. Diese eiskalte Autorität, die man mit ihm verbindet, war weniger die Folge eines großen Selbstbewusstseins als jener für ihn einst überlebenswichtigen street wisdom, dem Wissen, dass einem nichts geschenkt wird und der Gegner jedes Anzeichen von Angst oder Schwäche sofort auszunutzen bereit ist.

Als John Sturges ihn für die Rolle des Vin in seiner Bearbeitung von Kurosawas SHICHININ NO SAMURAI besetzte, hatte McQueen es bereits in New York am Broadway versucht und in mehreren Fernsehproduktionen und Spielfilmen mitgewirkt, die Macher dabei stets von seinem natürlichen Talent und seiner Präsenz überzeugen können, aber letztlich die nötige Disziplin vermissen lassen – oder einfach Pech mit seiner Rollenwahl gehabt. Der erste Schritt zum Erfolg war die Hauptrolle in der Westernserie WANTED: DEAD OR ALIVE, in der McQueen den Kopfgeldjäger Josh Randall spielte und Macher wie Zuschauer gleichermaßen mit seiner Detailversessenheit sowie seinem Sinn für Realismus und Authentizität beeindruckte. Die Wege von McQueen und Sturges kreuzten sich zum ersten Mal 1959, als der damals bereits 29-Jährige eine Nebenrolle in dem Sinatra-Vehikel NEVER SO FEW mit Leben füllte. Das Angebot des Megastars, fortan als festes Mitglied seines Rat Packs zu reüssieren, schlug McQueen mutigerweise aus: Er wollte nicht, dass man seine Karriere später auf die Gefälligkeit eines mächtigen Freundes zurückführte, sondern es aus eigener Kraft schaffen. Mit 30 Jahren und festgelegt auf eine Fernsehrolle, die damals nur selten eine große Filmkarriere nach sich zog, war THE MAGNIFICENT SEVEN mithin die Chance, die McQueen unbedingt nutzen musste. Das Problem: Er war nicht der einzige hungrige Jungschauspieler am Set und auch nicht der einzige, der wusste, dass er aus dem Schatten des großen Yul Brynner heraustreten musste, wenn er die Aufmerksamkeit des Zuschauer gewinnen wollte. Marshall Terrill, der Autor des oben genannten Buches, erzählt einige amüsante Anekdoten vom Konkurrenzkampf, der infolgedessen unter den Darstellern entbrannte, von den Bemühungen der Co-Stars, Brynners Szenen zu “stehlen”, die eigene Position durch kleine Tricks zu verbessern. So soll McQueen, der durch seine Vergangenheit wusste, wie man mit einem Revolver umgeht, Brynner auf Nachfrage eine sehr einfache Methode beigebracht haben, die Waffe zu ziehen, um mit der eigenen, deutlich elaborierteren Technik besser auszusehen. Als Brynner davon erfuhr, versuchte er wiederum McQueen davon zu überzeugen, vom Revolver auf ein Gewehr umzusteigen: Ein Schachzug, auf den McQueen allerdings nicht hereinfiel, sehr zum Ärger Brynners. McQueen machte sich bei seinen Kollegen nicht unbedingt beliebt: Er war immer darauf bedacht, gut wegzukommen, wusste genau, wenn eine Regieanweisung oder ein Szenenaufbau ihm zum Nachteil gereichte und intervenierte dann auch zu Ungunsten seiner Mitstreiter. Er folgte einem strengen Karriereplan und wenn er auch keinen hohen Bildungsgrad hatte, so besaß er eben jene Schläue, die seinen Erfolg begünstigte und seinen Aufstieg zum Weltstar ermöglichte.

Um von McQueen den Übergang zum größeren Ganzen, Sturges’ Film, zu schaffen: Jene Strategie, auf die McQueen zurückgeworfen war, Szenen, in denen er eigentlich nur “Beiwerk” für den eigentlichen Star war, durch kleine Gesten und hingeworfene Improvisationen an sich zu reißen, ist nicht nur charakteristisch für seinen Stil, sie passt zu THE MAGNIFICENT SEVEN wie die Faust aufs Auge. Betrachtet man den Film nämlich aufmerksam, so fällt auf, wie wenig er mit Dialogen erzählt, stattdessen funktioniert er fast ausschließlich über seine Charaktere, und die Handlung entwickelt sich ganz logisch aus ihnen heraus, ohne dass große Exposition betrieben werden müsste. Das ist umso bemerkenswerter, als THE MAGNIFICENT SEVEN von den drei großen Ensemble-Spektakeln der Sechziger (die beiden anderen sind THE GREAT ESCAPE und THE DIRTY DOZEN) der mit Abstand kürzeste ist, mithin am wenigsten Zeit hat, seine Hauptfiguren umfassend zu charakterisieren. Horst Buchholz bekommt als junger Heißsporn Chico recht viel Platz, alle anderen haben nur wenig Gelegenheit, ihre Figuren zum Leben zu erwecken. McQueen hat zudem eine nur wenig profilierte Rolle, keinen echten “arc”, den er durchlaufen würde: Trotzdem ist es sein Vin, der als lebendigster Charakter in Erinnerung bleibt. Er erreicht das lediglich durch wohldosierte Bewegungen, Mimik, Blicke und seine Körperhaltung. Gleich zu Beginn, wenn er neben Brynners Chris den Platz auf dem Kutschbock einnimmt, benutzt er seinen Hut als Sonnenschutz, prüft, wo die Sonne steht und von wo er in der möglicherweise folgenden Konfrontation geblendet werden könnte. Überhaupt spielt sein Hut eine wichtige Rolle. David Morrell, Autor des Romans “First Blood”, für dessen Verfilmung McQueen in den Siebzigerjahren im Gespräch war, bevor man ihn aufgrund seines bereits zu hohen Alters verwarf, bezeichnet den Hut gewissermaßen als Schlüssel zu McQueens Erfolg in THE MAGNIFICENT SEVEN. Allgemeiner könnte man sagen, dass McQueen dadurch die Aufmerksamkeit auf sich zieht, dass er nie einfach nur so dasteht, auch dann nicht, wenn er eigentlich nichts zu tun hat. Immer hat er etwas in der Hand, das er betrachtet, womit er spielt. Meist sind es nur Kleinigkeiten, nie wirkt es aufgesetzt oder aufdringlich, aber immer erzielt er damit eine Wirkung. Kritiker und Zuschauer sahen das genauso: Brynner war der nominelle Star des Films, aber McQueen war es, der den Menschen auffiel. Vielleicht steckt dahinter das erste kleine Zittern der Erde vor dem großen Beben namens “New Hollywood”, das die Traumfabrik am Ende des Jahrzehnts erschüttern sollte. Brynner ist noch ein Typ vom alten Schlage, sein Spiel breit ausgestellt, nicht so sehr vom Einfühlen in eine Rolle geprägt als vom Wissen um die eigene Persona. Mit seinem swagger (dieser Gang, der faustgroße Hoden in der zu engen Hose suggeriert!), der etwas theatralischen Art, mit der er den Mittelpunkt des Bildes besetzt und seine Zeilen deklamiert, wirkt er neben dem Understatement und der selbstbewussten Lässigkeit McQueens wie das Relikt einer vergangenen Zeit. Vin wird vom Drehbuch als eine Art Bruder im Geiste von Brynners Chris angelegt, aber hinter der vordergründigen Übereinkunft spürt man deutlich die Spannungen zwischen dem “Alten” und dem “Jungen”. Chris und Brynner wissen, dass ihre Zeit abläuft; noch können sie auf ihren Körper zählen, zehren zudem von dem Ruf, der ihnen vorauseilt, aber irgendwann werden die Muskeln versagen, die Sinne schwächer. Vin und McQueen nutzen noch den Windschatten des Erfahrenen, saugen auf, was sie von ihm lernen können,und sparen ihre Kräfte, für den Moment, in dem er die ersten Schwächen zeigt, um ihn dann gnadenlos hinter sich zu lassen. Bis dahin sollte es nicht mehr lange dauern. Als Burt Kennedy sechs Jahre später THE RETURN OF THE MAGNIFICENT SEVEN drehte, war Yul Brynner wieder zur Stelle. Steve McQueen hatte eine Wiederholung des Erfolgsfilms da schon nicht mehr nötig. Er war bereits zu neuen Ufern aufgebrochen und sollte einen Ruhm erreichen, der den Brynners weit überstieg.


nevada smith (henry hathaway, usa 1965)

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48481Direkt im Anschluss an THE CINCINNATI KID begannen für Steve McQueen die Dreharbeiten an NEVADA SMITH, der den als aufmüpfig und schwierig bekannten Star mit dem Hollywood-Veteranen Henry Hathaway zusammenbringen sollte. Hathaway, der dafür bekannt war, ein eisernes Regiment am Set zu führen, schuf die Basis für die Zusammenarbeit, indem er McQueen vor Drehbeginn unmissverständlich klar machte, dass er keine Marotten und Extrawürste duldete. McQueen genoss dennoch zahlreiche Vorzüge – Hathaway wusste, dass er seinen Hauptdarsteller nicht einsperren konnte und ihn bei Laune halten musste –, für Missstimmungen sorgte in erster Linie Hathaways Ablehnung jeglicher Improvisation. Seine Regieanweisungen waren Gesetz, und McQueen, der einen weniger rigiden Stil und größere Freiheiten bevorzugte, um seine Figuren zum Leben zu erwecken, fühlte sich oft eingeengt. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass NEVADA SMITH zwar ein weiterer Hit in seiner Filmografie wurde, McQueens Erfolgsserie fortsetzte und einen wichtigen Schritt auf seinem Weg zum Superstar markiert, seine Leistung bei den damaligen Kritikern aber keine besondere Wertschätzung erfuhr. NEVADA SMITH ist ein schöner Western, ein Vertreter jenes großen Hollywoodkinos, das Mitte der Sechzigerjahre schon im Sterben begriffen war, mit epischem Schwung erzählt und wunderbaren Landschaftsaufnahmen von Lucien Ballard, aber er zählt gewiss nicht zu den Filmen, mit denen man McQueen heute in erster Linie assoziiert.

NEVADA SMITH basiert auf einer Figur aus Harold Robbins’ Roman “The Carpetbaggers”, der 1964 von Edward Dmytryk mit dem 51-jährigen, unmittelbar darauf verstorbenen Alan Ladd als “Nevada Smith” verfilmt wurde, und ist eine Art Prequel zu diesem (das gab es also auch schon damals): Seine Hauptfigur, das Halbblut Max Sand (Steve McQueen), ein unerfahrener junger Mann, der weder schießen noch lesen und schreiben kann, heftet sich drei Männern (Karl Malden, Arthur Kennedy und Martin Landau) an die Fersen, die seine Eltern brutal ermordet haben. Auf der Jagd quer durch die USA trifft er verschiedene Menschen, und die Erfahrungen, die er in der Begegnung mit ihnen sammelt, lassen ihn Schritt für Schritt zum Mann heranreifen und seinem Ziel näherkommen. NEVADA SMITH vereint in seiner Geschichte Elemente klassischer antiker Heldenmythen (die Reise mit ihren verschiedenen Stationen), des Schelmenstückes (das linkische Verhalten Max’, der damit dennoch überall durchkommt), des Bildungsromans (die Entwicklung des Jungen zum Mann) und der Americana (die verschiedenen Orte und Kulturen, mit denen Max zusammentrifft). McQueens Rolle entspricht dabei der Filmpersona, die er zu jener Zeit für sich herausgearbeitet hatte und die eine Vorstufe zu dem coolen, supersouveränen Profi ist, den er ab THE THOMAS CROWN AFFAIR verkörperte. In NEVADA SMITH ist er der nicht besonders intelligente, dafür umso entschlossenere, aufmüpfige, respekt- und furchtlose Jüngling (obwohl McQueen damals schon 35 war – eine Parallele zu seinem “Teenager” aus THE BLOB), der durchaus autobiografische Züge trägt: McQueen wuchs ohne leiblichen Vater auf, wurde von seiner Mutter über weite Strecken seiner Kindheit und Jugend allein gelassen, arbeitete auf der Farm seines Onkels und sammelte seine Erfahrungen auf der Straße, die ihm dann auch Schwierigkeiten mit dem Gesetz und einen mehrjährigen Aufenthalt in einem Heim der “Boys Republic”, einer Anstalt für schwer erziehbare Jungs einbrachten. So wie McQueen im Laufe seiner Karriere “wachsen” sollte, vom räudigen Straßenköter zu einem Sexsymbol, vom Taugenichts zum bestbezahlten Schauspieler seiner Zeit, so reift auch Max. Zuerst sind es nur kleine Schritte, die er macht: Er lernt, dass man Fremden nicht unbedingt trauen sollte, wie man richtig schießt. Er begeht seinen ersten Rachemord, verliebt sich in die indianischer Prostituierte Neesa (Janet Margolin) und wird von ihrem Stamm gesund gepflegt. Auf der Suche nach dem nächsten Mörder verschlägt es ihn in ein Strafgefangenenlager in den Sümpfen Louisianas, aus dem ihm mithilfe des Cajun-Mädchens Pilar (Suzanne Pleshette) der Ausbruch gelingt, bei dem sie jedoch stirbt. Erstmals kommen ihm Zweifel an der Richtigkeit seiner Mission: Wird er nicht selbst zu dem, was er zu bestrafen sucht? Doch er hält an seinem Plan fest, auch als ihm ein Mönch (Raf Vallone) ins Gewissen redet. Bis er den letzten Killer, Tom Fitch (Karl Malden), wehrlos vor sich stehen hat.

