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Channel: Western – Remember it for later
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john ford retrospektive

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John Ford. Ein Name, der eine fast ebenso mythische Qualität hat wie das Land, dem der Regisseur so viele seiner Filme gewidmet hat. Ein Mann, dessen Bedeutung sowohl für den Film als auch für die USA selbst kaum zu unterschätzen ist. Wenn man ein umfassendes historisches Verständnis der “siebten Kunst” anstrebt, ist die Beschäftigung mit ihm schon allein deshalb absolut unerlässlich. Viele der allergrößten Regisseure der Welt – Ingmar Bergman, Orson Welles, Frank Capra, Federico Fellini, Jean-Luc Godard, Alfred Hitchcock, Akira Kurowsawa, David Lean, Sergio Leone, Sam Peckinpah, Jean Renoir, Martin Scorsese, Steven Spielberg oder Francois Truffaut, um nur einige zu nennen – berufen und beriefen sich auf den Mann, der es liebte, sich mit einer Augenklappe selbst zu inszenieren, und die meisten sprechen mit Worten von seiner Meisterschaft, die über bloße Bewunderung oder eine affektive Bindung weit hinausgehen. John Ford ist mehr als nur einer von vielen “Meisterregisseuren”: Er hat ganz entscheidend dazu beigetragen, die Kriterien aufzustellen, nach denen diese Bewertung heute überhaupt vorgenommen werden kann. Um es plakativ zu sagen: John Ford hat nicht bloß Filme gedreht. Er hat die Kunstform selbst mitgeschaffen, zu einer frühen Reife geführt und den Maßstab gesetzt, an dem sich alle Regisseure, die nach ihm kamen, messen lassen müssen.

1894 unter dem Namen John Martin Feeney als zehntes Kind irischer Einwanderer in Maine geboren, folgte er nach dem Schulabschluss seinem 13 Jahre älteren Bruder nach Hollywood, wo der bereits erfolgreich als Regisseur und Schauspieler arbeitete. Nach einigen Jahren als Darsteller inszenierte Ford – noch unter dem Namen “Jack” – seinen ersten Kurz-Stummfilm 1917: THE TORNADO. Bis zu seinem ersten “Talkie”, NAPOLEON’S BARBER von 1928, folgten insgesamt 63 weitere Stummfilme, von denen ein Großteil (man spricht von 85 %) heute leider verschollen ist. Besonders erwähnenswert ist der 1924 entstandene THE IRON HORSE, vielleicht das erste Meisterwerk des Westerns, ein Film über den Bau der Eisenbahn und eine echte Mammutproduktion, an der über 5.000 Statisten beteiligt waren. Der Western sollte das Genre bleiben, mit dem John Ford am meisten assoziiert wurde – er selbst wird mit der Selbstbeschreibung zitiert “My name is John Ford and I make Westerns.” -, obwohl er in nahezu allen populären Genres (vielleicht mit Ausnahme des Musicals) gearbeitet hatte und dort große Erfolge erzielte. Seine insgesamt vier Oscars als Bester Regisseur erhielt er allesamt für Nicht-Western: 1936 für THE INFORMER, 1941 für GRAPES OF WRATH, 1942 für HOW GREEN WAS MY VALLEY und 1953 für THE QUIET MAN. Aber am bekanntesten sind wahrscheinlich Filme wie STAGECOACH, der 1939 eine Wiedererweckung des totgesagten Western bedeutete und John Wayne zum Star machte, MY DARLING CLEMENTINE, ein Film über den legendären Gunfight am OK Corral, die Kavallerie-Trilogie, bestehend aus FORT APACHE, SHE WORE A YELLOW RIBBON und THE HORSE SOLDIERS RIO GRANDE, THE SEARCHERS, die Gottwerdung des Genres und für viele der beste amerikanische Film überhaupt, und THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALANCE, eine Genrereflexion, die den paradigmatischen Satz enthält: “When the legend becomes fact, print the legend.” John Ford ist als Filmemacher aber nicht nur deshalb so faszinierend, weil er die Kunstform fast vom Start weg für sein ganzes Leben begleitete und darüber Dutzende namhafter Klassiker inszenierte, sondern weil seine insgesamt 145 Werke zählende Filmografie darüber hinaus zahlreiche weitere Entdeckungen verspricht.

Die schier überwältigende Größe seines Werks macht John Ford für mich allein schon zum Faszinosum. Dass es diesen Umfang erreichen konnte, liegt natürlich zum einen an den Umständen, unter denen damals produziert wurde. Die Nachfrage nach neuem Stoff seitens des Publikums war riesig und machte es möglich, dass Ford etwa im Jahr 1917, dem Jahr seines Debüts, zehn Filme drehen konnte (1919 waren es gar 14). Mit dem Einzug des Tonfilms verringerte sich das Pensum zwar, trotzdem produzierte Ford zwischen 1928 und 1945 kontinuierlich zwei bis drei Filme pro Jahr (1928 waren es fünf). Man kann sich vielleicht vorstellen, welches Maß an Routine und technischer Sicherheit Ford so gewann, welches Wissen er anhäufte, welche Flexibilität er erlangte, dass es kaum ein filmisches Problem gab, für das er keine Lösung parat hatte. Dass er in einem Interview lapidar behaupten konnte, es sei “easy”, Filme zu drehen, ein Kinderspiel geradezu im Vergleich zu anderen Tätigkeiten, war keine Angeberei. Offensichtlich hatte da ein natural seine Berufung gefunden und was ihm nicht in den Schoß gefallen war, das erwarb er nach dem Prinzip learning by doing. Man stelle sich das vor: Als Ford 1939 STAGECOACH inszenierte, mit THE SEARCHERS möglicherweise sein berühmtester Film, da hatte er bereits 94 Filme gedreht (zum Vergleich: Scorseses Filmografie umfasst derzeit 23 Spielfilme). Und als er mit dem Meisterwerk fertig war, da machte er einfach weiter, ohne jedes Anzeichen kreativer oder körperlicher Erschöpfung. Im Gegenteil hatte er noch so viel Energie, zwei weitere Filme zu drehen, die Cineasten in Verzückung geraten lassen: YOUNG MR. LINCOLN und DRUMS ALONG THE MOHAWK.

Ich gehe schon seit einiger Zeit schwanger mit der Idee, mich John Fords Schaffen systematisch und ausdauernd zu widmen. Das, was dieses Projekt für mich so reizvoll macht, der erwähnte Umfang, ist natürlich auch ein Hindernis. In den letzten Wochen habe ich fleißig gesammelt und so viele Filme des Meisters zusammengetragen, dass der Begriff der “Werkschau” keine Anmaßung mehr ist. Derzeit stehen 65 Filme auf meiner Liste, darunter zahlreiche Stummfilme, alle Klassiker, einige eher unbekannte Titel sowie die Dokumentationen, die Ford während des Zweiten Weltkriegs drehte. Gut möglich, dass die Liste noch um den ein oder anderen Titel erweitert wird, aber allzu viel sollte da nicht mehr kommen. Klar, dass es sich bei der Ford-Retrospektive um ein längerfristiges Projekt handelt. In Akkordarbeit 60 bis 70 Filme zu schauen, halte ich für wenig erstrebenswert und sinnvoll. John Ford wird mich und die Leser meines Blogs also einige Wochen und Monate begleiten. Damit es nicht langweilig wird und die Synapsen zwischendurch mal ordentlich durchgelüftet werden, werde ich einige Pausen einbauen oder natürlich auch andere Sachen einstreuen. Ich verspreche mir von der ganzen Sache nicht nur, mir einen der wichtigsten Filmemacher überhaupt zu erschließen, sondern auch, mein Wissen über Film und Filmgeschichte generell entscheidend zu erweitern. Und selbstverständlich viele unvergessliche Filme.



straight shooting (john ford, usa 1917)

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John Fords Regielaufbahn begann im Jahr 1917, noch unter dem Namen “Jack Ford”. Zuvor hatte er bereits als Schauspieler gearbeitet, doch Universal-Chef Carl Laemmle gab ihm einen Job als Regisseur, weil er der Meinung war, dass Ford über ein Talent verfügte, dass ihm zum Filmemacher geradezu prädestinierte: Er konnte laut schreien. Für das Studio inszenierte Ford schnell die fünf Kurzfilme THE TORNADO, THE TRAIL OF HATE, THE SCRAPPER, THE SOUL HERDER und CHEYENNE’S PAL, in denen er zum Teil selbst noch vor der Kamera stand, bevor er seinen ersten Langfilm drehte: STRAIGHT SHOOTING. Wie viele Filme seiner Zeit wurde auch dieser wegen der “detaillierten Darstellung” von “murder and outlawry” in vielen Städten entweder stark gekürzt oder gar nicht erst freigegeben. Das mutet heute natürlich geradezu rührend an, dennoch war ich nach der gestrigen Betrachtung in erster Linie erstaunt darüber, wie viele Standards des Westerns hier von Ford bereits etabliert und zur Reife geführt wurden.

STRAIGHT SHOOTING handelt von einem sogenannten “Range War”, dem Kampf zwischen wohlhabenden Rinderzüchtern und Farmern um Wasser- und Futterrechte (grazing rights). Solche Konflikte waren im 19. Jahrhundert gang und gäbe im Westen der USA und dauerten im schlimmsten Fall mehrere Jahre an. Erst 1934 wurde dem Problem mit dem Inkrafttreten des “Taylor Grazing Act”, der die Nutzung öffentlicher Weideflächen regulierte, ein Ende gesetzt. Der “Range War” ist ein typisches Symptom des Wachstums der USA zur Industrienation und markiert gewissermaßen den Moment des Umschwungs von der träumerischen Selbstverwirklichungsutopie hin zum bürokratisch-wirtschaftlich durchorganisierten Staat. Die berühmtesten Range Wars – etwa der Pleasant Valley War, um nur einen zu nennen – tobten aber nicht zwischen armen, mittellosen Privatleuten und gierigen Großgrundbesitzern, sondern logischerweise zwischen auf Augenhöhe konkurrierenden Parteien. Für Ford und die zahlreichen weiteren Autoren und Regisseure, die sich mit dem Thema befassten, interessierte diese Art von Konflikt aber eher weniger. Bei ihnen ist der Range War die Auseinandersetzung, in der darüber entschieden wird, ob der amerikanische Traum noch Bestand haben kann. Es ist von daher klar, wie der Range War ausgeht, und auch SHOOTING STRAIGHT macht keine Ausnahme.