NEVADA SMITH hangelt sich an allen wesentlichen Plotmarkern des Rachefilms entlang und führt seinen Protagonisten auf seiner Reise gewissermaßen ans Licht der Erkenntnis. Der kaltblütige Rachemord ändert nichts, er verschmutzt letztlich nur die eigene Seele. Doch so wirkungsvoll die Schlussszene mit den an Max’ abprallenden Verfluchungen des verwundet zurückgelassenen Mörders auch ist: Nach zwei Stunden endet Hathaways Film damit lediglich genau so, wie man das von Beginn an vorausgesehen hat. NEVADA SMITH verfügt über eine nur schwer zu fassende, bleierne Atmosphäre, die mit seinem beschwingten Erzähltempo und den prachtvollen Bildern seltsam über Kreuz liegt. Das ist durchaus interessant, aber trotzdem fehlt irgendetwas zum totalen Glück. Der Kern der Geschichte, die innere Entwicklung, die Max durchläuft, bleibt diffus, auch weil der Film es versäumt, den Ablauf der Zeit wirklich greifbar zu machen. Als am Ende gesagt wird, dass seit dem Mord an Max’ Eltern Jahre vergangen sind, war ich mehr als nur etwas verdutzt. Das alles wirkt, als spielt es sich innerhalb einiger Wochen ab (auch wenn es logistisch etwas schwierig gewesen wäre, die Strecke in dieser Zeit zurückzulegen). McQueen gelingt es hier beileibe nicht so eindrucksvoll wie in seinen anderen Filmen, seinen Charakter zu seinem eigenen zu machen. Was Max im Innersten antreibt, die Entwicklung, die er durchläuft, wird nie wirklich transparent. Max bleibt ein Mysterium, mal benimmt er sich wie ein dümmlicher Naivling, dann ist er wieder der eiskalte Profi, und es fiel mir als Zuschauer enorm schwer, mich zu ihm zu positionieren. Wir erfahren fast nichts über ihn. Der Film beginnt mit dem Mord an seinen Eltern (Lukas hat hier eine kleine Analyse der Sequenz veröffentlicht), und bevor wir noch eine Beziehung zu Max aufbauen können, befindet er sich bereits auf dem Kriegspfad, um zwei Menschen zu rächen, deren Beziehung zu ihm nie beleuchtet wurde. Dass man mit ihm mitfiebert, ist eher der Konvention geschuldet, als dem Charakter selbst. Auch die humanistische Botschaft, mit der der Film endet, ist zwiespältig: Max lässt Fitch zwar leben, doch von echter Gnade kann keine Rede sein. Und wohin es den Protagonisten nun verschlagen wird, bleibt ebenfalls völlig ungewiss. Man sieht keine Zukunft für ihn am Horizont. Bezeichnend, dass sein Name, der Name des Films, ein Pseudonym ist, dass er sich spontan ausdenkt, um Fitch über seine wahre Identität zu täuschen. Wer ist dieser Mann eigentlich? Das Menschliche tritt gegenüber der Größe des Landes, das eine Vielzahl austauschbarer Geschichten erzählt, völlig in den Hintergrund. Der Weg ist das Ziel, und in der beinahe mythischen Reise des Jungen durch das Land entfaltet NEVADA SMITH dann auch seinen Reiz, vor allem in der Louisiana-Episode, die McQueen zum zweiten Mal nach THE GREAT ESCAPE zum Ausbrecher macht (einige Jahre später vollendete er seine private Ausbrecher-Trilogie mit PAPILLON).

Interessant ist auch die editionsphilologische Frage: Die deutsche Fassung läuft ca. 125 Minuten, was 131 NTSC-Minuten entspricht, doch im Netz ist vielfach von 135 Minuten die Rede. Es existieren Szenenfotos von der Ermordung von Max’ Eltern, die suggerieren, dass deutlich mehr gedreht wurde, als man im Film zu sehen bekommt, aber konkrete Hinweise zu einer solchen “intakten” Fassung gibt es nicht.



a man called horse (elliott silverstein, usa 1970)

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A MAN CALLED HORSE stammt aus einer Zeit, als viele Filmemacher offensichtlich bemüht waren, das im Western über viele Jahrzehnte gezeichnete, oft klischierte Bild des Indianers einer Revision zu unterziehen. Innerhalb weniger Jahre entstanden Filme wie SOLDIER BLUE oder ULZANA’S RAID, die die amerikanischen Ureinwohner nicht als zu bezwingende Wilde zeichneten, sondern sie als Menschen Ernst nahmen und auch die Verbrechen, derer sich die weißen Eroberer an ihnen schuldig machten, in der gebotenen Härte darstellten.

Elliott Silversteins Film beruht auf einer Kurzgeschichte der Westernautorin Dorothy M. Johnson, von der auch die Vorlagen zu Fords THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALANCE und Delmer Daves THE HANGING TREE stammen, und wurde mit der Behauptung beworben, ein “authentisches Porträt” des Lebens der amerikanischen Ureinwohner zu zeichnen. Sein viel diskutiertes pièce de résistance ist die lange Sequenz, in der die Hauptfigur dem Initiationsritus des “Sonnentanzes” (im Original: “vow of the sun”) unterzogen wird. (A MAN CALLED HORSE war damit der erste Film, der die sogenannte “Flesh Hook Suspension” zeigte, ein Brauch, der heute noch in der “Modern Primitive”-Kultur gepflegt wird.) Bereits im Vorspann des Filmes wird auf diese Sequenz hingeweisen und mitgeteilt, dass der Brauch in den späten Jahren des 19. Jahrhunderts verboten worden sei: Schon hier tritt die Zwiespältigkeit des Films hervor: Auch wenn Silverstein sich bemüht, die Indianer nicht zu beäugen wie der Zoobesucher die vielfältigen animalischen Attraktionen, sondern stattdessen eine Innenperspektive einzunehmen, und er zahlreiche echte Indianer als Schauspieler und Berater engagierte, benötigt er dennoch den weißen Helden, der den Primitiven letztlich zeigt, wie der Hase läuft – und sein Love Interest wird auch noch von einer Griechin gegeben, Corinna Tsopei, die 1964 Miss Universum geworden war. Indianer-Vertreter und Aktivisten protestierten erwartungsgemäß lautstark und vehement gegen den Film. In ihrem Buch “The Only Good Indian: The Hollywood Gospel” von 1972 schrieben Ralph E. und Natasha A. Friar etwa:

“How to make an Indian movie. Buy 40 Indians. Totally humiliate and degrade an entire nation. Make sure all Indians are savage and ignorant. Satisfy Indian groups by seeking authenticity. Import a Greek to be an Indian princess. Introduce a white man to become an ,Indian’ hero. Make the white man compassionate, brave and understanding. Make the white man an ,Indian’ leader to save the souls of the weak. desecrate the Indian religion. Pocket the profits in Hollywood.”

Aber A MAN CALLED HORSE hatte nicht nur mit solchen ideologiekritischen Vorwürfen zu kämpfen, er musste sich auch ankreiden lassen, es in der Darstellung des indianischen Lebens nicht ganz so genau genommen zu haben, wie es angeblich sein Anspruch gewesen war. Zwar beriefen sich die Produzenten auf die Erfahrungsberichte des Malers, Autors und Indianerkenners George Catlin – seine Mutter und Großmutter waren während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges von Indianern entführt worden und prägten durch die so erworbenen Erfahrungen sein späteres Interesse am Leben der Ureinwohner, mit dem er sich auf zahlreichen Reisen intensiv auseinandersetzte –, doch warfen sie dabei einiges durcheinander: Die den Sioux zugeschriebenen Praktiken waren viel eher eine Verbindung von Bräuchen der Crow und Mandan, die mit den Sioux sogar verfeindet waren. Es half nichts, dass Clyde Dollar, der Historiker, der am Film beteiligt war, die Kritik als Ausdruck von Eifersüchtelei zwischen den verschiedenen Stämmen bewertete, die von den damaligen Gegebenheiten eh keine Ahnung hätten.

Es ist nahezu unmöglich, all diese Vorwürfe zu entkräften: A MAN CALLED HORSE ist tatsächlich ein “imperialistischer” Film, der die Menschen, die er seinem Publikum nahebringen will, doch wieder nur durch die verzerrte Brille des weißen Mannes betrachtet und sie in ein narratives Korsett zwängt, das eindeutig als “weiß” zu identifizieren ist. Die Naivität dieses Konzepts mit dem Aufstieg des tapferen Weißen zum Anführer und dem sein Schicksal teilenden Franzosen, der als sein Vertrauter und Helfer fungiert, ist mehr als 40 Jahre nach seinem Kinostart offensichtlich. Auch fällt die Selbstgerechtigkeit des Protagonisten unangenehm auf, der seinen Freund einmal tadelt, die Indianer auch nach über fünf Jahren des Zusammenlebens nur als seine Peiniger zu betrachten, aber selbst immer noch einen Dolmetscher braucht, um sich überhaupt verständigen zu können. Dieser Mangel einer verbalen Übereinkunft ist es auch, der am unangenehmsten nachhallt, und den Eindruck, da kommt ein Herrenmensch an und reißt mal eben, von oben herab Befehle erteilend, die Kontrolle des Ladens an sich, verstärkt. Aber all das ändert nur wenig daran, dass Silversteins Film für seine Zeit durchaus ambitioniert war und auch heute noch schön anzuschauen ist. Dass er über weite Strecken auf verständlichen, sprich: englischen, Dialog verzichtet, den Protagonisten verstummen lässt, ermöglicht tatsächlich, diesen Einblick in die andere Kultur. Die Naturaufnahmen und natürlich die “Sonnentanz”-Sequenz sind auch heute noch beeindruckend und Richard Harris als Wahlindianer eine echte Schau. Nur den Klassikerstatus, den der Film vielleicht einmal innehatte, kann man heute nicht mehr wirklich bestätigen, dafür ist dann doch zu viel ideologischer Sand im Getriebe.


butch cassidy and the sundance kid (george roy hill, usa 1969)

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Wie seine titelgebenden Protagonisten nimmt BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID einen fast legendär zu nennenden Ruf für sich in Anspruch. 2003 wurde der Film von der US-amerikanischen Library of Congress als „culturally, historically or aesthetically significant“ in die United States Film Registry aufgenommen. Er war der größte Kassenerfolg des Jahres 1969 und rangiert derzeit immerhin auf Rang 34 der erfolgreichsten Filme aller Zeiten (nach Inflationsbereinigung). Besondere Auszeichnung erhielt das Originaldrehbuch von William Goldman, das seinerzeit zu einem von den Studios heiß begehrten Stück avancierte und schließlich von 20th Century Fox für 400.000 Dollar gekauft wurde. Es wurde dann auch mehrfach ausgezeichnet, wie der Film überhaupt zahlreiche Trophäen sammelte, unter anderem den Academy Award für „Best Cinematography“ für Conrad Hall, „Best Score for a Motion Picture (not a Musical)“ für Burt Bacharach und für den besten Song (“Raindrops keep falling on my head”). Für Robert Redford bedeutete die Rolle als Sundance Kid den endgültigen Durchbruch zum gefragten Star. Und das Finale, mit dem in einem Freeze Frame eingefrorenen Schussgefecht zwischen den in der Falle sitzenden Helden und der bolivianischen Armee, zählt zu den großen, ikonischen Szenen der Filmgeschichte und wurde etliche Male zitiert oder referenziert.