Der brave Farmer Sweet Water Sims (George Berrell) lebt zusammen mit seiner Tochter Joan (Molly Malone) und seinem Sohn Ted (Ted Brooks) in einer bescheidenen Blockhütte. Das Wasser, das er für das Bestellen seines Landes benötigt, entnimmt er einer nahe gelegenen Quelle. Als der Rinderzüchter Thunder Flint (Duke R. Lee) diese Quelle kauft und Sims damit von der Wasserzufuhr ausschließt, kommt es zum Streit. Der Revolverheld Cheyenne Harry (Harry Carey) wird von Flint engagiert, um Sims auszuschalten, doch als ihm der feige KIller Fremont (Vester Pegg) zuvorkommt und Ted aus dem Hinterhalt erschießt, schwört Harry, auf der Seite der Sims’ zu kämpfen. Als Flint mit seinen Männern zum Angriff bläst, holt Harry seine Freunde von Black-Eyed Petes (Milton Brown) Gang zur Hilfe …

Inhaltlich musste sich der Western nach STRAIGHT SHOOTING (der Titel bezieht sich nicht nur auf die Schießkünste seines Helden, sondern auch auf dessen Wandel vom gedungenen Killer zum Ehrenmann) kaum noch verändern, denn Ford legte schon zu diesem frühen Zeitpunkt die Regeln fest, die bis heute Gültigkeit haben. Die Sims werden als einfache, friedliebende und daher hilflose Familie gezeichnet, die nicht mehr erwartet, als ihr eigenes Leben leben zu können. Demgegenüber steht der fiese Thunder Flint (man beachte schon den Kontrast der Namen der beiden Patriarchen: “Sweet Water” gegen “Thunder”), der mit ausladenden Gesten über sein Land reitet, eine ganze Armee schießwütiger Halunken befehligt, dem kleinen Farmer noch nicht einmal ein bisschen Wasser abgeben mag und sofort einen Killer engagiert, als Sims sich dem Verbot widersetzt. Cheyenne Harry ist der mit allen Abwassern gewaschene Outlaw, ein finsterer Gesell, der nicht lange Federlesen macht und seinen Revolver einzusetzen weiß. Die Augen blitzen verschlagen in seinem Habichtgesicht, verraten aber auch jenes Quäntchen Humor, das ihn von hoffnungslosen Bösewichtern wie Fremont oder Flint unterscheidet (Carey sollte in insgesamt 26 von Fords Stummfilmwestern mitwirken). Sich an Wehrlosen zu vergreifen, ist seine Sache nicht, und so wechselt er schnell die Seiten (einen ganz ähnlichen Handlungsverlauf nimmt Howard Hawks’ EL DORADO). Nach getaner Arbeit bietet ihm Sims an zu bleiben, doch natürlich ist das sesshafte Leben nichts für einen drifter wie Harry. Erst als ihm Joan ihre Liebe gesteht, ist er bereit, sein Leben zu ändern. Der Sheriff indessen steckt natürlich mit dem Schurken unter einer Decke und geht lediglich den Weg des geringsten Widerstandes. Von ihm ist keine Hilfe zu erwarten, ein Vorläufer des korrupten Gesetzeshüters, dessen Wohlwollen mit Schmiergeldern gesichert wird.

Um STRAIGHT SHOOTING ins Ford’sche Gesamtwerk einzuordnen, ist es logischerweise noch etwas zu früh, aber neben der klaren Personenkonstellation und der konzentrierten Erzählhaltung stechen einige weitere Merkmale ins Auge, die mir als “typisch” erscheinen. Die statische Kamera, die Suggestion von Bewegung durch geschicktes Blocking statt durch Schwenks und Fahrten, Stilistika, die man heute mit Ford assoziiert, finden sich schon hier. Szenen- und Einstellungsfolgen sind glasklar, die Motivationen der einzelnen Figuren auch ohne den ausufernden Einsatz von Texttafeln deutlich erkennbar. Gestaltungswille zeigt sich indessen in Fords Tendenz, Bilder “doppelt” zu framen. Vorläufer zur berühmten Schlusseinstellung von THE SEARCHERS finden sich gleich mehrfach, in anderen Szenen verwendet Ford gern Bäume oder auch Lichtquellen, um das Zentrum des Bildes hervorzuheben. So stehen die Figuren mit ihren Träumen, Hoffnungen, Ängsten und Gefühlen deutlich im Zentrum des Films, mehr als vordergründige Action, obwohl es auch in dieser HInsicht schon ziemlich hoch hergeht in STRAIGHT SHOOTING. Wie gesagt: Fords Nachfolger mussten eigentlich nur noch an der Feinjustierung arbeiten.

Destiny


bucking broadway (john ford, usa 1917)

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Cheyenne Harry (Harry Carey), Held des vorangegangenen Ford-Westerns STRAIGHT SHOOTING (wobei unklar bleibt, ob es sich wirklich um ein und dieselbe Figur handelt und ob dieser Film chronologisch nach- oder vorgeordnet ist), arbeitet in Wyoming als Cowboy auf der Ranch des gütigen Ben Clayton (L. M. Wells) und ist in dessen Tochter Helen (Molly Malone) verliebt. Er hat zwar nicht viel, nur ein kleines Häuschen und etwas Geld, aber er möchte Helen zu seiner Frau machen und hält bei seinem Clayton um ihre Hand an. Alles scheint gut, bis der Unternehmer Thornton (Vester Pegg) zur Besichtigung der Pferde aus New York kommt, und Helen mit der Aussicht auf ein Leben ohne finanzielle Einschränkungen kurzerhand mit an die Ostküste nimmt. Harry und Clayton sind gleichermaßen entsetzt: Der Cowboy begibt sich auf die Reise in die Metropole, um Helen zurückzuholen …

Zunächst schien mir BUCKING BROADWAY als nur mäßig interessant: Der Film ist in erster Linie eine Komödie und als solche erwartungsgemäß mit weniger Gravitas ausgestattet als der düstere STRAIGHT SHOOTING. Der dort behandelte Konflikt zwischen mittellosen Farmern und gierigen Großgrundbesitzern wird hier etwas verklausuliert zum Zusammenstoß von Stadt und Land (was durchaus an den deutschen Heimatfilm erinnert). Der Titel bezieht sich auf den Showdown, der zeigt, wie Harrys Kameraden auf ihren Pferden durch die Straßenschluchten Manhattans reiten, bevor dann eine slapstickartige Keilerei in dem Nobelhotel vom Zaun bricht, in dem der fiese Thornton seine Verlobung mit Helen feiert. Man kann sich nur zu gut vorstellen, wie das Publikum damals diese Szenen feierte, und Ford inszeniert den wilden Ritt mit viel Drive mit einer Kamerafahrt, die die urwüchsige Geschiwndigkeit und Wildheit perfekt einfängt.

Überhaupt ermöglicht es die Einfachheit des Plots, Feinheiten der Inszenierung und der Erzählung genauer zu fokussieren. So ist der Bund zwischen Harry und Helen an ein kleines Holzherzchen geknüpft, das er ihr schnitzt und ihr sagt, dass sie es ihm nur zu schicken brauche, wenn sie einmal Hilfe benötige. Später, als sie unzufrieden in New York herumsitzt, fällt es ihr in die Hände, sie erinnert sich an Harrys Worte und schickt es, wie von ihm erklärt per Post an ihn nach Wyoming, wo er sofort weiß, was er zu tun hat. Cheyenne Harry, in STRAIGHT SHOOTING noch ein reformierter Killer, ist hier ein gutmütiger, einfacher Typ, dessen Souveränität sich in fast kindliche Unsicherheit verwandelt, wenn er dem reichen Thornton gegenübersteht. Harry Carey liefert eine ausgereifte Vorstellung und absolviert vor allem die komischen Momente mit Bravour: Wunderbar, wenn er nervös von einem Fuß auf den anderen tritt, als er bei Helens Vater um deren Hand anhält, es sich aber trotzdem nicht nehmen lässt, seiner Geliebten beschwichtigend zuzublinzeln, als hätte er alles voll im Griff. Später kauft er im Gemischtwarenladen einen feinen Anzug, wird beim Umziehen hinter der Theke aber von einer empörten Kundin überrascht, und stellt schließlich bei der Begegnung mit einem genussvoll an seiner Zigarre ziehenden, fein gekleideten Schwarzen fest, dass der neue Zwirn alles andere als gut an ihm sitzt. (Ich schätze mal, dass es damals nicht alltäglich war, einen “echten” Schwarzen in einer Rolle zu sehen, die ihn nicht als Sklaven oder Diener zeigte.) Mehr noch als bei STRAIGHT SHOOTING fällt aber die herausragende Kadrierung und Fotografie auf: BUCKING BROADWAY ist eine Augenweide, ganz gleich, ob er das hügelige Weideland Wyomings ablichtet, oder aber die Figuren in statischen Innenaufnahmen zeigt.

Interessant ist die Wahl der Perspektive in einer Szene, in der Thornton sich gegenüber Helen und den Cowboys als echter Kerl beweisen will. Ihm wird ein Pferd vorgeführt, das den Spitznamen “Cowboy Killer” trägt, weil beim Versuch, es zu zähmen, bereits drei Männer ihr Leben verloren haben. Trotz der impliziten Warnung lässt Thornton es sich nicht nehmen, einen Ritt auf dem Tier zu wagen. Harry willigt grinsend ein, sichtlich hoffend, dass der reiche Schnösel sein Fett weg bekommt. Doch Thornton behauptet sich, dreht zwei runden auf dem wilden Pferd, ohne abgeworfen zu werden, und kehrt triumphierend zurück. Fords Inszenierung rückt diese Leistung jedoch nicht in den Mittelpunkt, indem er nah herangeht und Thorntons Anstrengung zeigt. Stattdessen filmt er die ganze Szene in einer statischen Totalen, in denen alle Details verschwinden und man den Geschäftsmann kaum erkennt. Der potenziell aufregende, spannungsgeladene Moment wird so jeder Größe beraubt, der Legendenstatus des Pferdes als “Cowboy Killer” auf ein gesundes Maß zurechtgestutzt, die Enttäuschung und Machtlosigkeit Harrys akzentuiert. Er hat gegen den Mann aus der Stadt keine Chance, nicht einmal auf dem eigenen Terrain, wo er eigentlich Heimvorteil genießen sollte. Darüber hinaus kann man diese Szene auch als Fords Erklärung seiner Methodologie eine Art Erklärung Ford verstehen: Der mythisch aufgeladene Wilde Westen entpuppt sich in dieser Szene als entzaubert, der berüchtigte “Cowboy Killer” ist auch nur ein Pferd. Die Legenden halten der Prüfung mit den Werkzeugen der Vernunft nicht stand. Auch deshalb interessierte sich Ford mehr für den Mythos. “If the legend becomes fact, print the legend.” So lässt sich dann auch der Showdown metafilmisch verstehen. Etwa so: Wenn es unmöglich ist, den Wilden Westen zu besuchen (weil er sich dann als Legende entpuppt), so muss er eben in die Großstädte – und Kinos – kommen.


the iron horse (john ford, usa 1924)

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Als D. W. Griffith THE BIRTH OF A NATION drehte, schwebte ihm vor, einen Film zu machen, der die Gründung der USA als einen kollektiven Willens- und Kraftakt vieler mutiger Bürger erfahrbar machte. Er wollte der visionären Kraft, die dafür nötig war, ein Denkmal setzen, und ein Gefühl ehrlichen Stolzes und heiliger Ergriffenheit in den Herzen seiner Zuschauer pflanzen. Sein Scheitern bestand darin, dass er dabei ausschließlich weiße Zuschauer im Sinn hatte und der Meinung war, dass jeder, der nicht mit dem “aryan birthright” ausgestattet war, in den USA auch kein Mitspracherecht haben sollte. Die Nation konnte eigentlich demnach erst entstehen, indem sie sich von ihrer ursprünglich zugrundeliegenden Idee eines freiheitlichen Staates verabschiedet hatte. Man musste schon, wie er, auf der Gewinnerseite stehen, um das als Triumph betrachten zu können.

Die Idee zu THE IRON HORSE hatte William Fox, Gründer des gleichnamigen Studios: Ähnlich wie Griffith schwebte ihm ein bildgewaltiges und ergreifendes historisches Epos über Amerika vor (“the great American picture play”) und als er sich bei der Suche nach einem geeigneten Stoff mit dem Bau der Eisenbahnlinie auseinandersetzte, die Ost und West verbinden sollte, wusste er, dass er fündig geworden war. Als Regisseur wählte er den jungen John Ford, der nicht nur das nötige Maß an Erfahrung mitbrachte, sondern – noch wichtiger – “whose heart and soul were imbued with the spirit of America”. Die Wahl des Regisseurs mag in Anbetracht des gewaltigen materiellen und logistischen Aufwands, der für THE IRON HORSE mit dem Ziel betrieben wurde, das Publikum zu überwältigen, eine Marginalie gewesen sein, aber sie hätte treffender kaum sein können. Später mehr dazu.

Nach Casting und monatelanger Recherche, die die historische Genauigkeit sicherstellen sollte, begannen die komplizierten Dreharbeiten in Mexiko, Kalifornien, Utah, Nevada, Dakota und Wyoming. In mehr als zwei Jahren befehligte Ford eine Belegschaft von rund 5.000 Leuten, darunter neben den Hauptdarstellern überwiegend Eisenbahner, Indianer und Statisten aus 37 Nationen, die wie die Eisenbahnleute im Jahrhundert zuvor in einer fahrenden Stadt durchs Land zogen, von Wind und Wetter gepeinigt. 200 Köche waren mit der Versorgung betraut, die davon abhängig war, dass rechtzeitig Nachschub eintraf. 2.800 Pferde, 1.300 Büffel und 10.000 Rinder sollen zum Einsatz gekommen sein. Am Ende des aufwändigen Drehs, bei dem Ford die Studioleute beständig im Nacken saßen und ihn zur Einhaltung des Drehplans drängten, stand ein 150-minütiges Epos, das bei Kosten von ca. 280.000 Dollar (heute ca. 7 Millionen Dollar) weltweit einen Gewinn von 2 Millionen (heute: geschätzt 50 Millionen Dollar) einspielte und Ford einen entscheidenden Karrieresprung verpasste. THE IRON HORSE gilt heute als das vielleicht erste echte Meisterwerk des Westerns und zeigt überdeutlich, worin Fords ausgesprochene Stärke bestand. So gelang ihm eben genau das, was Griffith sich zehn Jahre zuvor vorgenommen hatte: einen filmischen Gründungsmythos zu schaffen, der die “Geburt der Nation” als einen kollektiven Kraftakt der einfachen Arbeiter darstellte, die aus aller Herren Länder gekommen waren, um einen gemeinsamen Traum zum Leben zu erwecken. THE IRON HORSE erfüllte mich während der Sichtung mit einem Gefühl der Demut und Ehrfurcht. Für den heutigen Betrachter wird das sicherlich auch durch das Alter des Films begünstigt, der mittlerweile selbst ein kulturhistorisches Artefakt ist, wie ein Fenster in die Zeit wirkt, aber diese Kraft liegt eben auch in Fords Inszenierung und in seinen Bildern begründet, die eine fast religiöse Kraft entfalten.

In einem Interviewfetzen erzählt Spielberg davon, dass er, wann immer er einen neuen Film vorbereitet, zur Inspiration mehrere Filme von Ford anschaut, darauf achtet, wie er den Frame setzte, wie er die Darsteller positionierte. Eine seiner Formulierungen fand ich sehr hilfreich, um zu verstehen, woher diese Kraft kommt: Spielberg sagt sinngemäß, dass jede Aufnahme von Ford immer auch eine Zelebrierung des Frames selbst sei, dass also der gewählte Rahmen für Ford mindestens genauso wichtig ist wie sein Inhalt. Es ist der Rahmen, der das Bild überhaupt erst macht, es aus dem Lauf der Zeit und der Bewegung herausreißt und es mit Bedeutung auflädt. Und weil Ford so unglaublich gut darin war, diesen Rahmen zu setzen (und natürlich auch darin, seinen Inhalt zu komponieren), benötigte Ford kaum Schwenks oder Fahrten (er setzt sie lediglich ein, wenn er, wie bei den Überfällen der Indianer auf den fahrenden Zug, einen Eindruck von Geschwindigkeit vermitteln will). Bewegung ist bei ihm vor allem psychologisch gedacht und sie entsteht sequenziell aus dem Zusammenspiel und der Kontrastierung der Frames durch die Montage. Man beachte die grandiose Sequenz, in der sich die Schurken in einem Saloon versammeln, um dort auf den Helden David (George O’Brien) zu warten. Man sieht in kurzen Aufnahmen die Killer, wie sie Position beziehen und dann warten, die innocent bystanders, die wissen, was sie Bösewichter im Schilde führen, die Tür, durch die David in Kürze eintreten wird. Irgendwann öffnet sich die Tür, man kann eine Stecknadel fallen hören, doch es sind zunächst nur Davids Freunde, drei alte Eisenbahnarbeiter, die sofort merken, was sich da zusammenbraut. Die Szene ist unfassbar spannend und ultradynamisch, obwohl sie eben nur aus diesen statischen Aufnahmen besteht, vom Mienenspiel der Darsteller und der quälenden Geduld lebt, mit der Ford den Moment, in dem David tatsächlich eintritt, herauszögert. Vor allem aber akzentuiert diese Anlage des Films als Collage aus statischen shots den mythischen Gehalt der Geschichte. Man fühlt sich als Betrachter von THE IRON HORSE, als sei man in eine alte Höhle getreten und betrachte nun im Licht einer Taschenlampe die Zeichnungen an den Wänden, die die Menschen dort vor Hunderten von Jahren hinterlassen haben. Nur dass sich diese Bilder eben bewegen, leben und auf den größtmöglichen Effekt hin komponiert sind. Es ist unfassbar, was alles in diesen Bildern steckt, die doch auf den ersten Blick so einfach zu sein scheinen.

Daher rührt auch die Frische, die THE IRON HORSE immer noch vermittelt. Die Erzählstrategien, der Szenenaufbau, das Spiel der Darsteller, die Actionszenen mit ihren zum Teil haarsträubenden Stunts, das erwähnte Framing wirken ebenso zeitlos, wie die Verbindung von quasidokumentarischen Elementen – ein großer Teil des Films befasst sich mit der Arbeit rund um den Bau der Eisenbahnlinie – und des eigentlichen Plots, einer sich über mehrere Jahre erstreckenden Rache- und Liebesgeschichte. Es gibt wunderbare Details zu bestaunen, die nur wenig mit dem eigentlichen Plot zu tun haben, aber ihren Teil dazu beitragen, dass das Zeitporträt so ungemein reich und lebendig wirkt. Die Städte, die mit dem Vorankommen des Bauunternehmens auf- und wieder abgebaut werden, die plötzlich hoffnungsvoll aus dem Boden schießen, während andere sterben. Ein Mann malt schnell eine Null auf ein Schild, als die Eisenbahner kommen, den Grundstückspreis von 25 auf 250 Dollar anhebend. Der Richter, der in einem fahrenden Saloon Gericht hält. Das Miteinander der verschiedenen Nationalitäten. Leid und Glück, die im Gefolge der Arbeiter mitziehen und sich oftmals die Hand reichen. Nur ganz kurz sieht man einmal, wie ein Mann beerdigt wird, seine weinende Frau allein neben dem Grab zusammenbrechen, bevor alle weiterziehen. Man weiß nicht, wer das ist und was ihn das Leben gekostet hat. Aber man ahnt, was jeder einzelne damals in die Waagschale warf, um nach Westen zu kommen, und weiß, dass vielen dieses Ziel so viel wert war, dass sie darüber ihr Leben riskierten. Jeder Traum hat seine Schattenseiten. Man erkennt schon, welche Konflikte auf die noch junge Nation zukommen werden. Die Kollision zwischen dem Traum, den Leute wie David träumen, und den Ambitionen finsterer Geschäftsleute, beschäftigt nicht nur amerikanische Filmemacher bis heute.

THE IRON HORSE ist ein unglaublicher Film, ein Mammutwerk, das in einem wahren Kraftakt aus dem Nichts erschaffen wurde, aber dabei ungemein leichtfüßig und sicher wirkt. Es ist das Werk eines vollendeten Künstlers, absolut souverän im Umgang mit der Technik, die ihm wie eine Verlängerung des Körpers ist, mit der klaren Vision eines Veteranen, den nichts mehr überraschen kann. John Ford war zu diesem Zeitpunkt gerade 30 Jahre alt.


3 bad men (john ford, usa 1926)

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In 3 BAD MEN verbindet John Ford den mythischen Gehalt seines THE IRON HORSE mit dem leichtfüßigen Ton und der Sentimentalität, die seine Komödien JUST PALS und LIGHTNIN’ auszeichnete.

3 BAD MEN spielt im Jahr 1877, einige Jahre, nachdem die Nachricht die Runde gemacht hatte, dass im Gebiet der Sioux-Indianer in North Dakota riesige Goldvorräte lagerten. Der Fund zog mehrere Goldsucher an, die den Zorn der heimischen Indianer weckten. Als sich 1876 die US-Armee einschaltete, um die blutigen Streitigkeiten zu “schlichten”, brach der so genannte “Great Sioux War” aus, zu dessen entscheidenden Schlachten auch jene am Little Big Horn gehörte, bei der General Custer sein Leben verlor. Nach der Kapitulation der Indianer im Jahr 1877 ordnete Präsident Ulysses S. Grant ihre Umsiedlung an und gab das gewonnene Land für amerikanische Siedler frei. Tausende versammelten sich an einer “Startlinie”, um pünktlich zur Freigabe durch die Armee loszupreschen und ein Stück Land zu ergattern, auf dem sich eine bessere Zukunft – womöglich eine in Reichtum? – aufbauen ließ.

Ford stellt seine Siedler-Geschichte konsequent auf den Kopf: Nach der Konvention wären seine Hauptfiguren sehr wahrscheinlich die hübsche Lee Carlton (Olive Borden), die ihren Vater, mit dem sie im Planwagen auf dem Weg in eine neue, ungewisse Zukunft in Dakota ist, bei einem Überfall verliert und plötzlich selbstständig werden muss, und der tapfere Dan O’Malley (George O’Brien), der schließlich ihr Herz erobert und mit ihr gemeinsam ein neues Leben beginnt. Aber Ford zäumt den Gaul anders auf, richtet sein Hauptaugenmerk auf die drei freundlichen Ganoven “Bull” Stanely (Tom Santschi), Mike Costigan (J. Farrell MacDonald) und “Spade” Allen (Frank Campeau) – eine Texttafel sagt über sie, dass sie Pferde nicht stehlen, sondern lediglich das Glück haben, stets solche zu finden, die niemand verloren habe -, die Lee nach dem Überfall zu Hilfe kommen und sich aus Mitgefühl sofort ihrer annehmen. Sie fungieren im Folgenden als Ersatzfamilie für die allein dastehende junge Frau, stellen ihre eigenen Pläne konsequent hinten an und verwenden ihre gesamte Energie darauf, sie zu beschützen und einen neuen Mann für sie zu finden – wobei die Wahl auf Dan fällt. 3 BAD MEN ist gleichermaßen komisch wie rührend in seiner Zeichnung der drei Halunken, die zu weichherzig sind, um ihrem eigentlichen “Beruf” nachzugehen, sich aber mit großem Eifer und Herz der eigentlich gänzlich “unmännlichen” Aufgabe widmen, Lee und Dan zusammenzubringen, und sich am Ende bereitwillig für die beiden opfern, um so wenigstens einmal etwas Gutes getan zu haben. Fords Film überrascht in seiner Verkehrung sonst geschlechtsspezifischer Eigenschaften: Lee darf auch in Cowboy-Kluft durch und durch weiblich sein, sich ganz ohne Ohnmachtsanfälle und sonstige Schwächen behaupten, während die “3 bad men” sie umsorgen wie gütige Haushälterinnen. George O’Brien, in THE IRON HORSE noch der strahlende Held, tritt hier als Dan eher in den HIntergrund: Seine Eignung als Ehemann und Beschützer steht nie in Frage, aber er wird nicht über die Frau gestelllt, vielmehr sind beide vollkommen gleichberechtigt. Das Ende rührt zu Tränen: Da ruft Lee in ihrem neuen, mit Dan bewohnten Haus anscheinend nach den drei freundlichen Halunken (die in den Szenen zuvor eigentlich ihr Leben gelassen haben), nur um dann ein Baby vom Boden aufzulesen, das nach den einstigen Beschützern benannt wurde. Das Schlussbild zeigt die Geister der drei Männer als Silhouetten auf den Sonnenuntergang zureiten, sich kurz umarmend, bevor sie sich in Luft auflösen und für immer verschwinden. Das Konstrukt erinnert etwas an jene Variation der Geschichte der heiligen drei Könige, die Ford 1919 in seinem verschollenen MARKED MEN erzählt hatte und 1948 mit 3 GODFATHERS noch einmal aufgreifen sollte.