Warum ich das alles aufzähle? Weil BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID für einen Film mit diesem großen Erbe geradezu aufreizend leicht und flockig daherkommt – und überdies über eine recht ungewöhnliche Dramaturgie verfügt. George Roy Hills Film platziert sich sehr selbstbewusst an der Kreuzungslinie des traditionellen Hollywood-Abenteuerkinos und des gerade aufblühenden New Hollywoods mit seinen Alltagshelden und -geschichten. Es handelt sich bei BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID um einen Spätwestern, der sein Thema der Zeitenwende aber nicht mit bitterer Resignation behandelt, wie das etwa Sam Peckinpah in THE WILD BUNCH getan hatte, sondern mit lakonischem Humor und milder Melancholie. Wie Pike Bishop und seine Männer stürzen sich auch Butch Cassidy und Sundance Kid sehenden Auges in den Tod, aber ihre Haltung ist eine andere. Während das „Wild Bunch“ erkennt, dass es in dieser Welt keinen Platz mehr hat, und gemeinsam beschließt, sich mit einem lauten Knall zu verabschieden, sehen die Helden von Hills Film die Lage deutlich weniger dramatisch. Sie sind halt in eine Scheißsituation geraten – ein Risiko, das ihr Beruf mit sich bringt. Ihnen fehlt die Einsicht in die größeren Sinnzusammenhänge: nicht, weil sie dafür zu dumm wären, sondern weil sie die Welt generell einfach weniger ernst und wichtig nehmen. Jeder Weg ist irgendwann einmal zu Ende, das ist der normale Lauf der Dinge. Kein Grund, darüber in Verzweiflung zu geraten.

BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID ist eigentlich eine Schelmenkomödie und seine Protagonisten sind weniger zupackende Helden, als vielmehr vom Schicksal lange Zeit über Gebühr begünstigte Glückspilze, die allein kraft ihrer Unverzagtheit und grenzenloser Lebenslust so lange durchhalten, wie sie das tun. Während eines nicht unerheblichen Teils des Films sind sie passive Figuren und auf der Flucht: vor dem Gesetz, das durch einige sich in der Ferne abzeichnende Reiter verkörpert wird, mehr aber noch vor der Zeit, die für Outlaws, wie sie es sind, langsam, aber sicher abläuft. Die Frage, ob die beiden mit der Vermutung, bei ihren Verfolgern handle es sich um den gefürchteten indianischen Fährtenleser „Lord Baltimore“ und den gnadenlosen Gesetzeshüter Lefors, Recht haben, wird im Film weder beantwortet noch bekommt man die Verfolger überhaupt einmal aus der Nähe zu Gesicht. Sie bleiben eine anonyme, fast metaphysische Größe, eine nackte Manifestation des nahenden Endes, dem Butch und Sundance auch auf einem anderen Kontinent nicht entrinnen können. Auch in Bolivien, das Butch Cassidy sich als Schlaraffenland für Gauner erträumt, wird scharf geschossen, weiß die Polizei, was sie mit Dieben anzufangen hat. Einen Ausweg gibt es für die beiden Helden nicht, da liegt Hills Film ganz auf Linie der existenzialistischen Western Peckinpahs: Ausgerechnet der Versuch, sich durch ehrliche Arbeit Geld zu verdienen, endet damit, dass Butch seinen ersten Mord begeht, weil die beiden ihrerseits von Dieben überfallen werden. Sie können nichts anderes, als Banken auszurauben, und sie akzeptieren, dass dies die Tätigkeit ist, die für sie bestimmt ist. Auch wenn sie irgendwann unweigerlich in den Tod führt.

BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID ist ein auch heute noch ungewöhnlicher Film: Ungewöhnlich in seiner Verbindung von Elementen und Motiven des Westerns, des Historien- und Abenteuerfilms und der Komödie. Ungewöhnlich in seiner heiteren Stimmung, die auch durch den Tod seiner Helden nicht wirklich getrübt wird, weil die sich selbst die Laune nicht durch ihr nahendes Ende verderben lassen. Ungewöhnlich in seinem Handlungsverlauf, der über weite Strecken ihre Unbekümmertheit und in gewisser Hinsicht auch Blindheit in den Vordergrund rückt, statt ihrer tollkühnen Leistungen. Ungewöhnlich natürlich in seinem beschwingten Easy-Listening-Score, der nicht die Weite der Landschaft oder das Abenteuer betont, sondern die Geisteshaltung der Protagonisten, die in gewisser Hinsicht typisch für die Sechzigerjahre war. Auch wenn BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID im Kern eine traurige Geschichte erzählt, ist es ein positiver, hoffnungsfroher Film. Wenn man den Weg geht, den man gehen will, ist es egal, wohin er einen führt.


tom horn (william wiard, usa 1980)

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Die letzten Jahre von McQueens Filmkarriere verliefen gemessen an dem Status, den er innehatte, enttäuschend und problematisch. Nach dem Verweigerungsfilm und Megaflop AN ENEMY OF THE PEOPLE war der Star willens, “seinem” Publikum wieder einen “echten McQueen” zu geben, doch er war immer noch an First Artists gebunden, mit denen eine Zusammenarbeit schwierig war. Gemeinsam einigte man sich dennoch auf einen Film über den Westernhelden Tom Horn, ein Wunschprojekt McQueens. Horn war unter anderem ein Pinkerton-Detektiv und Fährtenleser gewesen, doch in die Geschichtsbücher ging er als der Mann ein, der wesentlich daran beteiligt war, den gefürchteten Apachen-Häuptling Geronimo zur Aufgabe zu bewegen. Später in seinem Leben arbeitete er für die Viehzüchter in Wyoming, die ihn zur Verteidigung ihrer Kühe gegen Viehdiebe einsetzten. Als er seiner Aufgabe etwas zu fleißig nachkam, schob man ihm den Mord an einem 14-jährigen Jungen in die Schuhe und verurteilte ihn zum Tode durch den Strang. Weil keiner der anwesenden Staatsbeamten als Scharfrichter antreten wollte, wurde eine mechanische Vorrichtung entwickelt, mit der Horn sich quasi selbst aufhängen konnte.

Die ersten Drehbuchentwürfe für TOM HORN entwickelten die Lebensgeschichte des Titelhelden als bildgewaltiges Epos  mit mehrstündiger Laufzeit. Doch es zeichnete sich recht schnell ab, dass First Artists für ein solches nicht das nötige Budget bereitstellen würde. McQueen, der Aussagen von Kollegen und Freunden zufolge ahnte, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb, hatte keine Lust, sich für das Projekt zu zerreißen und akzeptierte zähneknirschend jede Budget- und Drehbuchkürzung, die man an ihn herantrug. Auch die Suche nach einem geeigneten Regisseur gestaltete sich kompliziert: McQueens Favorit Don Siegel lehnte nach einigen Gesprächen ab, weil er nicht verstand, was McQueen eigentlich für ein Film vorschwebte. Auch Elliott Silverstein (A MAN CALLED HORSE) kam nicht auf einen gemeinsamen Nenner mit McQueen. James William Guercio (ELECTRA GLIDE IN BLUE) war ein weiterer Kandidat, wurde jedoch nach wenigen Drehtagen von McQueen gefeuert: Guercio hatte nur eine Regiearbeit vorzuweisen und damit von vornherein einen schweren Stand, aber er war wohl auch überfordert damit, einen Superstar zu handlen. Schließlich übernahm mit William Wiard ein Mann die Regie, der bis dahin lediglich für das Fernsehen gearbeitet hatte: McQueen stellte so sicher, dass er die Kontrolle über den Film behielt, der vom ambitionierten Historienepos mittlerweile zum kleinen, übersichtlichen 95-Minüter geschrumpft war, Das Box-Office-Ergebnis war einigermaßen verheerend: Niemand wollte zu jener Zeit einen Western sehen, schon gar keinen nachdenklichen, deprimierenden über einen Helden, der am Ende feige gehängt wird und noch nicht einmal bereit ist, sich entscheidend dagegen zu wehren.

Heute lässt sich hingegen sagen, dass die Enttäuschung von einst ein starker, weil ungewöhnlicher Film ist, der den melancholischen Spätwestern der Sechziger noch einen draufsetzt. McQueen brilliert als aus der Zeit gefallener Held, der seinen Zeitgenossen mehr als nur ein bisschen Angst macht. Er verkörpert eine Ära, die endgültig vorbei ist, die man als verklärtes Bild zwar gern hochhält, mit der man aber im “echten Leben” nichts mehr zu tun haben möchte. Von den vergangenen Heldentaten von Tom Horn erzählt man sich, doch der Mensch, der sie vollbracht hat, ist vor allem eine Bedrohung. Und Horn ist nicht der Mann, der sich auf dem Feld der Politik zu bewegen wüsste: Er ist, was er ist, und wenn man meint, ihn dafür hängen zu müssen, dann soll man das tun. TOM HORN erzählt wie eigentlich alle Spätwestern nicht nur von den Geburtswehen der USA, sondern auch von denen der Moderne: Weil diese Geburt immer mit Blutverlust einhergeht, nie sauber ist, sich die nachfolgende Generation erst von ihr “reinwaschen” muss, müssen auch die Geburtshelfer dran glauben. Tom Horn ist ein Bauernopfer: Er hat große Entwicklungen angeschoben, aber er selbst ist nur ein kleines Licht, das lang genug gebrannt hat. Von einem Film wie THE WILD BUNCH  unterscheidet sich TOM HORN durch den Mangel an trügerischer Romantik: Peckinpah gönnt seinen Helden – die wie Tom Horn auch von der Zeit überholt werden – einen Ausstieg nach Maß und nach den eigenen Regeln, er erlaubt ihnen, die Bedingungen ihres Untergangs selbst zu wählen und einige ihrer Feinde mit in die Hölle zu nehmen. Live by the sword, die by the sword. Diese poetische Gerechtigkeit ist Tom Horn nicht vergönnt: Er steht am Ende seinen feigen Henkern gegenüber, die noch nicht einmal bereit sind, sich selbst die Hände schmutzig zu machen.