Geschichte, so zeigt Ford in seinem wunderbaren Werk, genauer: die Geschichte der Vereinigten Staaten, entsteht nicht einfach aus dem schicksalhaft-zufälligen, günstigen oder ungünstigen Zusammentreffen großer Ereignisse, sie ist vielmehr das Resultat vieler kleiner Handlungen, für die nicht Präsidenten, Generäle und Visionäre verantwortlich sind, sondern einfache Leute, die Entscheidungen treffen, die ihr eigenes Leben überschreiten. So werden in 3 BAD MEN also drei shakespeare’sche Clowns, die einer jungen Familie mit ihren selbstlosen Taten unterstützen, zu Geburtshelfern einer besseren Zukunft – und zu Helden.


bone tomahawk (s. craig zahler, usa 2015)

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bonetoma1Der Versuch, den Western mit dem Horrorfilm zu kreuzen, ist in der Filmgeschichte einige Male unternommen worden. Mehr als ein paar kleine Kuriositäten sind dabei bislang aber leider nicht entstanden. BONE TOMAHAWK ist der jüngste Beitrag zu dieser Tradition und er hat gegenüber vorangegangenen Crossover-Bemühungen schon einmal den Vorzug einer exzellenten Besetzung. Kurt Russell spielt den grummeligen Sheriff Hunt, der mit seinem greisen Deputy Chicory (Richard Jenkins), dem Revolverheld Brooder (Matthew Fox) und dem durch eine Beinverletzung gehandicappten Arthur (Patrick Wilson), dessen Gattin Samantha (Lili Simmons) von einer Gruppe von kannibalistischen Höhlenmenschen entführt wurde, auf Rettungsmission geht. Nach einer beschwerlichen Reise dringen die Männer in das Jagdgebiet der Menschenfresser ein und werden von ihnen blutig erwischt. Ihre Hoffnungen ruhen auf Arthur, den sie nach einer Operation zurückgelassen hatten …

Debütant S. Craig Zahler setzt auf Ruhe und einen langsamen, geduldigen Spannungsaufbau. Nach einen Horrorfilm-typischen Auftakt, der einen Vorgeschmack auf den Schrecken liefert, der den Zuschauer am Ende des über zweistündigen Films erwartet (und David Arquette und Sid Haig als jämmerliche Strauchdiebe aufweist), führt er in aller Ruhe die Protagonisten ein und schickt sie dann auf ihre beschwerliche Reise. Mehr als vom Adrenalin, das die Jäger vor ihrer Schlacht aufpeitscht, von einer unerschütterlichen Kameradschaft, die auch größte Unterschiede zwischen ihnen überwindet, oder von der Aussicht auf männliche heroics wird BONE TOMAHAWK von einem fast greifbaren sense of dread bestimmt, von der nagenden Angst der Männer, die schon viel zu viel gesehen und erlebt haben, um sich noch in gutgelauntem Zweckoptimismus üben zu können. Ihre Reise, das wissen sie, wird für einige von ihnen eine Reise ohne Wiederkehr, echte Hoffnungen darauf, die Entführten überhaupt noch lebend aufzufinden, haben sie nicht, stattdessen wappnen sie sich insgeheim für ein Grauen, das ihre Vorstellungskraft noch übersteigen wird. BONE TOMAHAWK konzentriert sich sehr auf diese Reise, die fast mythologischen Charakter annimmt, an antike Sagen erinnert, in denen sich der Held geradewegs in die Hölle oder ins Totenreich begibt. Und es sind kleine Details, die die Charaktere zum Leben erwecken, mehr als wortreiche Dialoge oder schillernde Zwischenepisoden. Chicory fragt sich vor dem Einschlafen, wie es ihm wohl gelingt, in der Badewanne zu lesen, ohne dass das Buch nass wird. Brooder, ein kaltblütiger Killer, schläft immer etwas abseits vom Rest der Gruppe. Und Arthur durchläuft auf seinem langsam vor sich hin faulenden Bein eine ganz eigene Passionsgeschichte. Wenn die Männer im blutigen Showdown auf die vertierten Kannibalen treffen, löst sich die angespannte Atmosphäre des Films in einem Ausbruch blitzschneller Attacken und bestialischer Gewalt. Die Skalpierung und Halbierung eines bemitleidenswerten Opfers sticht hervor, das Herausschneiden eines mutierten Kehlkopfes mutet dagegen fast schon liebevoll an. Doch echte Befreiung verschafft auch dieses Finale nicht. Sekundenlang wird das Schwarzbild gehalten, bevor die Credits zu laufen beginnen, der letzte Krampf eines Films, der nur von Schmerzen handelt.

Wenn sich die Reaktionen auf BONE TOMAHAWK in Lobeshymnen und eher etwas enttäuschte Stimmen einteilen lassen, falle ich wohl genau dazwischen. Nachdem, was ich gelesen hatte, hatte ich einen stilistisch etwas eigenständigeren, vor allem altmodischeren Film erwartet, mehr Western als Splatter. Zahlers Film ist aber in erster Linie ein moderner Schocker und fügt sich gut ein in die in den letzten Jahren etwas ausgedünnte Riege ultrabrutaler, um Realismus bemühter Horrorfilme. Die Farben sind ausgeblichen und trist, die Stimmen werden kaum einmal erhoben, der Soundtrack wird wenn überhaupt sehr sparsam eingesetzt, verstummt meist ganz. Die Kamera ist eng dabei, wahrt trotzdem Distanz wie ein Kriegsberichterstatter, die Gewalt kommt schnell und heftig, Erklärungen gibt es ebensowenig wie ein lösendes Happy End. Ein sehenswerter Film durchaus, aber doch weit weg von der Neuerfindung des Rades. Der ultimative Western-Horror-Crossover lässt weiter auf sich warten.


django nudo und die lüsternen mädchen von porno hill (byron mabe, usa 1968)

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tumblr_mqsuxorxcs1s4km0ro1_500Für diesen Film mache ich eine Ausnahme von meiner Regel, stets den Originaltitel als Überschrift zu wählen. Der Grund ist folgender: BRAND OF SHAME, wie DJANGO NUDO eigentlich heißt, ist ein unfassbar schäbiger, ultra-dilettantischer Sexwestern US-amerikanischer Herkunft, der von Produzent Erwin C. Dietrich für seine deutsche Verwertung mit einer Synchronisation veredelt wurde, die die drallen Unzumutbarkeiten des Films ganz offensiv angeht und ihn so auf Meta-Metaebenen emporhebt, where no man has gone before. Anstatt mit einer handelsüblichen deutschen Fassung von BRAND OF SHAME, hat man es bei DJANGO NUDO also eher mit einem Seelenverwandten von WHAT’S UP TIGER LILY? zu tun, für den Woody Allen bekanntlich einen japanischen Agentenfilm neu montierte, mit einer parodistischen englischen Synchronisation versah und so einen ganz neuen Film schuf. Der Unterschied besteht darin, dass BRAND OF SHAME in seiner Struktur weitestgehend unangetastet bleibt. Man bekommt also durchaus einen hinreichenden Eindruck davon, was für ein jämmerliches Schundprodukt da die Basis bildete, und der Witz besteht darin, dass diese Erkenntnis auch auf der deutschen Tonspur immer mitläuft.

So rattert gut hörbar ein Motor, wenn die aus Pressspan zusammengenagelte Kutsche durch hässliches Ödland fährt, weist Held Django (Steve Stunning) seine weibliche Begleitung bei einem ausgedehnten Spaziergang durch die langweilige Steppentristesse beharrlich auf die kargen örtlichen Attraktionen hin – namentlich Steine und Gräser -, wird das animalische Gegrunze der Akteure in den traurigen Sexszenen vom Knarzen und Quietschen der Betten übertönt, und lässt die Synchro ihr Übersetzungshandwerk irgendwann schließlich ganz fallen und kommentiert als Voice-over die Rammdösigkeit der Handlung mit großer Offenherzigkeit. Willkürliche Zensurpiepser übertönen obszöne Ausdrücke und wenn das Gerödel der wenig ansehnlichen Darsteller allzu deprimierend wird, wird das Bild kurzerhand ausgeblendet. BRAND OF SHAME ist aber auch ein wahrhaft bemitleidenswertes Stück belichteten Zelluloidabfalls, für das der Ausdruck “Film” deutlich zu hoch gegriffen scheint. Der an Parkinson leidende Kameramann kämpft während der gesamten Spieldauer damit, einen halbwegs geeigneten Bildausschnitt zu finden, schneidet ständig irgendwas ab, und filmt auch schon mal bedeutungsschwer ins Niemandsland hinein. Manchmal drängt sich der Verdacht auf, er sei während der Arbeit eingeschlafen: Im günstigsten Fall sind die Bilder meist nur unmotiviert, weit häufiger einfach zum Kotzen hässlich. Dazu gesellt sich die hier besonders stark ausgeprägte Eigenheit solcher Billigheimer, total unwichtige Szenen doppelt so lang dauern zu lassen wie es eigentlich nötig gewesen wäre: Da stolpern die Darsteller andächtig von links nach rechts durchs Bild, werden mitleid- und gnadenlos bei ihrer brotlosen Kunst festgehalten.

Das Leben verkommt so unter der “Regie” von Byron Cade zur tragischen Banaliade, bei der ausnahmslos alle sich zum Horst machen. Das gilt für Held Django, dessen selbstzufriedenes Grinsen von der Synchro konsequent mit selbstentlarvenden Sprüchen unterwandert wird, aber auch für sein love interest (Carah Peters), dessen unechte Brüste bei mir regelmäßig für dieses Zischen sorgten, das entsteht, wenn man die Luft zwischen zusammengebissenen Zähnen einzieht. Der schwarz gekleidete Schurke, der die beiden henchmen Rosenkohl und Güldenstern (der eine ein beschränkter Dummkopf, der andere eine ständig jammernde Schwuppe) befehligt, sowie die überwiegend für den unmotivierten Sex eingebauten Prostituierten, kommen kaum besser weg. Lediglich wenn “Bumsi” und “Bumso” auftauchen, ein Pärchen, das in einer Art Rahmenhandlung verzweifelt versucht, zum Stich in freier Wildbahn zu kommen, aber immer vom eigentlichen Plot gestört wird, darf man etwas auftamen, was wohl auch daran liegt, dass diese Szenen ganz offenkundig woanders gedreht wurden und auch farblich weniger vermatscht und überbelichtet aussehen. Ansonsten sorgen die schon erwähnte höchst suboptimale Kadrierung und die ultraschlampigen Settings dafür, dass man sich in “Porno Hill” geradezu eingesperrt fühlt. DJANGO NUDO ist durchaus als klaustrophobisch zu bezeichnen, selbst wenn er unter freiem Himmel und in der Steppe spielt. Der ganze Film hat was von einem schlechten Albtraum, wie man ihn vielleicht erlebt, wenn man total vollgefressen in ungünstiger Haltung und bei auf höchster Stufe laufender Heizung einpennt. Dass er von jemandem im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gedreht worden sein könnte, gibt zu denken. Ebenso, dass die komplett freidrehende Synchro wahrscheinlich das einzige ist, was die körperliche und geistige Unversehrtheit des Zuschauers bewahrt.

 


i quattro dell’apocalisse (lucio fulci, italien 1975)

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26772Initiiert durch den überraschenden Erfolg von Enzo Castellaris KEOMA, erlebte der Italowestern Mitte der Siebzigerjahre erlebte der Italowestern ein kurzes Revival, zu dem neben Castellaris KEOMA und Sergio Martinos MANNAJA auch Fulcis vorletzter Ausflug ins Genre zu zählen ist (ein paar Jahre später folgte noch der eher zahme SELLA D’ARGENTO). I QUATTRO DELL’APOCALISSE beginnt aber fast schon klassisch mit einem establishing shot, der das geschäftige Treiben in einer typischen Westernstadt zeigt, mit einfahrenden Kutschen und die Straße überquerenden Damen in feinen Ausgehkleidern. Lediglich ein Voice-over-Narrator kündigt an, dass das sich darbietende Idyll ein trügerisches ist: Der Sheriff der Stadt (Donal O’Brien) hat allem unliebsamen Gesindel den Kampf angesagt, und so landet der Falschspieler Stubby Preston (Fabio Testi) gleich nach der Ankunft in einer Zelle, die er mit der schwangeren Prostituierten Bunny (Lynne Frederick), dem Säufer Clem (Michael J. Pollard) und dem schwarzen simpleton Bud (Harry Baird) teilen darf. Die vier vom Schicksal Gebeutelten machen das Beste aus ihrer misslichen Lage und werden im Zuge einer kurzen Nacht zu Freunden. Dass sie mit ihrer Inhaftierung Glück im Unglück hatten, zeigt sich am nächsten Morgen, als sie erkennen, dass die Stadt in der Nacht Schauplatz eines wahren Massakers war. Weil es keinen Grund mehr gibt, die Vier festzuhalten, knöpft der Sheriff ihnen das letzte Geld ab, vermacht ihnen eine schäbige Kutsche und schickt sie auf die Reise. Im hoffnungsvoll benannten Sun City wollen sie ein besseres Leben beginnen, doch sie werden nie dort ankommen, denn es stellt sich ihnen Chaco (Tomas Milian) in den Weg, selbst Opfer von Gewalt, der nun erbarmungslos gegen alles und jeden zurückschlägt …

I QUATTRO DELL’APOCALISSE offenbart seinen biblischen Charakter schon im Titel, der sich natürlich auf die vier apokalyptischen Reiter bezieht, von denen in der Offenbarung des Johannes die Rede ist und die dort als Sendboten des jüngsten Gerichts fungieren. Dieses jüngste Gericht ist in Fulcis Film bereits in vollem Gange: Menschen werden grundlos abgeschlachtet, ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht, sintflutartige Regengüsse gehen auf die Erde hernieder und in einem verschneiten Bergdorf wartet die nur noch aus Männern bestehende Bevölkerung auf das unausweichliche Ende. Die vier Protagonisten sind aber keineswegs diejenigen, die Tod und Verderben bringen, vielmehr hilflose Zeugen eines Untergangs, der ihnen auf Schritt und Tritt folgt oder nur kurz vor ihnen seine Schneise der Verwüstung zieht. Mehr oder weniger passiv beschreiten Stubby und seine Gefährten ihren Weg, der in eine zunehmend desolatere Ödnis führt, nicht in das gelobte Land namens Sun City, sondern immer tiefer in die Verzweiflung, bis am Ende ein neues Leben das Licht der Welt erblickt und einen kleinen Hoffnungsschimmer mit sich führen darf. Mehr als einmal fühlte ich mich während I QUATTRO DELL’APOCALISSE an Fulcis apokalyptischen Horrorfilm L’ALDILA erinnert, der eine Art fantastisch-metaphysischer Variante derselben Geschichte ist: Ein Mann und eine Frau stemmen sich dem unabwendbaren Einbruch des Wahnsinn entgegen, nur um am Ende von diesem geschluckt zu werden und sich im wasteland der Ratio wiederzufinden. APOCALISSE bleibt im Unterschied zum Zombieklassiker mit einem Bein im irdischen Hier und Jetzt und lässt die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zumindest für einen seiner Charaktere bestehen, aber die Parallelen sind trotzdem unverkennbar.

Ich hatte Fulcis Spätwestern jetzt schon etliche Jahre nicht mehr gesehen und war überrascht, welch ruhige Gangart er einschlägt, ohne die Handschrift des Meisters dabei jedoch zu verleugnen. I QUATTRO DELL’APOCALISSE wirkt schon wie ein frühes Resümee, ein Abschiedsfilm, ohne Groll und Zorn, durchaus auf einer Note der Versöhnung schließend, aber doch wie das Werk eines Mannes, der sich keine großen Illusionen über das Wesen des Menschen und den Zustand der Erde mehr macht. Der folkige Score, dessen melancholischen Songs an Simon & Garfunkel denken lassen, unterstreicht noch den Eindruck, dass I QUATTRO DELL’APOCALISSE so etwas wie der Hangover nach dem Rausch der Sechziger mit seiner Utopie einer in Liebe und Frieden vereinten Welt ist. Auch Milians Aussage, seinen Chaco nach dem Vorbild Charles Mansons modelliert zu haben, passt dazu. Trotzdem ist Fulcis Film niemals kalt, im Gegenteil: Das Schicksal von Stubby und Bunny lässt wohl nur den Abgebrühtesten kalt und wenn die Männer am Ende voller Freude der Aufgabe entgegensehen, ein Baby aufziehen zu dürfen, ist das geradezu herzzerreißend schön. Ein toller, absolut ungewöhnlicher Film und ein weiterer Beleg dafür, was für ein herausragender Filmemacher Lucio Fulci war.

 

 

 



tempo di massacro (lucio fulci, italien 1966)

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t4cwtamund3ibt4cf9jtw6wd6lfNur knapp vier Monate nach Sergio Corbuccis DJANGO erschien Fulcis erster Western, der in Deutschland flugs “eingemeindet” wurde: DJANGO – SEIN GESANGBUCH WAR DER COLT hieß der Film hierzulande bei seinem Start im Mai 1967. Die Titelgebung war vielleicht nicht ganz ehrlich, aber durchaus nachvollziehbar. Mit Franco Nero war der Hauptdarsteller aus Corbuccis Film, der wahrscheinlich noch mehr als Leones Dollar-Trilogie festlegte, wie italienische Western in den folgenden Jahren (meist) aussehen würden, wieder mit von der Partie, und wie dort spielt er einen schweigsamen drifter, der in einem heruntergekommenen Westernnest mit den Auswirkungen des blutigen Treibens eines Großgrundbesitzers (Giuseppe Addobbati) bzw. dessen durchgeknallten Sohnes (Nino Castelnuovo) konfrontiert wird. Die Auseinandersetzung mit dem Feind führt erst zur Bestrafung durch Peitschenhiebe (in DJANGO wurde dem Helden noch die Hand zermatscht), dann schließlich zur “Wiederauferstehung” und zum bleihaltigen Showdown.

TEMPO DI MASSACRO ist roh, war wahrscheinlich eher preiswert und lässt die visuelle Eleganz späterer Filme Fulcis notgedrungen vermissen, auch wenn man sie hier und da wiederfindet, etwa in der Vorliebe für Bildkompositionen, in denen Gesichter im Vordergrund angeschnitten und in ein Spannungsverhältnis zu weiter im Hintergrund platzierten Charakteren gesetzt werden (ein Gestaltungselement, dass Fulci in seinem Historienfilm BEATRICE CENCI zur Vollendung führen sollte). Der Expressionismus, der die besten Italowestern zu nihilistischen Schlamm- und Wüstenopern macht, wird hier von einem Regisseur im Zaum gehalten, der sichtlich seiner Vorliebe für den klassischen US-Western frönt. Dem Helden Tom (Franco Nero) zur Seite steht sein Bruder Jeff (George Hilton), ein hoffnungsloser Säufer, der eine sehr offensichtliche Hommage an Dean Martins Charakter aus Howard Hawks’ RIO BRAVO ist (ein Film, der überhaupt einen nicht unerheblichen Einfluss auf den Italowestern hatte, ich denke da etwa an Barbonis LO CHIAMAVANO TRINITÀ). Und der brutale Racheplot wird zudem durch eine tragische Komponente aufgeweicht, die TEMPO DI MASSACRO zu einem Vertreter des sogenannten Familienwesterns macht: Tom muss nämlich feststellen, dass ihn enge Bande an den vermeintlichen Feind knüpfen, der gar nicht der Bösewicht ist, für den er ihn gehalten hat. Aber die Erkenntnis kommt zu spät für eine tränenreiche Wiedervereinigung. Im Finale geht es dann ordentlich rund und in ein zwei Szenen fühlt man sich gar an die artistischen Extravaganzen des hongkongchinesischen Martial-Arts-Films erinnert: Als Tom sich mit einer Kutsche gegen eine Barrikade katapultiert, hinter der sich einige der Schurken verschanzt haben, springt er mit einem gewaltigen Salto über sie hinüber, um sie dann nach geglückter Landung von hinten zu erschießen. Gut gefallen hat mir auch die Nebenfigur des chinesischen Schmieds, der ständig Lebensweisheiten von Konfuzius zum besten gibt und sich außerdem auch noch ein Zubrot als Leichenbestatter und Saloon-Pianist verdient. Schon damals musste man sehen, wo die Kröten herkommen und dafür einiges an Kreativität aufbringen.

Insgesamt ist Fulcis Italowestern eine runde Sache, aber keine der Großleistungen des Genres, eher ein Film der zweiten oder dritten Reihe, gehobenes Mittelmaß eben. Trotzdem schön, und mit Fulci macht man eigentlich nie wirklich etwas falsch. Es sei denn, man schaut sich IL FANTASMA DI SODOMA an.


zanna bianca (lucio fulci, italien/spanien/frankreich 1973)

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zanna-bianca-locandina-lowIn Jack Londons berühmtem Roman “White Fang” (deutscher Titel: “Wolfsblut”) geht es um den Kontrast zwischen Zivilisation und Natur, der am Beispiel eines Wolfsmischlings herausgearbeitet wird. Das Junge eines Wolfs und einer Schlittenhündin beginnt sein Leben als Haustier eines Indianerstamms, wird dann an einen skrupellosen Geschäftemacher verkauft, der es bei blutrünstigen Tierkämpfen einsetzt. Unter der Obhut des Abenteurers Scott reist das Tier schließlich zurück nach Kalifornien, wo es sich erneut der Zivilisation anpassen muss. In Lucio Fulcis Adaption tritt das Tier selbst ein wenig in den Hintergrund, doch die thematische Orientierung des Romans bleibt weitestgehend erhalten.

Der Regierungsbeamte Kurt Janssen (Raimund Harmstorf) und sein Freund, der Schriftsteller Jason Scott (Franco Nero) reisen an den Klondike River in Kanada, genauer gesagt in das Goldgräberstädtchen Dawson City, in dem sich der verbrecherische Geschäftsmann Charles “Beauty” Smith (John Steiner) niedergelassen hat. Auf dem Weg dorthin begegnen sie dem Indianer Charlie (Daniel Martin), der mit seinem Sohn Mitsah (Missaele) und dem Hund “Wolfsblut” zusammenlebt. Ein Unfall Mitsahs bringt die Familie nach Dawson, wo Smith den Indianer umbringen lässt und den Hund in seine Gewalt bringt. Als sich die Nachricht ausbreitet, dass neue Goldvorkommen im Osten entdeckt wurden, eskalieren die schwelenden Konflikte …

ZANNA BIANCA ist ein mit deutlich erkennbaren kommerziellen Ambitionen aufwändig produzierter Abenteuerfilm “für die ganze Familie”. Die beiden Freunde Kurt und Jason setzen es sich sofort zum Ziel, in Dawson für Ordnung zu sorgen und legen sich dafür – unter großzügigem Gebrauch ihrer Fäuste – mit Smith an. Hier erinnert Fulcis Werk durchaus etwas an die frühen Spencer/Hill-Filme mit ihren gut gelaunten, unverdrossenen Helden, lockeren Sprüchen, saftigen Keilereien und schmierigen Schurken. Harmstorf darf einmal sogar Nägel mit der Hand ins Holz dreschen: Die Kartoffel aus DER SEEWOLF hatte Spuren hinterlassen. Das ganze Setting, der Subplot um Wolfsblut und den Indianerjungen ist natürlich etwas, das Jungs damals das Herz aufgehen lassen musste, und ein bisschen Romantik gibt es auch in den zart angedeuteten Liebesgeschichten zwischen der Saloonsängerin Krista (Carole André) und Kurt auf der einen, der Nonne Schwester Evangelina (Virna Lisi) und Jason auf der anderen Seite. Fernando Rey sorgt zwei Jahre nach seinem Auftritt in THE FRENCH CONNECTION für Hollywood-Atmosphäre in der rein europäischen Produktion und natürlich darf ein explosiver Showdown auch nicht fehlen. ZANNA BIANCA ist schön anzusehen und stimmt heute angenehm nostalgisch.