TOM HORN ist ein schmerzhaft trauriger Film, von einer Nüchternheit, die niederdrückt. Kameramann Alonzo fängt die endlose Weite der Landschaft in Bildern ein, die klar machen, dass sie nur eine Illusion ist. Längst sind überall Grenzzäune errichtet, die Männern wie Tom Horn ein freies Leben unmöglich machen. Ein kleiner, aber verdammt großer Film.


john ford retrospektive

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John Ford. Ein Name, der eine fast ebenso mythische Qualität hat wie das Land, dem der Regisseur so viele seiner Filme gewidmet hat. Ein Mann, dessen Bedeutung sowohl für den Film als auch für die USA selbst kaum zu unterschätzen ist. Wenn man ein umfassendes historisches Verständnis der “siebten Kunst” anstrebt, ist die Beschäftigung mit ihm schon allein deshalb absolut unerlässlich. Viele der allergrößten Regisseure der Welt – Ingmar Bergman, Orson Welles, Frank Capra, Federico Fellini, Jean-Luc Godard, Alfred Hitchcock, Akira Kurowsawa, David Lean, Sergio Leone, Sam Peckinpah, Jean Renoir, Martin Scorsese, Steven Spielberg oder Francois Truffaut, um nur einige zu nennen – berufen und beriefen sich auf den Mann, der es liebte, sich mit einer Augenklappe selbst zu inszenieren, und die meisten sprechen mit Worten von seiner Meisterschaft, die über bloße Bewunderung oder eine affektive Bindung weit hinausgehen. John Ford ist mehr als nur einer von vielen “Meisterregisseuren”: Er hat ganz entscheidend dazu beigetragen, die Kriterien aufzustellen, nach denen diese Bewertung heute überhaupt vorgenommen werden kann. Um es plakativ zu sagen: John Ford hat nicht bloß Filme gedreht. Er hat die Kunstform selbst mitgeschaffen, zu einer frühen Reife geführt und den Maßstab gesetzt, an dem sich alle Regisseure, die nach ihm kamen, messen lassen müssen.

1894 unter dem Namen John Martin Feeney als zehntes Kind irischer Einwanderer in Maine geboren, folgte er nach dem Schulabschluss seinem 13 Jahre älteren Bruder nach Hollywood, wo der bereits erfolgreich als Regisseur und Schauspieler arbeitete. Nach einigen Jahren als Darsteller inszenierte Ford – noch unter dem Namen “Jack” – seinen ersten Kurz-Stummfilm 1917: THE TORNADO. Bis zu seinem ersten “Talkie”, NAPOLEON’S BARBER von 1928, folgten insgesamt 63 weitere Stummfilme, von denen ein Großteil (man spricht von 85 %) heute leider verschollen ist. Besonders erwähnenswert ist der 1924 entstandene THE IRON HORSE, vielleicht das erste Meisterwerk des Westerns, ein Film über den Bau der Eisenbahn und eine echte Mammutproduktion, an der über 5.000 Statisten beteiligt waren. Der Western sollte das Genre bleiben, mit dem John Ford am meisten assoziiert wurde – er selbst wird mit der Selbstbeschreibung zitiert “My name is John Ford and I make Westerns.” -, obwohl er in nahezu allen populären Genres (vielleicht mit Ausnahme des Musicals) gearbeitet hatte und dort große Erfolge erzielte. Seine insgesamt vier Oscars als Bester Regisseur erhielt er allesamt für Nicht-Western: 1936 für THE INFORMER, 1941 für GRAPES OF WRATH, 1942 für HOW GREEN WAS MY VALLEY und 1953 für THE QUIET MAN. Aber am bekanntesten sind wahrscheinlich Filme wie STAGECOACH, der 1939 eine Wiedererweckung des totgesagten Western bedeutete und John Wayne zum Star machte, MY DARLING CLEMENTINE, ein Film über den legendären Gunfight am OK Corral, die Kavallerie-Trilogie, bestehend aus FORT APACHE, SHE WORE A YELLOW RIBBON und THE HORSE SOLDIERS RIO GRANDE, THE SEARCHERS, die Gottwerdung des Genres und für viele der beste amerikanische Film überhaupt, und THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALANCE, eine Genrereflexion, die den paradigmatischen Satz enthält: “When the legend becomes fact, print the legend.” John Ford ist als Filmemacher aber nicht nur deshalb so faszinierend, weil er die Kunstform fast vom Start weg für sein ganzes Leben begleitete und darüber Dutzende namhafter Klassiker inszenierte, sondern weil seine insgesamt 145 Werke zählende Filmografie darüber hinaus zahlreiche weitere Entdeckungen verspricht.

Die schier überwältigende Größe seines Werks macht John Ford für mich allein schon zum Faszinosum. Dass es diesen Umfang erreichen konnte, liegt natürlich zum einen an den Umständen, unter denen damals produziert wurde. Die Nachfrage nach neuem Stoff seitens des Publikums war riesig und machte es möglich, dass Ford etwa im Jahr 1917, dem Jahr seines Debüts, zehn Filme drehen konnte (1919 waren es gar 14). Mit dem Einzug des Tonfilms verringerte sich das Pensum zwar, trotzdem produzierte Ford zwischen 1928 und 1945 kontinuierlich zwei bis drei Filme pro Jahr (1928 waren es fünf). Man kann sich vielleicht vorstellen, welches Maß an Routine und technischer Sicherheit Ford so gewann, welches Wissen er anhäufte, welche Flexibilität er erlangte, dass es kaum ein filmisches Problem gab, für das er keine Lösung parat hatte. Dass er in einem Interview lapidar behaupten konnte, es sei “easy”, Filme zu drehen, ein Kinderspiel geradezu im Vergleich zu anderen Tätigkeiten, war keine Angeberei. Offensichtlich hatte da ein natural seine Berufung gefunden und was ihm nicht in den Schoß gefallen war, das erwarb er nach dem Prinzip learning by doing. Man stelle sich das vor: Als Ford 1939 STAGECOACH inszenierte, mit THE SEARCHERS möglicherweise sein berühmtester Film, da hatte er bereits 94 Filme gedreht (zum Vergleich: Scorseses Filmografie umfasst derzeit 23 Spielfilme). Und als er mit dem Meisterwerk fertig war, da machte er einfach weiter, ohne jedes Anzeichen kreativer oder körperlicher Erschöpfung. Im Gegenteil hatte er noch so viel Energie, zwei weitere Filme zu drehen, die Cineasten in Verzückung geraten lassen: YOUNG MR. LINCOLN und DRUMS ALONG THE MOHAWK.

Ich gehe schon seit einiger Zeit schwanger mit der Idee, mich John Fords Schaffen systematisch und ausdauernd zu widmen. Das, was dieses Projekt für mich so reizvoll macht, der erwähnte Umfang, ist natürlich auch ein Hindernis. In den letzten Wochen habe ich fleißig gesammelt und so viele Filme des Meisters zusammengetragen, dass der Begriff der “Werkschau” keine Anmaßung mehr ist. Derzeit stehen 65 Filme auf meiner Liste, darunter zahlreiche Stummfilme, alle Klassiker, einige eher unbekannte Titel sowie die Dokumentationen, die Ford während des Zweiten Weltkriegs drehte. Gut möglich, dass die Liste noch um den ein oder anderen Titel erweitert wird, aber allzu viel sollte da nicht mehr kommen. Klar, dass es sich bei der Ford-Retrospektive um ein längerfristiges Projekt handelt. In Akkordarbeit 60 bis 70 Filme zu schauen, halte ich für wenig erstrebenswert und sinnvoll. John Ford wird mich und die Leser meines Blogs also einige Wochen und Monate begleiten. Damit es nicht langweilig wird und die Synapsen zwischendurch mal ordentlich durchgelüftet werden, werde ich einige Pausen einbauen oder natürlich auch andere Sachen einstreuen. Ich verspreche mir von der ganzen Sache nicht nur, mir einen der wichtigsten Filmemacher überhaupt zu erschließen, sondern auch, mein Wissen über Film und Filmgeschichte generell entscheidend zu erweitern. Und selbstverständlich viele unvergessliche Filme.


straight shooting (john ford, usa 1917)

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John Fords Regielaufbahn begann im Jahr 1917, noch unter dem Namen “Jack Ford”. Zuvor hatte er bereits als Schauspieler gearbeitet, doch Universal-Chef Carl Laemmle gab ihm einen Job als Regisseur, weil er der Meinung war, dass Ford über ein Talent verfügte, dass ihm zum Filmemacher geradezu prädestinierte: Er konnte laut schreien. Für das Studio inszenierte Ford schnell die fünf Kurzfilme THE TORNADO, THE TRAIL OF HATE, THE SCRAPPER, THE SOUL HERDER und CHEYENNE’S PAL, in denen er zum Teil selbst noch vor der Kamera stand, bevor er seinen ersten Langfilm drehte: STRAIGHT SHOOTING. Wie viele Filme seiner Zeit wurde auch dieser wegen der “detaillierten Darstellung” von “murder and outlawry” in vielen Städten entweder stark gekürzt oder gar nicht erst freigegeben. Das mutet heute natürlich geradezu rührend an, dennoch war ich nach der gestrigen Betrachtung in erster Linie erstaunt darüber, wie viele Standards des Westerns hier von Ford bereits etabliert und zur Reife geführt wurden.

STRAIGHT SHOOTING handelt von einem sogenannten “Range War”, dem Kampf zwischen wohlhabenden Rinderzüchtern und Farmern um Wasser- und Futterrechte (grazing rights). Solche Konflikte waren im 19. Jahrhundert gang und gäbe im Westen der USA und dauerten im schlimmsten Fall mehrere Jahre an. Erst 1934 wurde dem Problem mit dem Inkrafttreten des “Taylor Grazing Act”, der die Nutzung öffentlicher Weideflächen regulierte, ein Ende gesetzt. Der “Range War” ist ein typisches Symptom des Wachstums der USA zur Industrienation und markiert gewissermaßen den Moment des Umschwungs von der träumerischen Selbstverwirklichungsutopie hin zum bürokratisch-wirtschaftlich durchorganisierten Staat. Die berühmtesten Range Wars – etwa der Pleasant Valley War, um nur einen zu nennen – tobten aber nicht zwischen armen, mittellosen Privatleuten und gierigen Großgrundbesitzern, sondern logischerweise zwischen auf Augenhöhe konkurrierenden Parteien. Für Ford und die zahlreichen weiteren Autoren und Regisseure, die sich mit dem Thema befassten, interessierte diese Art von Konflikt aber eher weniger. Bei ihnen ist der Range War die Auseinandersetzung, in der darüber entschieden wird, ob der amerikanische Traum noch Bestand haben kann. Es ist von daher klar, wie der Range War ausgeht, und auch SHOOTING STRAIGHT macht keine Ausnahme.

Der brave Farmer Sweet Water Sims (George Berrell) lebt zusammen mit seiner Tochter Joan (Molly Malone) und seinem Sohn Ted (Ted Brooks) in einer bescheidenen Blockhütte. Das Wasser, das er für das Bestellen seines Landes benötigt, entnimmt er einer nahe gelegenen Quelle. Als der Rinderzüchter Thunder Flint (Duke R. Lee) diese Quelle kauft und Sims damit von der Wasserzufuhr ausschließt, kommt es zum Streit. Der Revolverheld Cheyenne Harry (Harry Carey) wird von Flint engagiert, um Sims auszuschalten, doch als ihm der feige KIller Fremont (Vester Pegg) zuvorkommt und Ted aus dem Hinterhalt erschießt, schwört Harry, auf der Seite der Sims’ zu kämpfen. Als Flint mit seinen Männern zum Angriff bläst, holt Harry seine Freunde von Black-Eyed Petes (Milton Brown) Gang zur Hilfe …

Inhaltlich musste sich der Western nach STRAIGHT SHOOTING (der Titel bezieht sich nicht nur auf die Schießkünste seines Helden, sondern auch auf dessen Wandel vom gedungenen Killer zum Ehrenmann) kaum noch verändern, denn Ford legte schon zu diesem frühen Zeitpunkt die Regeln fest, die bis heute Gültigkeit haben. Die Sims werden als einfache, friedliebende und daher hilflose Familie gezeichnet, die nicht mehr erwartet, als ihr eigenes Leben leben zu können. Demgegenüber steht der fiese Thunder Flint (man beachte schon den Kontrast der Namen der beiden Patriarchen: “Sweet Water” gegen “Thunder”), der mit ausladenden Gesten über sein Land reitet, eine ganze Armee schießwütiger Halunken befehligt, dem kleinen Farmer noch nicht einmal ein bisschen Wasser abgeben mag und sofort einen Killer engagiert, als Sims sich dem Verbot widersetzt. Cheyenne Harry ist der mit allen Abwassern gewaschene Outlaw, ein finsterer Gesell, der nicht lange Federlesen macht und seinen Revolver einzusetzen weiß. Die Augen blitzen verschlagen in seinem Habichtgesicht, verraten aber auch jenes Quäntchen Humor, das ihn von hoffnungslosen Bösewichtern wie Fremont oder Flint unterscheidet (Carey sollte in insgesamt 26 von Fords Stummfilmwestern mitwirken). Sich an Wehrlosen zu vergreifen, ist seine Sache nicht, und so wechselt er schnell die Seiten (einen ganz ähnlichen Handlungsverlauf nimmt Howard Hawks’ EL DORADO). Nach getaner Arbeit bietet ihm Sims an zu bleiben, doch natürlich ist das sesshafte Leben nichts für einen drifter wie Harry. Erst als ihm Joan ihre Liebe gesteht, ist er bereit, sein Leben zu ändern. Der Sheriff indessen steckt natürlich mit dem Schurken unter einer Decke und geht lediglich den Weg des geringsten Widerstandes. Von ihm ist keine Hilfe zu erwarten, ein Vorläufer des korrupten Gesetzeshüters, dessen Wohlwollen mit Schmiergeldern gesichert wird.

Um STRAIGHT SHOOTING ins Ford’sche Gesamtwerk einzuordnen, ist es logischerweise noch etwas zu früh, aber neben der klaren Personenkonstellation und der konzentrierten Erzählhaltung stechen einige weitere Merkmale ins Auge, die mir als “typisch” erscheinen. Die statische Kamera, die Suggestion von Bewegung durch geschicktes Blocking statt durch Schwenks und Fahrten, Stilistika, die man heute mit Ford assoziiert, finden sich schon hier. Szenen- und Einstellungsfolgen sind glasklar, die Motivationen der einzelnen Figuren auch ohne den ausufernden Einsatz von Texttafeln deutlich erkennbar. Gestaltungswille zeigt sich indessen in Fords Tendenz, Bilder “doppelt” zu framen. Vorläufer zur berühmten Schlusseinstellung von THE SEARCHERS finden sich gleich mehrfach, in anderen Szenen verwendet Ford gern Bäume oder auch Lichtquellen, um das Zentrum des Bildes hervorzuheben. So stehen die Figuren mit ihren Träumen, Hoffnungen, Ängsten und Gefühlen deutlich im Zentrum des Films, mehr als vordergründige Action, obwohl es auch in dieser HInsicht schon ziemlich hoch hergeht in STRAIGHT SHOOTING. Wie gesagt: Fords Nachfolger mussten eigentlich nur noch an der Feinjustierung arbeiten.

Destiny


der letzt mohikaner (harald reinl, italien/spanien/deutschland 1965)

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Als erster und – trotz wohlwollender Publikums- und Kritikerreaktionen – auch letzter Film einer nach dem bahnbrechenden Erfolg von Reinls DER SCHATZ IM SILBERSEE neben den Karl-May-Filmen von der Constantin geplanten Reihe von Western, ist DER LETZTE MOHIKANER deutlich härter und auch amerikanischer als die schwelgerischen Epen nach Vorlage des deutschen Romanciers aus Radebeul. Reinl, zu seiner Zeit ohnehin einer der wenigen deutschsprachigen Regisseure, die sich auf die Inszenierung von Action verstanden, drehte einen erstklassigen Verfolgungs- und Belagerungswestern, verlegte die Handlung des berühmten Romans von James Fenimore Cooper vom 18. ins 19. Jahrhundert, von den Waldgebieten im Osten in eine typisch felsige Wildwestkulisse. Die drei Hauptstränge der Handlung führt er mit großer Könnerschaft und stetigem Spannungsaufbau auf das explosive Finale, das sichtlich von Altmeistern wie Howard Hawks inspiriert ist. Lediglich in der Figurenzeichnung der Titelfigur, dem Indianer Unkas (Daniel Martin) und seinem treuen Freund Falkenauge (Anthony Steffen), zeigen sich deutliche Parallelen zu den Winnetou-Filmen: schon allein deshalb, weil beiden dieselben Synchronsprecher zugeteilt wurden. Aber auch sonst erinnert Unkas’ Art, mit den Augen einen Punkt hinter dem Horizont zu fixieren und in poetischen Bildern zu sprechen an den berühmten Apachenkollegen. Es stört nicht weiter, weil “der letzte Mohikaner” von Cooper ja schon im Titel als tiefromantische Figur angelegt worden war, als Zeichen einer untergehenden, naturverbundenen Kultur und einer gewissen wilden Unschuld, die die weißen Siedler dabei waren, endgültig zu zerstören.

Doch eigentlich bleibt diese Hauptfigur ein Nebenaspekt in einem sehr geradlinig auf den finalen Showdown zulaufenden Film, dem sehr viel mehr an der historischen Realität als an einer märchenhaften Utopie gelegen ist, wie sie die Karl-May-Filme verkörperten. Schon die unwirtliche Felsenlandschaft der andalusischen Tabernas-Wüste markiert einen gewaltigen Unterschied zu den saftig-grünen, mit leuchtend weißen Felsen gesprenkelten Wiesen Jugoslawiens, und Karin Dors Cora gibt gleich mehrfach zu verstehen, wie grausam dieses Land sei. Die Menschen sterben hier deutlich weniger glamouröse oder auch nur dramatische Tode, sie beißen eben ins Gras, und das in stattlicher Zahl, ohne dass sie noch einem Blutsbruder den letzten Gruß ins Ohr hauchen könnten, und selbst, wenn die Bösewichte am Ende besiegt oder wenigstens in die Flucht geschlagen werden, stellt sich nicht die Euphorie des Triumphes ein. DER LETZTE MOHIKANER endet mit dem sinnlosen Tod desselben, ein unmissverständliches Zeichen dafür, das jede Hoffnung auf einen Sieg der Vernunft, auf eine gleichberechtigte Koexistenz nicht nur zwischen Weißen und Indianern, sondern zwischen Menschen jeglicher Herkunft, vergebens ist. Ein starker Film, der eine wertvolle Ergänzung und einen wirkungsvollen Kontrapunkt zu den Karl-May-Filmen bildet.

 

 


terza visione 2: il ritorno di ringo (duccio tessari, italien/spanien 1965)

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ritorno_di_ringo_giuliano_gemma_duccio_tessari_005_jpg_xrjmEin Beispiel für die vielen filmischen Schmankerl und Liebesdienste, die dem Besucher in Nürnberg – sei es beim Terza Visione oder den Hofbauer-Kongressen – geboten werden: IL RITORNO DI RINGO, der in Deutschland in zwei unterschiedlichen Fassungen ur- und wiederaufgeführt wurde, wurde für diese Aufführung in einer mit beträchtlichem Aufwand rekonstruierten Version gezeigt. Um die bestmögliche Bildqualität zu bieten, wurde die leicht gekürzte deutsche Fassung, die in einer sehr gut erhaltenen Kopie vorlag, mittels einer ungeschnittenen, leider aber rotstichigen Fassung vervollständigt. So kamen die Besucher in den Genuss des intakten Films, ohne dabei allzu große Einschränkungen hinnehmen zu müssen. Tessaris Film hat es verdient, denn er gehört ohne Zweifel zu den stärksten und ungewöhnlichsten Filmen seines Genres.

Die Geschichte ist ein Amalgam aus Corbuccis DJANGO und Leones PER UN PUGNO DI DOLLARI: Ein namenloser Soldat (Giuliano Gemma) kommt aus dem Krieg nach Hause und erkundigt sich nach einem Ringo, der im Nachbarort Mimbres leben soll. Er erfährt, dass Ringo gefallen sei und dessen Gattin nun kurz vor der Eheschließung mit einem Sohn des schurkischen Esteban Fuentes (Fernando Sancho) stehe, der Mimbres ganz in seiner Gewalt hat. Der Soldat – von dem wir ahnen, dass es sich um jenen Ringo handelt – verkleidet sich als Mexikaner und begibt sich nach Mimbres, um seine Gattin, seinen Grundbesitz und seine männliche Würde zurückzuerobern und den Ort von den Verbrechern zu befreien.

Wie Christian Kessler in seinem Italowestern-Buch “Willkommen in der Hölle” richtig schreibt, handelt es sich bei IL RITORNO DI RINGO um eine Art Westernvariante der alten Odysseus-Geschichte. Es ist mithin kaum verwunderlich, dass Tessaris Film eher dem mythisch Überhöhten statt dem Kurzweilig-Knalligen verpflichtet ist. Ringo ist wie ein Geist, der noch einmal die Gelegenheit bekommt, sich anzusehen, was von seiner alten Existenz übrig geblieben ist: nichts. Wenn im weiteren Verlauf des Films der Wunsch nach Rache in ihm heranreift, bekommt IL RITORNO DI RINGO eine heftige Schlagseite zum psychosexuellen Drama. Kämpft Ringo wirklich um seine alte Liebe oder geht es ihm nicht doch nur darum, seine Autorität als Kerl wiederherzustellen, seine Kastration rückgängig zu machen und seinen alten Platz als Alphamännchen von Mimbres wieder einzunehmen? Man weiß es nicht genau, das Schlussbild, dass eine naive Herzchenzeichnung zeigt, in der einige Messer stecken, ist vielseitig intepretierbar, lässt durchaus die Möglichkeit offen, dass hier längst nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist. Mal ganz davon abgesehen, dass Ringo mit seinen Helfern ein wahres Massaker unter den Fuentes angerichtet hat.

Auch wenn IL RITORNO DI RINGO mit seinem ausgedehnten Showdown am Schluss in recht genreübliche Bahnen gelenkt wird, bleibt doch der Eindruck eines besonderen Vertreters des Italowesterns. Duccio Tessari inszeniert überaus geduldig, fast zärtlich ist es, wie er seinen Helden bei der Hand nimmt, und ihn an seine alte Wirkungsstätte führt. Mimbres entpuppt sich weniger als Höllenloch denn als Jenseitsort, durch den ständig ein Windhauch zieht, der herumliegendes Heu mit sich trägt; die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm hat sich dort breitgemacht. Der erste Höhepunkt des Films ist die Wiederbegegnung von Ringo und seiner Ehefrau, bei der die alte, tot geglaubte Liebe sofort zu neuem Leben erwacht: ein Moment, der sich dank Ennio Morricones Score in nicht für möglich gehaltene emotionale Höhen emporschwingt. Später, während der wüsten Schlussballerei, gibt es ebenfalls einen wunderschönen, ruhigen und abgründigen Moment, wenn sich der verwundete Held von seiner kleinen Tochter die Waffe laden lässt und die Ruhepause nutzt, das Eis mit einem kleinen Scherz zu brechen. In diesen Szenen fällt die Maske des Nihilismus, hinter der der Italowestern sein wahres Gesicht oft verbarg, und entpuppt sich darunter als hoffnungslos sentimental und melancholisch. Ein Jahrhundertfilm, den auch die deutsche Synchro, die irgendwann anfängt, dem Helden idiotische One-Liner in den Mund zu legen, nicht kaputt bekommen hat.



the magnificent seven (john sturges, usa 1960)

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kfHuiowDie Lektüre des Buches “Steve McQueen: Portrait of an American Rebel” hat mich dazu inspiriert, dem Superstar, meisterhaften Minimalisten und reactor hier in den nächsten Wochen und in loser Folge eine kleine Reihe zu widmen. Viele seiner Filme kenne ich noch gar nicht, andere haben mal wieder eine Auffrischung verdient. Mit den neu angelesenen Informationen im Hinterkopf erhoffe ich mir außerdem auch neue Erkenntnisse. Ich war nämlich einigermaßen überrascht über McQueens Lebenslauf: Da er für mich die idealtypische Verkörperung männlicher Autorität und natürlich der viel beschworenen Coolness ist, hatte ich angenommen, dass der Superstar auch in seinem Leben ein Musterbeispiel für jene straightness gewesen sei, die er auf der Leinwand so unnachahmlich verkörpert. Stattdessen erfuhr ich, dass der Mann, der als Kind von seiner wenig verantwortungsbewussten Mutter hin und hergeschoben worden war, eine Vergangenheit als Gangmitglied und Jugendstraftäter hatte und seine Jugend zum Teil in einem Heim für schwer Erziehbare verbrachte, aufgrund seiner geringen Bildung unter großen Minderwertigkeitskomplexen litt und mehrere Anläufe benötigte, um sich als Schauspieler zu etablieren. Kurz gesagt: Steve McQueen war nicht gerade prädestiniert dazu, ein Künstler zu werden, noch weniger der bestbezahlte Schauspieler seiner Zeit. Diese eiskalte Autorität, die man mit ihm verbindet, war weniger die Folge eines großen Selbstbewusstseins als jener für ihn einst überlebenswichtigen street wisdom, dem Wissen, dass einem nichts geschenkt wird und der Gegner jedes Anzeichen von Angst oder Schwäche sofort auszunutzen bereit ist.