Man spürt aber auch, dass Fulci für die wohl angestrebte Form reuelosen Eskapismus nicht ganz der richtige Mann war, ihm eine werkgetreuere Adaption des London-Romans wahrscheinlich lieber gewesen wäre. Die Skepsis gegenüber dem Menschen, die latente Misanthropie, die den Spätwestern auszeichnet, aber eben auch charakteristisch für Fulcis Schaffen ist, steht dem unbeschwerten Vergnügen dann doch merklich im Weg: ZANNA BIANCA wird seine Melancholie, ausgelöst durch die Einsicht in die Korrumpierbarkeit des Menschen, nie ganz los und die überschwängliche Freude, die Jason am Ende empfindet, wenn er den totgeglaubten Hund doch noch in die Arme schließen und mit in die Zivilisation nehmen darf, will sich einfach nicht auf den Betrachter übertragen. Zu sehr erkennt man darin das Bestreben des Menschen, sich alles zu Untertan zu machen. Wolfsblut gehört, genau wie sein Herrchen Mitsah, in die verschneite Landschaft der kanadischen Wälder, nicht in die Stadt. Ein Erfolg war ZANNA BIANCA aber trotzdem, weshalb Fulci nur ein Jahr später ein Sequel folgen ließ, mit der nahezu gleichen Besetzung. Es sei ihm von Herzen gegönnt.


terza visione 3: 3 pistole contro cesare (enzo peri, italien 1966)

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121048Wenn fremde Elemente und Einflüsse, Humor und Dekonstruktion Einzug in den Genrefilm halten, ist das meist ein untrügliches Zeichen dafür, dass dieses in seine letzte, die sogenannte Dekadenzphase eingetreten ist. Umso erstaunlicher ist Enzo Peris Italowestern 3 PISTOLE CONTRO CESARE, der unter anderem einen Karateka und einen Hypnotiseur gegen einen Schurken antreten lässt, der sich selbst “Julius Caesar” nennt, sich in edle Tuniken hüllt und am liebsten in der Gesellschaft schöner Mädchen in seinem luxuriösen Bad tummelt. Enzo Peris Film wurde nämlich keineswegs in den mittleren bis späten Siebzigerjahren gedreht, als der Italowestern seine letzten Atemzüge machte, auch nicht in den späten Sechzigern, als die erprobte Formel immer häufiger durch Ausflüge in den Bereich der Komödie aufgelockert bzw. erweitert wurde, sondern 1966, dem Jahr von Bruno Corbuccis DJANGO, dem großen stilprägenden Gamechanger und Superhit des noch jungen Genres, der für das, was danach kam, wahrscheinlich noch deutlich wichtiger war als Leones Dollar-Trilogie.

Inhaltlich weicht 3 PISTOLE CONTRO CESARE von DJANGO nicht allzu weit ab: Statt eines geheimnisvollen drifters, der in eine fremde Stadt einreitet und dort für Ordnung sorgt, sind es hier die drei Halbbrüder Whitaker Selby (Thomas Hunter), Lester Kato (James Shigeta) und Etienne Devereaux (Nadir Moretti), die in der Fremde ein Grundstückserbe antreten wollen, es dabei aber mit dem schurkischen Julius Caesar Fuller (Enrico Maria Salerno) zu tun bekommen, der nicht nur einst den Vater der drei umgebracht, sondern sich danach auch dessen Grundbesitz unter den Nagel gerissen hatte. Es kommt zur Auseinandersetzung zwischen den Helden und den Schergen des Bösewichts, bei der auch die hübsche Halbschwester Mady (Delia Boccardo) mitmischt.

So weit, so generisch. Was aber an Peris Film sofort auffällt, das sind die comicartigen Einsprengsel und Details: Whitaker trägt zwei Superrevolver bei sich, die auf Knopfdruck nicht nur zusätzliche Läufe ausfahren, sondern auch aus den Griffen feuern. Etienne kann seine Gegner mit einem hypnotischen Fingerzeig lähmen, Lester harte Handkantenschläge verteilen. Der echte Hingucker des Films ist aber Salerno als Caesar-Verehrer, der in seinem an den Rand einer Klippe gebauten Haus lebt wie ein Kaiser, sich entsprechend gewandet und über Leben und Tod seiner Feinde von oben herab per Daumensignal entscheidet. Man kann dieses Detail durchaus als Abschiedsgruß in Richtung des ehrwürdigen Sandalenfilms, des Peplums, verstehen, der vom Italowestern in der Gunst des Publikums abgelöst wurde: Ein “Duell”, das im Showdown von 3 PISTOLE CONTRO CESARE quasi nachgestellt wird und natürlich zugunsten der Westerner ausgeht.

Der nur wenig bekannte Film bedeutete am letzten Tag des Terza Visione einen mehr als gelungenden, weil enorm schwung- und humorvollen Einstand. Daran änderten auch die rund zehn Minuten nichts, die die vorgeführte deutsche Version gegenüber der Originalfassung einbüßen musste. Wahrscheinlich im Wunsche, dem Zuschauer mehr Western fürs Geld zu bieten, wurden gerade jene Szenen entfernt, in denen Salerno noch ein bisschen mehr auf die Tube drücken durfte. Man merkt nichts von den Kürzungen, das Narrativ bleibt von ihnen völlig unangetastet, das gewonnene Tempo ist gewiss nicht zu verachten, auch wenn man gewiss bedauern darf, nicht noch mehr von Salerno zu Gesicht zu bekommen. Und natürlich von Femi Benussi, die eine von Caesars Poolschönheiten spielt, in der deutschen Schnittfassung aber über eine winzige Statistenrolle nicht hinauskommt, bei der man sich fragt, warum sie überhaupt mit einem Rollennamen bedacht wurde. Im Original darf sie noch ein Liedchen zu Besten geben, das ich wirklich gern gehört hätte, denn wie sagt der Volksmund so weise: “Ein Lied von der Benussi, ist immer ein Genussi.” 3 PISTOLE CONTRO CESARE bekommt von mir aber so oder so: ein Bussi.


the revenant (alejandro g. iñárritu, usa 2015)

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revenant-leoEin Blut-Schweiß-Tränen-Rotz-Schnee-Matsch-Erd-und-Eingeweide-Epos: THE REVENANT, der auf der wahren Geschichte des Trappers Hugh Glass basiert, erzählt ausdauernd von Schmerz und Leid und vom entsagungsreichen Leben unter widrigen Bedingungen, das, wenn man Glück hat, nach einem heftigen Adrenalinschub der Angst von einem schnellen, gewaltsamen Tod beendet wird, oder aber, wie im Falle des Protagonisten, einfach nicht aus den Knochen weichen mag, sich an den gemarterten Körper klammert wie die Pranken eines Bären, ihn auf allen Vieren durch die Wildnis treibt.

Alejandro G. Iñárritu hat sich bisher nicht gerade einen Namen als „bescheidener“ Regisseur gemacht. Seinen Filmen haftet immer etwas der Ruch der Aufschneiderei, des überflüssigen Pomps und Kitsches sowie der Prätentiosität an. AMORES PERROS, mit dem er 2000 international bekannt wurde, lief bereits 155 Minuten und verknüpfte mehrere Episoden und Schicksale zu einem theatralischen Runterzieher, in dessen Mittelpunkt das Schicksal eines armen Wauwaus stand. Dem folgenden 21 GRAMS konnte man mit einigem Recht vorwerfen,  in erster Linie den Zweck verfolgte, seinem Publikum mit großem Aufwand die Laune zu vermiesen zu wollen, BABEL verrannte sich mit weltumspannenden Netzwerk-Plot in rechtschaffenem Welterklärertum, und wenn man so hörte, wie unbescheiden Iñárritu über seinen preisgekrönten BIRDMAN schwadronierte, konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er sich tatsächlich für so wichtig und genial hielt, wie seine Filme das immer suggerierten. Auch THE REVENANT ändert nichts daran: Er dauert erneut zweieinhalb Stunden und wartet mit zwei Hauptdarstellern auf, die jeweils für die volle Dröhnung thespischer Gravitas und märtyrerartige Verschmelzung mit ihren Figuren stehen. Als besonderes Gimmick verzichtete der Regisseur auf die Verwendung jeglicher künstlicher Beleuchtung und die Auftaktsequenz, die Spielbergs D-Day in den US-amerikanischen Nordwesten verlegt, ihren Strand verteidigende Nazis durch attackierende Indianer ersetzt, ist selbstredend ohne (sichtbaren) Schnitt inszeniert. Die Handlung ist demgegenüber geradezu aufreizend sparsam: Es geht um Durchhaltevermögen und Lebenswillen, um Liebe und Loyalität und, ich bin geneigt zu sagen: natürlich, um Rache.

Damit wir uns richtig verstehen: THE REVENANT sieht wirklich fantastisch aus, lässt sich als ausufernder Bilderbogen beschreiben, der die ganze ungezähmte Wildheit der US-amerikanischen Wildnis in eindrucksvollen Panoramen einfängt, den armen, durchnässten Weißen, die wie ahnungslose Zielscheiben durch das feindliche Land ziehen, eine schroffe, unbarmherzige Natur entgegensetzt, deren Schönheit nur wenig mit den Idealisierungen der Romantik zu tun hat. Den Protagonisten dabei zuzusehen, wie sie sich dieser Natur entgegenwerfen, wie sie versuchen zu überleben und welche Entbehrungen sie dabei auf sich nehmen, ist durchweg packend und nicht selten schmerzhaft. Vor allem DiCaprio darf als halbtoter, durch die Mangel gedrehter Hugh Glass alle Register ziehen, bluten, schreien, grunzen, keuchen und kriechen, aber seine Mitstreiter, von denen nicht wenige von aus dem Nichts heranrasenden Pfeilen durchbohrt werden, und Tom Hardys Fitzgerald, dessen Indianerhass von einer überlebten Skalpierung herrührt, sollen auch nicht verschwiegen werden. Es ist schon eine Schau, THE REVENANTs Sadismus über die volle Distanz zu folgen. Definitiv der erste Film Iñárritus, bei dem ich mir eine Zweitsichtung wirklich vorstellen kann.

Aber, und das wäre dann also meine Kritik, es ist schon etwas seltsam, diese trotz esoterischem Geraune (Glass sieht immer wieder seine tote Indianergattin) im besten Wortsinne eindimensionale Geschichte im Gewand des großen Oscaranwärters dargeboten zu bekommen. Glass‘ Geschichte war schon einmal verfilmt worden, 1971 mit Richard Harris in der Hauptrolle als MAN IN THE WILDERNESS, und damals war das ein schlanker 100-Minüter von Richard Sarafian, an den sich heute niemand mehr erinnert. Unter Iñárritus Regie avanciert die Mär über einen sich grunzend durch den Schnee schleppenden Zottel, der nur von Rachegelüsten, eisernem Willen und – seien wir ehrlich – einer ihm vom Drehbuch angedichteten Tom-und-Jerry-haften Stehaufmännchen-Physis am Leben gehalten wird, hingegen zum kulturellen Großereignis, über das alle reden und dem die Auszeichnungen hinterhergeworfen werden. Das Missverhältnis ist kaum zu übersehen, und so langsam aber sicher finde ich die Obsession des amerikanischen Kinos mit dem Rachethema durchaus etwas problematisch: Ich habe rein gar nichts gegen einen kompakten, gewalttätigen Reißer, aber gibt es für das ganz große Kino wirklich keine interessanteren menschlichen Grenzerfahrungen mehr als unstillbaren Blutdurst und Hass? Wie oft müssen wir uns noch damit auseinandersetzen und so tun, als habe das wirklich etwas mit unserem Leben zu tun? Und: Ist es wirklich angemessen, diese Geschichte mit diesen Mitteln zum Großereignis aufzublasen?


the hateful 8 (quentin tarantino, usa 2015)

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f001Back in the day, als Quentin Tarantino mit PULP FICTION zum vielleicht größten amerikanischen Regisseur der Neunzigerjahre avancierte, da konnte er fast nichts falsch machen. Diskussionen begleiteten sein Schaffen zwar schon damals – Michael Madsens Tänzchen aus RESERVOIR DOGS erhitzte die Gemüter genauso wie der unabsichtliche Kopfschuss oder der sehr freie Gebrauch des N-Worts -, aber der wenn auch zerknirscht konstatierte Konsens hinter den Debatten besagte ohn Zweifel, dass Tarantino tatsächlich eben jenes Wunderkind war, als das man ihn medial gern bezeichnete. Monografien wurden über ihn verfasst, noch bevor seine dritte Regiearbeit erschienen war, Trittbrettfahrer kopierten seinen Stil und sorgten für eine wahre Flut von spektakulär besetzten Filmen über geschwätzige Killer und skurrile Zwielichtkreaturen.