Als John Sturges ihn für die Rolle des Vin in seiner Bearbeitung von Kurosawas SHICHININ NO SAMURAI besetzte, hatte McQueen es bereits in New York am Broadway versucht und in mehreren Fernsehproduktionen und Spielfilmen mitgewirkt, die Macher dabei stets von seinem natürlichen Talent und seiner Präsenz überzeugen können, aber letztlich die nötige Disziplin vermissen lassen – oder einfach Pech mit seiner Rollenwahl gehabt. Der erste Schritt zum Erfolg war die Hauptrolle in der Westernserie WANTED: DEAD OR ALIVE, in der McQueen den Kopfgeldjäger Josh Randall spielte und Macher wie Zuschauer gleichermaßen mit seiner Detailversessenheit sowie seinem Sinn für Realismus und Authentizität beeindruckte. Die Wege von McQueen und Sturges kreuzten sich zum ersten Mal 1959, als der damals bereits 29-Jährige eine Nebenrolle in dem Sinatra-Vehikel NEVER SO FEW mit Leben füllte. Das Angebot des Megastars, fortan als festes Mitglied seines Rat Packs zu reüssieren, schlug McQueen mutigerweise aus: Er wollte nicht, dass man seine Karriere später auf die Gefälligkeit eines mächtigen Freundes zurückführte, sondern es aus eigener Kraft schaffen. Mit 30 Jahren und festgelegt auf eine Fernsehrolle, die damals nur selten eine große Filmkarriere nach sich zog, war THE MAGNIFICENT SEVEN mithin die Chance, die McQueen unbedingt nutzen musste. Das Problem: Er war nicht der einzige hungrige Jungschauspieler am Set und auch nicht der einzige, der wusste, dass er aus dem Schatten des großen Yul Brynner heraustreten musste, wenn er die Aufmerksamkeit des Zuschauer gewinnen wollte. Marshall Terrill, der Autor des oben genannten Buches, erzählt einige amüsante Anekdoten vom Konkurrenzkampf, der infolgedessen unter den Darstellern entbrannte, von den Bemühungen der Co-Stars, Brynners Szenen zu “stehlen”, die eigene Position durch kleine Tricks zu verbessern. So soll McQueen, der durch seine Vergangenheit wusste, wie man mit einem Revolver umgeht, Brynner auf Nachfrage eine sehr einfache Methode beigebracht haben, die Waffe zu ziehen, um mit der eigenen, deutlich elaborierteren Technik besser auszusehen. Als Brynner davon erfuhr, versuchte er wiederum McQueen davon zu überzeugen, vom Revolver auf ein Gewehr umzusteigen: Ein Schachzug, auf den McQueen allerdings nicht hereinfiel, sehr zum Ärger Brynners. McQueen machte sich bei seinen Kollegen nicht unbedingt beliebt: Er war immer darauf bedacht, gut wegzukommen, wusste genau, wenn eine Regieanweisung oder ein Szenenaufbau ihm zum Nachteil gereichte und intervenierte dann auch zu Ungunsten seiner Mitstreiter. Er folgte einem strengen Karriereplan und wenn er auch keinen hohen Bildungsgrad hatte, so besaß er eben jene Schläue, die seinen Erfolg begünstigte und seinen Aufstieg zum Weltstar ermöglichte.

Um von McQueen den Übergang zum größeren Ganzen, Sturges’ Film, zu schaffen: Jene Strategie, auf die McQueen zurückgeworfen war, Szenen, in denen er eigentlich nur “Beiwerk” für den eigentlichen Star war, durch kleine Gesten und hingeworfene Improvisationen an sich zu reißen, ist nicht nur charakteristisch für seinen Stil, sie passt zu THE MAGNIFICENT SEVEN wie die Faust aufs Auge. Betrachtet man den Film nämlich aufmerksam, so fällt auf, wie wenig er mit Dialogen erzählt, stattdessen funktioniert er fast ausschließlich über seine Charaktere, und die Handlung entwickelt sich ganz logisch aus ihnen heraus, ohne dass große Exposition betrieben werden müsste. Das ist umso bemerkenswerter, als THE MAGNIFICENT SEVEN von den drei großen Ensemble-Spektakeln der Sechziger (die beiden anderen sind THE GREAT ESCAPE und THE DIRTY DOZEN) der mit Abstand kürzeste ist, mithin am wenigsten Zeit hat, seine Hauptfiguren umfassend zu charakterisieren. Horst Buchholz bekommt als junger Heißsporn Chico recht viel Platz, alle anderen haben nur wenig Gelegenheit, ihre Figuren zum Leben zu erwecken. McQueen hat zudem eine nur wenig profilierte Rolle, keinen echten “arc”, den er durchlaufen würde: Trotzdem ist es sein Vin, der als lebendigster Charakter in Erinnerung bleibt. Er erreicht das lediglich durch wohldosierte Bewegungen, Mimik, Blicke und seine Körperhaltung. Gleich zu Beginn, wenn er neben Brynners Chris den Platz auf dem Kutschbock einnimmt, benutzt er seinen Hut als Sonnenschutz, prüft, wo die Sonne steht und von wo er in der möglicherweise folgenden Konfrontation geblendet werden könnte. Überhaupt spielt sein Hut eine wichtige Rolle. David Morrell, Autor des Romans “First Blood”, für dessen Verfilmung McQueen in den Siebzigerjahren im Gespräch war, bevor man ihn aufgrund seines bereits zu hohen Alters verwarf, bezeichnet den Hut gewissermaßen als Schlüssel zu McQueens Erfolg in THE MAGNIFICENT SEVEN. Allgemeiner könnte man sagen, dass McQueen dadurch die Aufmerksamkeit auf sich zieht, dass er nie einfach nur so dasteht, auch dann nicht, wenn er eigentlich nichts zu tun hat. Immer hat er etwas in der Hand, das er betrachtet, womit er spielt. Meist sind es nur Kleinigkeiten, nie wirkt es aufgesetzt oder aufdringlich, aber immer erzielt er damit eine Wirkung. Kritiker und Zuschauer sahen das genauso: Brynner war der nominelle Star des Films, aber McQueen war es, der den Menschen auffiel. Vielleicht steckt dahinter das erste kleine Zittern der Erde vor dem großen Beben namens “New Hollywood”, das die Traumfabrik am Ende des Jahrzehnts erschüttern sollte. Brynner ist noch ein Typ vom alten Schlage, sein Spiel breit ausgestellt, nicht so sehr vom Einfühlen in eine Rolle geprägt als vom Wissen um die eigene Persona. Mit seinem swagger (dieser Gang, der faustgroße Hoden in der zu engen Hose suggeriert!), der etwas theatralischen Art, mit der er den Mittelpunkt des Bildes besetzt und seine Zeilen deklamiert, wirkt er neben dem Understatement und der selbstbewussten Lässigkeit McQueens wie das Relikt einer vergangenen Zeit. Vin wird vom Drehbuch als eine Art Bruder im Geiste von Brynners Chris angelegt, aber hinter der vordergründigen Übereinkunft spürt man deutlich die Spannungen zwischen dem “Alten” und dem “Jungen”. Chris und Brynner wissen, dass ihre Zeit abläuft; noch können sie auf ihren Körper zählen, zehren zudem von dem Ruf, der ihnen vorauseilt, aber irgendwann werden die Muskeln versagen, die Sinne schwächer. Vin und McQueen nutzen noch den Windschatten des Erfahrenen, saugen auf, was sie von ihm lernen können,und sparen ihre Kräfte, für den Moment, in dem er die ersten Schwächen zeigt, um ihn dann gnadenlos hinter sich zu lassen. Bis dahin sollte es nicht mehr lange dauern. Als Burt Kennedy sechs Jahre später THE RETURN OF THE MAGNIFICENT SEVEN drehte, war Yul Brynner wieder zur Stelle. Steve McQueen hatte eine Wiederholung des Erfolgsfilms da schon nicht mehr nötig. Er war bereits zu neuen Ufern aufgebrochen und sollte einen Ruhm erreichen, der den Brynners weit überstieg.


nevada smith (henry hathaway, usa 1965)

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48481Direkt im Anschluss an THE CINCINNATI KID begannen für Steve McQueen die Dreharbeiten an NEVADA SMITH, der den als aufmüpfig und schwierig bekannten Star mit dem Hollywood-Veteranen Henry Hathaway zusammenbringen sollte. Hathaway, der dafür bekannt war, ein eisernes Regiment am Set zu führen, schuf die Basis für die Zusammenarbeit, indem er McQueen vor Drehbeginn unmissverständlich klar machte, dass er keine Marotten und Extrawürste duldete. McQueen genoss dennoch zahlreiche Vorzüge – Hathaway wusste, dass er seinen Hauptdarsteller nicht einsperren konnte und ihn bei Laune halten musste –, für Missstimmungen sorgte in erster Linie Hathaways Ablehnung jeglicher Improvisation. Seine Regieanweisungen waren Gesetz, und McQueen, der einen weniger rigiden Stil und größere Freiheiten bevorzugte, um seine Figuren zum Leben zu erwecken, fühlte sich oft eingeengt. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass NEVADA SMITH zwar ein weiterer Hit in seiner Filmografie wurde, McQueens Erfolgsserie fortsetzte und einen wichtigen Schritt auf seinem Weg zum Superstar markiert, seine Leistung bei den damaligen Kritikern aber keine besondere Wertschätzung erfuhr. NEVADA SMITH ist ein schöner Western, ein Vertreter jenes großen Hollywoodkinos, das Mitte der Sechzigerjahre schon im Sterben begriffen war, mit epischem Schwung erzählt und wunderbaren Landschaftsaufnahmen von Lucien Ballard, aber er zählt gewiss nicht zu den Filmen, mit denen man McQueen heute in erster Linie assoziiert.