Heute, 20 Jahre später, ist ein neuer Tarantino-Film immer noch Anlass für große Aufregung, noch dazu aus fast genau denselben Gründen wie damals, aber der Tenor hat sich, meine ich, seit einigen Jahren verändert. Die, die ihn damals schon für überschätzt, seinen Umgang mit Gewalt und der Rassenthematik problematisch fanden, fühlen sich mit jedem neuen Film bestätigt in ihrem Urteil, und die, die ihn einst vehement gegen die Kritiker verteidigten, sind mittlerweile gelangweilt davon. Was früher als des Regisseurs höchst eigener Stil galt – die popkulturellen Referenzen, die manirierten, ausufernden Dialoge, die Gewaltschübe inmitten der Komik -, wird heute als totgerittene Masche empfunden. Kurz gesagt: Das Wunderkind, das enfant terrible hat es versäumt, endlich erwachsen zu werden, sich weiterzuentwickeln. Die Aufregung um seinen neuesten Film, THE HATEFUL 8, erreichte – geschürt durch die marketingträchtige Entscheidung, den Film auf 70 mm zu drehen und in dieser Form in ausgewählten Kinos zu zeigen – dabei ganz neue Ausmaße. Erneut konstatierten einige Rezensenten, dass QT den Bogen nun aber endgültig überspannt habe, zogen seine Entscheidung infrage, einen Film, der eh nur in einem Raum spielt, auf 70 mm abzulichten, ekelten sich ob der „selbstzweckhaften“ Splattereffekte und fanden THE HATEFUL 8 schlicht „langweilig“. Aber welche Meinung man zu dem streitbaren Filmemacher auch einnehmen mag, man muss anerkennen, dass es derzeit keinen anderen gibt, dessen Arbeiten ähnliche Reaktionen zu entfachen in der Lage sind.

Meiner ganz unbescheidenen Meinung nach hat Tarantino mit THE HATEFUL 8 nicht weniger als einen seiner allerbesten Filme vorgelegt und sich nach dem tatsächlich eher faden, masturbatorischen DJANGO UNCHAINED nicht nur seiner Stärken besonnen, sondern konsequent den Rahmen geschaffen, um sie zum Leuchten zu bringen. Die Kritik, seine Filme seien „verlabert“ und „statisch“, begleitet ihn ja nun schon seit einigen Jahren – nicht ganz zu Unrecht. In THE HATEFUL 8 fällt dies nun vielleicht zum ersten Mal seit RESERVOIR DOGS überhaupt nicht mehr ins Gewicht, weil es sich konsequenterweise um ein Kammerspiel handelt, angesiedelt in zwei ganz und gar abgeschlossenen Räumen (einer Kutsche und der Abgeschiedenheit von „Minnie’s Haberdashery“). In seiner ganzen Dramaturgie, die wie ein Whodunit auf die große Auflösung hinausläuft (und Samuel L. Jacksons Major Marquis Warren einmal gar als geistigen Ahnen von Hercule Poirot in Erscheinung treten lässt), dem moritatenhaften Charakter der Erzählung und der Thematisierung von Dichtung und Wahrheit kommt Tarantino in seinem neuesten Film ganz zu sich und seiner Vorstellung von Kino. Was nicht bedeutet, dass es nicht hier und da Anlass zum Widerspruch oder zum Zweifel gäbe.

Wie auch schon im Vorgänger geht es auch in THE HATEFUL 8 um Rassismus, um Hass generell und um die daraus sich ergebende Gewalt. Nahezu alle Charaktere sind Mörder mit fragwürdigen oder gar verachtenswerten Ansichten, selbst dann, wenn sie auf der Seite des Gesetzes stehen. Kopfgeldjäger John Ruth (Kurt Russell) trägt den Spitznamen „der Henker“, weil er seine Opfer stets lebendig beim Scharfrichter abliefert, ihnen so einen schnellen Tod vorenthält. Sein Kollege Major Marquis Warren hat während seiner im Krieg legitimierten Jagd auf weiße Rassisten billigend in Kauf genommen, dass auch mal die Falschen ins Gras beißen. Sheriff Chris Mannix (Walton Goggins), der etwas einfältige Sohn eines Südstaaten-Rebellen, spuckt in einem Fort rassistische Invektive. Sein großes Idol, General Sandy Smithers (Bruce Dern) tat sich im Krieg dadurch hervor, ein ganzes Batallion gefangener schwarzer Soldaten hingerichtet zu haben, weil sie ihm die Mühe einer Überführung nicht wert waren. John Ruths Gefangene, Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh), eine Schwerverbrecherin, auf deren Kopf satte 10.000 Dollar ausgesetzt sind, spuckt Geifer und Galle und scheint gar nicht zu normaler Kommunikation fähig. Und Scharfrichter Oswaldo Mobray (Tim Roth) rühmt sich mit wohlfeilen Worten der absoluten Gefühslkälte, die ihn umfängt, wenn er den Hebel umlegt, der seinen „Klienten“ das Genick bricht. Gesäumt werden diese Gestalten vom Mexikaner Bob (Demian Bichir) und dem Cowboy Joe Gage (Michael Madsen), zwei eher durchschnittlichen Halsabschneidern. 

Zwischen diesen Charakteren entspinnt sich schnell ein Psychospielchen: John Ruth ist überzeugt, dass ein Komplott zur Befreiung Daisys geplant wurde, und natürlich hat er Recht. In der klaustrophobischen Abgeschlossenheit von Minnie’s Haberdashery geht es nun darum, den Übeltäter zu enttarnen oder ihn zumindest so lang auf Distanz zu halten, bis der draußen tobende Schneesturm vorübergezogen ist und die Weiterreise zum Zielort aufgenommen werden kann. Das Ganze endet, wie man erwarten durfte, überaus blutig und schließlich in einer Konstellation, die an John Carpenters THE THING erinnert – nicht nur wegen des vorherrschenden eisigen Klimas. Auf dem Weg dorthin spielen Geschichten und die Frage, ob diese nun wahr sind oder erlogen, eine wichtige Rolle, ja sie ziehen sich fast leitmotivisch durch den Film: Ist der Lincoln-Brief von Warren echt? Lügt Bob über den Verbleib von Minnie und ihrem Mann Sweet Dave? Will Joe wirklich seine Mama zu Weihnachten besuchen? Hat Daisy Domergue wirklich eine 15 Mann starke Gang in der Hinterhand, die nur darauf wartet, „Minnie’s Haberdashery“ zu stürmen? Das Ganze kulminiert in der Geschichte, die Warren dem von Hass zerfressenen Smithers zur Provokation auftischt: Der will seinen vor Jahren verschollenen Sohn bestatten und muss sich von Warren nun in schillernden Details erzählen lassen, dass der diesen nicht nur umgebracht, sondern zu Tode gefoltert und dann oral vergewaltigt habe. Es bleibt offen, ob sich das wirklich so ereignet hat, aber es steht zu vermuten, dass Warren den Rassisten bloß dazu bringen will, die Waffe gegen ihn zu erheben, damit er ihn endlich abknallen kann.

Und so steht jede Einordnung des Geschehens auf wackligen Füßen. Die Brutalität, die Ruth gegenüber seiner Gefangenen an den Tag legt, scheint im weiteren Verlauf nicht mehr so ungerechtfertigt. Aber wenn sie ihrem Bruder Jody (Channing Tatum) in die Augen blickt, in denen wahre Liebe und Erleichterung aufflammt, ist sie auch nur ein Opfer, ein Mensch. Aber natürlich sind mit Minnie, Sweet Dave und deren Bediensteten auch Menschen für Jodys Coup gestorben, die für ihr Schicksal rein gar nichts können. Warrens Hass auf Weiße, die ihn nur aufgrund seiner Hautfarbe am nächsten Baum aufknüpfen wollen, ist nachvollziehbar, trotzdem hat man Mitleid mit dem greisen General, der sich kurz vor seinem Tod anhören muss, dass sein geliebter Sohn den Schwanz eines Schwarzen gelutscht hat. Es spielt gar keine Rolle, ob die Geschichte wahr ist oder nicht: Smithers glaubt sie, reagiert entsprechend, für Warren erfüllt sie ihren Zweck. Und im Rahmen des Films noch einen weiteren: Sie lenkt die Figuren (und den Zuschauer) für einige Minuten vom Wesentlichen ab, das sich im Hintergrund vollzieht. Man könnte auch sagen: Das kleine Scharmützel, das sich Warren zur Befriedigung seiner eigenen Gelüste leistet, kostet ihn mittelfristig das eigene Leben. Der Hass, der Zorn, der die Figuren durchtost, besiegelt auch ihren Untergang. Durch Mord lässt sich kein Leben erkaufen. THE HATEFUL 8 ist gewiss der moralischste Film Tarantinos.

Aber auch der bislang schmerzhafteste. Es hilft kein Bisschen, dass die Splattereffekte in ihrer Überzogenheit eher komisch sind und Distanz schaffen, im Gegenteil. Man fühlt sich betrogen um den Schmerz, um die Katharsis. Man ist noch nicht fertig mit diesen Figuren, auch wenn sie schon lange tot sind, sie nagen immer noch, nerven uns, lassen uns nicht in Ruh, wie das verräterische Herz, das in Poes Kurzgeschichte unter den Dielen schlägt. Eine Ausnahme ist Daisy Domergue, die Ruth von der ersten Sekunde an zum menschlichen Sandsack degradiert, ebenso großzügig wie beiläufig Schläge an sie verteilt und die am Ende, wo es eigentlich keinen Unterschied mehr macht, auch noch aufgeküpft wird. Da muss man dann lange zusehen, wie sie mit starrem Entsetzen im Blick vergeblich um ihr Leben kämpft, der weiße Rassist und der schwarze Sadist sich zusammenschließen, um die Frau zu beseitigen, von deren Tod sie rein nichts haben. Das ist so bitter, so sinnlos. Es wurde Tarantino immer vorgeworfen, dass seine Gewaltinszenierung verharmlosend sei. Bullshit. Das einzige, was ich ihm nach THE HATEFUL 8 noch vorwerfen würde, ist sein etwas seltsames Anbiedern bei den Schwarzen, das mehr als nur etwas misguided wirkt und mich etwas an Dave Chappelles Sketch mit dem „Black White Supremacist“ erinnert, nur mit umgekehrten Vorzeichen. An der Extraklasse von THE HATEFUL 8 ändert aber auch das nichts.