NEVADA SMITH basiert auf einer Figur aus Harold Robbins’ Roman “The Carpetbaggers”, der 1964 von Edward Dmytryk mit dem 51-jährigen, unmittelbar darauf verstorbenen Alan Ladd als “Nevada Smith” verfilmt wurde, und ist eine Art Prequel zu diesem (das gab es also auch schon damals): Seine Hauptfigur, das Halbblut Max Sand (Steve McQueen), ein unerfahrener junger Mann, der weder schießen noch lesen und schreiben kann, heftet sich drei Männern (Karl Malden, Arthur Kennedy und Martin Landau) an die Fersen, die seine Eltern brutal ermordet haben. Auf der Jagd quer durch die USA trifft er verschiedene Menschen, und die Erfahrungen, die er in der Begegnung mit ihnen sammelt, lassen ihn Schritt für Schritt zum Mann heranreifen und seinem Ziel näherkommen. NEVADA SMITH vereint in seiner Geschichte Elemente klassischer antiker Heldenmythen (die Reise mit ihren verschiedenen Stationen), des Schelmenstückes (das linkische Verhalten Max’, der damit dennoch überall durchkommt), des Bildungsromans (die Entwicklung des Jungen zum Mann) und der Americana (die verschiedenen Orte und Kulturen, mit denen Max zusammentrifft). McQueens Rolle entspricht dabei der Filmpersona, die er zu jener Zeit für sich herausgearbeitet hatte und die eine Vorstufe zu dem coolen, supersouveränen Profi ist, den er ab THE THOMAS CROWN AFFAIR verkörperte. In NEVADA SMITH ist er der nicht besonders intelligente, dafür umso entschlossenere, aufmüpfige, respekt- und furchtlose Jüngling (obwohl McQueen damals schon 35 war – eine Parallele zu seinem “Teenager” aus THE BLOB), der durchaus autobiografische Züge trägt: McQueen wuchs ohne leiblichen Vater auf, wurde von seiner Mutter über weite Strecken seiner Kindheit und Jugend allein gelassen, arbeitete auf der Farm seines Onkels und sammelte seine Erfahrungen auf der Straße, die ihm dann auch Schwierigkeiten mit dem Gesetz und einen mehrjährigen Aufenthalt in einem Heim der “Boys Republic”, einer Anstalt für schwer erziehbare Jungs einbrachten. So wie McQueen im Laufe seiner Karriere “wachsen” sollte, vom räudigen Straßenköter zu einem Sexsymbol, vom Taugenichts zum bestbezahlten Schauspieler seiner Zeit, so reift auch Max. Zuerst sind es nur kleine Schritte, die er macht: Er lernt, dass man Fremden nicht unbedingt trauen sollte, wie man richtig schießt. Er begeht seinen ersten Rachemord, verliebt sich in die indianischer Prostituierte Neesa (Janet Margolin) und wird von ihrem Stamm gesund gepflegt. Auf der Suche nach dem nächsten Mörder verschlägt es ihn in ein Strafgefangenenlager in den Sümpfen Louisianas, aus dem ihm mithilfe des Cajun-Mädchens Pilar (Suzanne Pleshette) der Ausbruch gelingt, bei dem sie jedoch stirbt. Erstmals kommen ihm Zweifel an der Richtigkeit seiner Mission: Wird er nicht selbst zu dem, was er zu bestrafen sucht? Doch er hält an seinem Plan fest, auch als ihm ein Mönch (Raf Vallone) ins Gewissen redet. Bis er den letzten Killer, Tom Fitch (Karl Malden), wehrlos vor sich stehen hat.

NEVADA SMITH hangelt sich an allen wesentlichen Plotmarkern des Rachefilms entlang und führt seinen Protagonisten auf seiner Reise gewissermaßen ans Licht der Erkenntnis. Der kaltblütige Rachemord ändert nichts, er verschmutzt letztlich nur die eigene Seele. Doch so wirkungsvoll die Schlussszene mit den an Max’ abprallenden Verfluchungen des verwundet zurückgelassenen Mörders auch ist: Nach zwei Stunden endet Hathaways Film damit lediglich genau so, wie man das von Beginn an vorausgesehen hat. NEVADA SMITH verfügt über eine nur schwer zu fassende, bleierne Atmosphäre, die mit seinem beschwingten Erzähltempo und den prachtvollen Bildern seltsam über Kreuz liegt. Das ist durchaus interessant, aber trotzdem fehlt irgendetwas zum totalen Glück. Der Kern der Geschichte, die innere Entwicklung, die Max durchläuft, bleibt diffus, auch weil der Film es versäumt, den Ablauf der Zeit wirklich greifbar zu machen. Als am Ende gesagt wird, dass seit dem Mord an Max’ Eltern Jahre vergangen sind, war ich mehr als nur etwas verdutzt. Das alles wirkt, als spielt es sich innerhalb einiger Wochen ab (auch wenn es logistisch etwas schwierig gewesen wäre, die Strecke in dieser Zeit zurückzulegen). McQueen gelingt es hier beileibe nicht so eindrucksvoll wie in seinen anderen Filmen, seinen Charakter zu seinem eigenen zu machen. Was Max im Innersten antreibt, die Entwicklung, die er durchläuft, wird nie wirklich transparent. Max bleibt ein Mysterium, mal benimmt er sich wie ein dümmlicher Naivling, dann ist er wieder der eiskalte Profi, und es fiel mir als Zuschauer enorm schwer, mich zu ihm zu positionieren. Wir erfahren fast nichts über ihn. Der Film beginnt mit dem Mord an seinen Eltern (Lukas hat hier eine kleine Analyse der Sequenz veröffentlicht), und bevor wir noch eine Beziehung zu Max aufbauen können, befindet er sich bereits auf dem Kriegspfad, um zwei Menschen zu rächen, deren Beziehung zu ihm nie beleuchtet wurde. Dass man mit ihm mitfiebert, ist eher der Konvention geschuldet, als dem Charakter selbst. Auch die humanistische Botschaft, mit der der Film endet, ist zwiespältig: Max lässt Fitch zwar leben, doch von echter Gnade kann keine Rede sein. Und wohin es den Protagonisten nun verschlagen wird, bleibt ebenfalls völlig ungewiss. Man sieht keine Zukunft für ihn am Horizont. Bezeichnend, dass sein Name, der Name des Films, ein Pseudonym ist, dass er sich spontan ausdenkt, um Fitch über seine wahre Identität zu täuschen. Wer ist dieser Mann eigentlich? Das Menschliche tritt gegenüber der Größe des Landes, das eine Vielzahl austauschbarer Geschichten erzählt, völlig in den Hintergrund. Der Weg ist das Ziel, und in der beinahe mythischen Reise des Jungen durch das Land entfaltet NEVADA SMITH dann auch seinen Reiz, vor allem in der Louisiana-Episode, die McQueen zum zweiten Mal nach THE GREAT ESCAPE zum Ausbrecher macht (einige Jahre später vollendete er seine private Ausbrecher-Trilogie mit PAPILLON).

Interessant ist auch die editionsphilologische Frage: Die deutsche Fassung läuft ca. 125 Minuten, was 131 NTSC-Minuten entspricht, doch im Netz ist vielfach von 135 Minuten die Rede. Es existieren Szenenfotos von der Ermordung von Max’ Eltern, die suggerieren, dass deutlich mehr gedreht wurde, als man im Film zu sehen bekommt, aber konkrete Hinweise zu einer solchen “intakten” Fassung gibt es nicht.


a man called horse (elliott silverstein, usa 1970)

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A MAN CALLED HORSE stammt aus einer Zeit, als viele Filmemacher offensichtlich bemüht waren, das im Western über viele Jahrzehnte gezeichnete, oft klischierte Bild des Indianers einer Revision zu unterziehen. Innerhalb weniger Jahre entstanden Filme wie SOLDIER BLUE oder ULZANA’S RAID, die die amerikanischen Ureinwohner nicht als zu bezwingende Wilde zeichneten, sondern sie als Menschen Ernst nahmen und auch die Verbrechen, derer sich die weißen Eroberer an ihnen schuldig machten, in der gebotenen Härte darstellten.

Elliott Silversteins Film beruht auf einer Kurzgeschichte der Westernautorin Dorothy M. Johnson, von der auch die Vorlagen zu Fords THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALANCE und Delmer Daves THE HANGING TREE stammen, und wurde mit der Behauptung beworben, ein “authentisches Porträt” des Lebens der amerikanischen Ureinwohner zu zeichnen. Sein viel diskutiertes pièce de résistance ist die lange Sequenz, in der die Hauptfigur dem Initiationsritus des “Sonnentanzes” (im Original: “vow of the sun”) unterzogen wird. (A MAN CALLED HORSE war damit der erste Film, der die sogenannte “Flesh Hook Suspension” zeigte, ein Brauch, der heute noch in der “Modern Primitive”-Kultur gepflegt wird.) Bereits im Vorspann des Filmes wird auf diese Sequenz hingeweisen und mitgeteilt, dass der Brauch in den späten Jahren des 19. Jahrhunderts verboten worden sei: Schon hier tritt die Zwiespältigkeit des Films hervor: Auch wenn Silverstein sich bemüht, die Indianer nicht zu beäugen wie der Zoobesucher die vielfältigen animalischen Attraktionen, sondern stattdessen eine Innenperspektive einzunehmen, und er zahlreiche echte Indianer als Schauspieler und Berater engagierte, benötigt er dennoch den weißen Helden, der den Primitiven letztlich zeigt, wie der Hase läuft – und sein Love Interest wird auch noch von einer Griechin gegeben, Corinna Tsopei, die 1964 Miss Universum geworden war. Indianer-Vertreter und Aktivisten protestierten erwartungsgemäß lautstark und vehement gegen den Film. In ihrem Buch “The Only Good Indian: The Hollywood Gospel” von 1972 schrieben Ralph E. und Natasha A. Friar etwa:

“How to make an Indian movie. Buy 40 Indians. Totally humiliate and degrade an entire nation. Make sure all Indians are savage and ignorant. Satisfy Indian groups by seeking authenticity. Import a Greek to be an Indian princess. Introduce a white man to become an ,Indian’ hero. Make the white man compassionate, brave and understanding. Make the white man an ,Indian’ leader to save the souls of the weak. desecrate the Indian religion. Pocket the profits in Hollywood.”

Aber A MAN CALLED HORSE hatte nicht nur mit solchen ideologiekritischen Vorwürfen zu kämpfen, er musste sich auch ankreiden lassen, es in der Darstellung des indianischen Lebens nicht ganz so genau genommen zu haben, wie es angeblich sein Anspruch gewesen war. Zwar beriefen sich die Produzenten auf die Erfahrungsberichte des Malers, Autors und Indianerkenners George Catlin – seine Mutter und Großmutter waren während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges von Indianern entführt worden und prägten durch die so erworbenen Erfahrungen sein späteres Interesse am Leben der Ureinwohner, mit dem er sich auf zahlreichen Reisen intensiv auseinandersetzte –, doch warfen sie dabei einiges durcheinander: Die den Sioux zugeschriebenen Praktiken waren viel eher eine Verbindung von Bräuchen der Crow und Mandan, die mit den Sioux sogar verfeindet waren. Es half nichts, dass Clyde Dollar, der Historiker, der am Film beteiligt war, die Kritik als Ausdruck von Eifersüchtelei zwischen den verschiedenen Stämmen bewertete, die von den damaligen Gegebenheiten eh keine Ahnung hätten.

Es ist nahezu unmöglich, all diese Vorwürfe zu entkräften: A MAN CALLED HORSE ist tatsächlich ein “imperialistischer” Film, der die Menschen, die er seinem Publikum nahebringen will, doch wieder nur durch die verzerrte Brille des weißen Mannes betrachtet und sie in ein narratives Korsett zwängt, das eindeutig als “weiß” zu identifizieren ist. Die Naivität dieses Konzepts mit dem Aufstieg des tapferen Weißen zum Anführer und dem sein Schicksal teilenden Franzosen, der als sein Vertrauter und Helfer fungiert, ist mehr als 40 Jahre nach seinem Kinostart offensichtlich. Auch fällt die Selbstgerechtigkeit des Protagonisten unangenehm auf, der seinen Freund einmal tadelt, die Indianer auch nach über fünf Jahren des Zusammenlebens nur als seine Peiniger zu betrachten, aber selbst immer noch einen Dolmetscher braucht, um sich überhaupt verständigen zu können. Dieser Mangel einer verbalen Übereinkunft ist es auch, der am unangenehmsten nachhallt, und den Eindruck, da kommt ein Herrenmensch an und reißt mal eben, von oben herab Befehle erteilend, die Kontrolle des Ladens an sich, verstärkt. Aber all das ändert nur wenig daran, dass Silversteins Film für seine Zeit durchaus ambitioniert war und auch heute noch schön anzuschauen ist. Dass er über weite Strecken auf verständlichen, sprich: englischen, Dialog verzichtet, den Protagonisten verstummen lässt, ermöglicht tatsächlich, diesen Einblick in die andere Kultur. Die Naturaufnahmen und natürlich die “Sonnentanz”-Sequenz sind auch heute noch beeindruckend und Richard Harris als Wahlindianer eine echte Schau. Nur den Klassikerstatus, den der Film vielleicht einmal innehatte, kann man heute nicht mehr wirklich bestätigen, dafür ist dann doch zu viel ideologischer Sand im Getriebe.


butch cassidy and the sundance kid (george roy hill, usa 1969)

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Wie seine titelgebenden Protagonisten nimmt BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID einen fast legendär zu nennenden Ruf für sich in Anspruch. 2003 wurde der Film von der US-amerikanischen Library of Congress als „culturally, historically or aesthetically significant“ in die United States Film Registry aufgenommen. Er war der größte Kassenerfolg des Jahres 1969 und rangiert derzeit immerhin auf Rang 34 der erfolgreichsten Filme aller Zeiten (nach Inflationsbereinigung). Besondere Auszeichnung erhielt das Originaldrehbuch von William Goldman, das seinerzeit zu einem von den Studios heiß begehrten Stück avancierte und schließlich von 20th Century Fox für 400.000 Dollar gekauft wurde. Es wurde dann auch mehrfach ausgezeichnet, wie der Film überhaupt zahlreiche Trophäen sammelte, unter anderem den Academy Award für „Best Cinematography“ für Conrad Hall, „Best Score for a Motion Picture (not a Musical)“ für Burt Bacharach und für den besten Song (“Raindrops keep falling on my head”). Für Robert Redford bedeutete die Rolle als Sundance Kid den endgültigen Durchbruch zum gefragten Star. Und das Finale, mit dem in einem Freeze Frame eingefrorenen Schussgefecht zwischen den in der Falle sitzenden Helden und der bolivianischen Armee, zählt zu den großen, ikonischen Szenen der Filmgeschichte und wurde etliche Male zitiert oder referenziert.

Warum ich das alles aufzähle? Weil BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID für einen Film mit diesem großen Erbe geradezu aufreizend leicht und flockig daherkommt – und überdies über eine recht ungewöhnliche Dramaturgie verfügt. George Roy Hills Film platziert sich sehr selbstbewusst an der Kreuzungslinie des traditionellen Hollywood-Abenteuerkinos und des gerade aufblühenden New Hollywoods mit seinen Alltagshelden und -geschichten. Es handelt sich bei BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID um einen Spätwestern, der sein Thema der Zeitenwende aber nicht mit bitterer Resignation behandelt, wie das etwa Sam Peckinpah in THE WILD BUNCH getan hatte, sondern mit lakonischem Humor und milder Melancholie. Wie Pike Bishop und seine Männer stürzen sich auch Butch Cassidy und Sundance Kid sehenden Auges in den Tod, aber ihre Haltung ist eine andere. Während das „Wild Bunch“ erkennt, dass es in dieser Welt keinen Platz mehr hat, und gemeinsam beschließt, sich mit einem lauten Knall zu verabschieden, sehen die Helden von Hills Film die Lage deutlich weniger dramatisch. Sie sind halt in eine Scheißsituation geraten – ein Risiko, das ihr Beruf mit sich bringt. Ihnen fehlt die Einsicht in die größeren Sinnzusammenhänge: nicht, weil sie dafür zu dumm wären, sondern weil sie die Welt generell einfach weniger ernst und wichtig nehmen. Jeder Weg ist irgendwann einmal zu Ende, das ist der normale Lauf der Dinge. Kein Grund, darüber in Verzweiflung zu geraten.

BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID ist eigentlich eine Schelmenkomödie und seine Protagonisten sind weniger zupackende Helden, als vielmehr vom Schicksal lange Zeit über Gebühr begünstigte Glückspilze, die allein kraft ihrer Unverzagtheit und grenzenloser Lebenslust so lange durchhalten, wie sie das tun. Während eines nicht unerheblichen Teils des Films sind sie passive Figuren und auf der Flucht: vor dem Gesetz, das durch einige sich in der Ferne abzeichnende Reiter verkörpert wird, mehr aber noch vor der Zeit, die für Outlaws, wie sie es sind, langsam, aber sicher abläuft. Die Frage, ob die beiden mit der Vermutung, bei ihren Verfolgern handle es sich um den gefürchteten indianischen Fährtenleser „Lord Baltimore“ und den gnadenlosen Gesetzeshüter Lefors, Recht haben, wird im Film weder beantwortet noch bekommt man die Verfolger überhaupt einmal aus der Nähe zu Gesicht. Sie bleiben eine anonyme, fast metaphysische Größe, eine nackte Manifestation des nahenden Endes, dem Butch und Sundance auch auf einem anderen Kontinent nicht entrinnen können. Auch in Bolivien, das Butch Cassidy sich als Schlaraffenland für Gauner erträumt, wird scharf geschossen, weiß die Polizei, was sie mit Dieben anzufangen hat. Einen Ausweg gibt es für die beiden Helden nicht, da liegt Hills Film ganz auf Linie der existenzialistischen Western Peckinpahs: Ausgerechnet der Versuch, sich durch ehrliche Arbeit Geld zu verdienen, endet damit, dass Butch seinen ersten Mord begeht, weil die beiden ihrerseits von Dieben überfallen werden. Sie können nichts anderes, als Banken auszurauben, und sie akzeptieren, dass dies die Tätigkeit ist, die für sie bestimmt ist. Auch wenn sie irgendwann unweigerlich in den Tod führt.

BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID ist ein auch heute noch ungewöhnlicher Film: Ungewöhnlich in seiner Verbindung von Elementen und Motiven des Westerns, des Historien- und Abenteuerfilms und der Komödie. Ungewöhnlich in seiner heiteren Stimmung, die auch durch den Tod seiner Helden nicht wirklich getrübt wird, weil die sich selbst die Laune nicht durch ihr nahendes Ende verderben lassen. Ungewöhnlich in seinem Handlungsverlauf, der über weite Strecken ihre Unbekümmertheit und in gewisser Hinsicht auch Blindheit in den Vordergrund rückt, statt ihrer tollkühnen Leistungen. Ungewöhnlich natürlich in seinem beschwingten Easy-Listening-Score, der nicht die Weite der Landschaft oder das Abenteuer betont, sondern die Geisteshaltung der Protagonisten, die in gewisser Hinsicht typisch für die Sechzigerjahre war. Auch wenn BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID im Kern eine traurige Geschichte erzählt, ist es ein positiver, hoffnungsfroher Film. Wenn man den Weg geht, den man gehen will, ist es egal, wohin er einen führt.


tom horn (william wiard, usa 1980)

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Die letzten Jahre von McQueens Filmkarriere verliefen gemessen an dem Status, den er innehatte, enttäuschend und problematisch. Nach dem Verweigerungsfilm und Megaflop AN ENEMY OF THE PEOPLE war der Star willens, “seinem” Publikum wieder einen “echten McQueen” zu geben, doch er war immer noch an First Artists gebunden, mit denen eine Zusammenarbeit schwierig war. Gemeinsam einigte man sich dennoch auf einen Film über den Westernhelden Tom Horn, ein Wunschprojekt McQueens. Horn war unter anderem ein Pinkerton-Detektiv und Fährtenleser gewesen, doch in die Geschichtsbücher ging er als der Mann ein, der wesentlich daran beteiligt war, den gefürchteten Apachen-Häuptling Geronimo zur Aufgabe zu bewegen. Später in seinem Leben arbeitete er für die Viehzüchter in Wyoming, die ihn zur Verteidigung ihrer Kühe gegen Viehdiebe einsetzten. Als er seiner Aufgabe etwas zu fleißig nachkam, schob man ihm den Mord an einem 14-jährigen Jungen in die Schuhe und verurteilte ihn zum Tode durch den Strang. Weil keiner der anwesenden Staatsbeamten als Scharfrichter antreten wollte, wurde eine mechanische Vorrichtung entwickelt, mit der Horn sich quasi selbst aufhängen konnte.

Die ersten Drehbuchentwürfe für TOM HORN entwickelten die Lebensgeschichte des Titelhelden als bildgewaltiges Epos  mit mehrstündiger Laufzeit. Doch es zeichnete sich recht schnell ab, dass First Artists für ein solches nicht das nötige Budget bereitstellen würde. McQueen, der Aussagen von Kollegen und Freunden zufolge ahnte, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb, hatte keine Lust, sich für das Projekt zu zerreißen und akzeptierte zähneknirschend jede Budget- und Drehbuchkürzung, die man an ihn herantrug. Auch die Suche nach einem geeigneten Regisseur gestaltete sich kompliziert: McQueens Favorit Don Siegel lehnte nach einigen Gesprächen ab, weil er nicht verstand, was McQueen eigentlich für ein Film vorschwebte. Auch Elliott Silverstein (A MAN CALLED HORSE) kam nicht auf einen gemeinsamen Nenner mit McQueen. James William Guercio (ELECTRA GLIDE IN BLUE) war ein weiterer Kandidat, wurde jedoch nach wenigen Drehtagen von McQueen gefeuert: Guercio hatte nur eine Regiearbeit vorzuweisen und damit von vornherein einen schweren Stand, aber er war wohl auch überfordert damit, einen Superstar zu handlen. Schließlich übernahm mit William Wiard ein Mann die Regie, der bis dahin lediglich für das Fernsehen gearbeitet hatte: McQueen stellte so sicher, dass er die Kontrolle über den Film behielt, der vom ambitionierten Historienepos mittlerweile zum kleinen, übersichtlichen 95-Minüter geschrumpft war, Das Box-Office-Ergebnis war einigermaßen verheerend: Niemand wollte zu jener Zeit einen Western sehen, schon gar keinen nachdenklichen, deprimierenden über einen Helden, der am Ende feige gehängt wird und noch nicht einmal bereit ist, sich entscheidend dagegen zu wehren.

Heute lässt sich hingegen sagen, dass die Enttäuschung von einst ein starker, weil ungewöhnlicher Film ist, der den melancholischen Spätwestern der Sechziger noch einen draufsetzt. McQueen brilliert als aus der Zeit gefallener Held, der seinen Zeitgenossen mehr als nur ein bisschen Angst macht. Er verkörpert eine Ära, die endgültig vorbei ist, die man als verklärtes Bild zwar gern hochhält, mit der man aber im “echten Leben” nichts mehr zu tun haben möchte. Von den vergangenen Heldentaten von Tom Horn erzählt man sich, doch der Mensch, der sie vollbracht hat, ist vor allem eine Bedrohung. Und Horn ist nicht der Mann, der sich auf dem Feld der Politik zu bewegen wüsste: Er ist, was er ist, und wenn man meint, ihn dafür hängen zu müssen, dann soll man das tun. TOM HORN erzählt wie eigentlich alle Spätwestern nicht nur von den Geburtswehen der USA, sondern auch von denen der Moderne: Weil diese Geburt immer mit Blutverlust einhergeht, nie sauber ist, sich die nachfolgende Generation erst von ihr “reinwaschen” muss, müssen auch die Geburtshelfer dran glauben. Tom Horn ist ein Bauernopfer: Er hat große Entwicklungen angeschoben, aber er selbst ist nur ein kleines Licht, das lang genug gebrannt hat. Von einem Film wie THE WILD BUNCH  unterscheidet sich TOM HORN durch den Mangel an trügerischer Romantik: Peckinpah gönnt seinen Helden – die wie Tom Horn auch von der Zeit überholt werden – einen Ausstieg nach Maß und nach den eigenen Regeln, er erlaubt ihnen, die Bedingungen ihres Untergangs selbst zu wählen und einige ihrer Feinde mit in die Hölle zu nehmen. Live by the sword, die by the sword. Diese poetische Gerechtigkeit ist Tom Horn nicht vergönnt: Er steht am Ende seinen feigen Henkern gegenüber, die noch nicht einmal bereit sind, sich selbst die Hände schmutzig zu machen.

TOM HORN ist ein schmerzhaft trauriger Film, von einer Nüchternheit, die niederdrückt. Kameramann Alonzo fängt die endlose Weite der Landschaft in Bildern ein, die klar machen, dass sie nur eine Illusion ist. Längst sind überall Grenzzäune errichtet, die Männern wie Tom Horn ein freies Leben unmöglich machen. Ein kleiner, aber verdammt großer Film.


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