 


lawman (michael winner, usa 1971)

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lawman1971-ua-halfDer „Lawman“ ist Jared Maddox (Burt Lancaster) und er reitet auf seinem Pferd zielstrebig und unaufhaltsam in dem Westernnest Sabbath ein. Die Leute beäugen den Fremden, der zudem einen Toten mit sich führt, misstrauisch, wie sie das in solchen Orten immer zu tun pflegen. Er registriert es, aber er stört sich nicht weiter daran, lässt sich von seinem Vorhaben nicht abbringen und strahlt eine stoische Ruhe aus. In genau abgemessenen Schritten betritt das Büro von Sheriff Cotton Ryan (Robert Ryan) und bittet ihn in klaren, unmissverständlichen Sätzen um Mithilfe: Im Örtchen Bannock haben ein paar betrunkene Cowboys auf der Durchreise für einen Tumult gesorgt, bei dem ein Mann ums Leben gekommen ist. Die Verantwortlichen wurden identifiziert und sollen nun vor Gericht aussagen. Er ist gekommen, um sie fest- und mitzunehmen. Es soll keine Vorverurteilungen geben, die Männer erwartet ein fairer Prozess, kein Lynchmob. Aber wenn sie sich dem Haftbefehl verweigern, müssen sie mit den Konsequenzen rechnen. Wie er das sagt, weiß man, dass es keine leere Drohung ist, keine aufgesetzte Pose einer bloß behaupteten Stärke. Auch Ryan weiß das. Aber eben auch, dass Maddox seinen Willen so einfach nicht bekommen wird. Einer der Gesuchten ist der Großgrundbesitzer Vince Bronson (Lee J. Cobb), dem nahezu die ganze Stadt ihre Existenz verdankt. Und die Männer, die er um sich geschart hat, sind ebenso loyal wie zupackend …

Michael Winners erste US-Produktion ist ein grandioser Spätwestern, der den alten Recken des Genres, Lancaster oder Ryan, noch einmal wunderbar maßgeschneiderte Rollen spendiert. Darüber hinaus stellt er wohl den Ausgangspunkt für Winners anhaltende Beschäftigung mit verschiedenen Formen von Gewalt dar: Maddox ist natürlich im sprichwörtlichen Recht mit seinem Vorhaben, aber er muss sich die Frage gefallen lassen, ob die Kälte, mit der er den Willen des Gesetzes vollstreckt, ihn nicht selbst zum Psychopathen macht. Während die Cowboys, deren karge Existenz schon durch eine mehrtägige Abwesenheit bedroht wäre, sich heißblütig und mit dem Mute der Verzweiflung, aber ohne jede Aussicht auf Erfolg gegen Maddox zur Wehr setzen, harrt er der Dinge, die da kommen, jede Verantwortung an ihrem Ausgang von sich weisend. Lancaster spielt Maddox als eine Art metaphysischer Gewalt, geht seiner Mission ohne erkennbare Gefühlsregung nach, stellt Leib und Fähigkeiten ganz und gar einer abstrakten Institution zur Verfügung und droht dabei zum seelenlosen Monster zu verkommen. Er mag legitimiert sein in seinem Handeln, aber macht er die Dinge wirklich besser in seinem mitleidlosen Insistieren auf den Willen des Gesetzes?

Sein Spiegelbild ist Sheriff Ryan, der einst ein gefürchteter Schütze war, bevor ihm schon vor Jahren die Angst in die Glieder fuhr und ihn handlungsunfähig machte. Nun ist er froh in einem ruhigen Städtchen zu leben, in dem das Leben einen geordneten Gang ohne unangenehme Überraschungen geht. Gewalt ist ihm ein Gräuel, weil er weiß, dass sie nie ein Ende findet, dass jeder Mord unweigerlich einen Vergeltungsschlag und einen ewigen Kreislauf des Tötens nach sich zieht. Und er weiß außerdem, dass dieser Maddox the real deal ist, das irdische Äquivalent zum Sensenmann, und jeder, der sich mit ihm anlegt, dem Tod geweiht. Er steht ihm dann doch zur Seite, weil auch er den Stern an der Brust trägt, vor allem aber, um deeskalierend zu wirken, zu verhindern, dass sich zu viele Menschen unglücklich machen. Denn auch die einfachen Bürger Sabbaths kommen auf die überaus dumme Idee, das Gesetz gegen Maddox in die eigene Hand zu nehmen und die Ordnung durch Selbstjustiz am Lawman wiederherzustellen.

LAWMAN ist ziemlich toll, weil er einerseits metaphysische Western à la HIGH PLAINS DRIFTER vorwegnimmt, andererseits aber mit beiden Beinen in der Realität verhaftet bleibt und eher als kantige Parabel oder Brecht’sches Lehrstück denn als knallige Räuberpistole funktioniert. Was nicht bedeutet, dass es in LAWMAN nicht ziemlich zur Sache ginge. Es fließt protosplatterig viel Blut und wenn die armen Schurken ins Gras beißen, geschieht das ohne die kintoppige Theatralik des B-Westerns, sondern ist dreckig, schmerzhaft und endgültig. Das triumphale Lächeln eines siegreichen Helden bleibt ebenfalls aus, weil es einen Helden nicht mehr gibt und von einem Sieg angesichts der sich sinnlos stapelnden Leichen kaum gesprochen werden kann. Maddox ist schon viel zu erkaltet, als dass er noch Begeisterung und Enthusiasmus zeigen könnte, aber seine Routine ist fast noch schlimmer. Er leidet und trauert stumm mit der Welt, ohne zu bemerken, dass er sie doch selbst mitanschiebt.

 


deliria italiano: il mio nome è nessuno (tonino valerii, italien/frankreich/deutschland 1973)

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mein_name_ist_nobody_querEine Schönheit, die in über 40 Jahren nichts von ihrer Kraft eingebüßt hat und für mich persönlich mit jeder weiteren Sichtung wächst. Mein Eindruck am Ende, wenn der alternde Beauregard (Henry Fonda) – durch die Hilfe der mysteriösen Schelmenfigur Nobody (Terence Hill) als Westernlegende in die Geschichte eingegangen – auf einem Dampfer gen Europa schippert, dem Freund, der nun in seine Fußstapfen treten wird, ein paar Worte mit auf den Weg gibt: Was für ein unendlich weiser und kluger Film.

Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Damals, als Kind, haben mich die schwere Melancholie des Films, sein gelegentliches Abdriften in den Surealismus und sein Parabel- bzw. Metafilm-Charakter schwerst irritiert. Benennen konnte ich die Störfaktoren natürlich noch nicht, aber da war irgendwas, was ich einfach noch nicht verstand, schon gar nicht in einem Film mit Terence Hill, der nach meinem Geschmack doch vor allem Klamauk und Keilereien zu liefern hatte. Auch Henry Fonda passte nicht in mein Bild des Westernhelden: Ein solcher hatte auszusehen wie John Wayne und gewiss nicht „Beauregard“ zu heißen. Als er zum Shootout am Ende dann auch noch eine Brille aufsetzte, war für mich alles aus.

Heute ist das natürlich anders: Ich weiß, dass IL MIO NOME È NESSUNO Rückgriff nimmt auf Leones C’ERA UNA VOLTA IL WEST, dass es einige weitere Anspielungen auf die damals modernere Westernfilmgeschichte gibt – das „wild bunch“, das Grab von Sam Peckinpah, das Mitwirken von R. G. Armstrong -, und Nobody eine Variation von Hills damals immens populärer Trinità-Figur ist. Tonino Valerii, der unter der strengen Aufsicht von Produzent Leone (der einige Szenen selbst übernahm) in den USA inszenierte, liefert eine melancholische, traumgleiche Verabschiedung des einst so populären und amerikanischsten aller Filmgenres, lässt den Zeitenwandel von einem drifter vorantreiben, der deutlich engelsgleiche Züge trägt und aus einem metaphysischen Irgendwo zu kommen scheint. Wenn er und Beauregard sich gegenübertreten und philosophische Streitgespräche über Zeit, Geschichte und Heldentum führen, scheint die Zeit stillzustehen, der Film sich in einem überirdischen Raum zu bewegen. Das Geschehen um diese Szenen, die Keilereien, in die Nobody ein paar hilflose Ganoven verwickelt, auf einem Jahrmarkt noch dazu!, die Flucht Beauregards vor den 150 Reitern der wilden Horde: All das wirkt wie ein Traum, in dem nur Nobody die Handlungsmacht behält, weil er eher Idee ist, Deus ex Machina als Individuum aus Fleisch und Blut. Er ist der Geburtshelfer der Geschichte, ironischerweise, indem er dem Alten zum Sterben verhilft.

IL MIO NOME È NESSUNO ist gleichzeitig traurig wie hoffnungsvoll und dabei immer wunderschön. Weil Terence Hill mit seinen himmelblauen Augen und diesem unwiderstehlichen Gewinnerlächeln, dem ein ungebrochenes Selbstbewusstsein ohne Überheblichkeit innewohnt, ein perfekter Nobody ist, Henry Fonda den Revolverheld kurz vor dem Ausstieg mit kalter Stoik absolviert, ein idealer Gegenpart zur Quirligkeit Hills, Morricones Score die verschiedenen Emotionen, die dieser Film evoziert, in wunderschöne Melodien und Klangwelten übersetzt, der Film witzig ist (auch dank einer exzellenten Brandt-Synchro), aber sich mit diesem Witz nicht selbst ein Bein stellt. Im Gegenteil, er verstärkt noch die Wirkung und die Idee des Films. IL MIO NOME È NESSUNO schaut sich die menschliche Komödie mit dem wissenden Lächeln eines gütigen Gottes an.



ghost town (richard mccarthy, usa 1988)

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ghost-townA trip down memory lane: GHOST TOWN gehörte damals zum Inventar meiner Stammvideothek. Ich weiß nicht, wie oft ich das Cover in den Händen hielt, die Szenenfotos auf dem Backcover bestaunte und mir dachte, dass das schon ziemlich geil aussieht. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, warum ich GHOST TOWN dann doch nie ausgeliehen habe. Ich vermute, irgendwann wusste ich, dass die deutsche Version geschnitten war, bei meinen späteren Ausflügen nach Holland waren dann andere Filme wichtiger und interessanter. Tatsächlich habe ich GHOST TOWN jetzt zum ersten Mal gesehen. Und was soll ich sagen: Manchmal sollte man die Geister der Vergangenheit besser ruhen lassen.

Der Gegenwarts-Sheriff Langley (Franc Luz) stößt auf der Suche nach einer verschwundenen Frau (Catherine Hickland) mitten in der Wüste auf eine alte Westernstadt, die von Menschen aus einer längst vergangenen Zeit bewohnt wird. Das Städtchen zittert unter der Knute des schurkischen Devlin (Jimmy F. Skaggs), der auch die schöne Blonde gefangen hält. Langley muss sich den Geistercowboys stellen …

Es ist nicht so, dass GHOST TOWN kein Potenzial hätte: Es gibt nur wenig Beiträge zum Subgenre des Horrorwesterns und noch weniger davon sind gut. Man sieht McCarthys Films das karge Empire-Budget an – die titelgebende Geisterstadt darf nie wirklich zum Leben erwachen, bleibt eine etwas leblose Kulisse für eine handvoll Statisten -, aber die versierte Kameraarbeit von Mac Ahlberg und die guten Make-up-Effekte machen das Manko einigermaßen wieder wett. Das allergrößte Problem des Films: Er hat keine Handlung, ist fürchterlich langweilig, die gesichtslose Inszenierung wirkt steril und betont noch die budgetären Limitierungen des Projekts. Ein Sounddesign ist quasi nicht vorhanden, der Score typisches Empire-Archivgedudel, das ziellose Herumgelaufe zwischen den drei Häusern der Geisterstadt über die volle Laufzeit vor allem ermüdend. Diese typische Anmutung eines Achtzigerjahre-DTV-Plastikfilms killt jeden Westernspirit schon im Ansatz und was an positiven Ansätzen bleibt, fühlt sich für das inhaltliche Nichts, das GHOST TOWN anbietet, verschwendet an. Nee, das war nix.


the magnificent seven (antoine fuqua, usa 2016)

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Fuqua bleibt unvorhersehbar: Nach dem doch arg biederen SOUTHPAW folgt mit dem Remake von Sturges ewigem Westernklassiker von 1960 (der, gähn, natürlich auch schon ein Remake war, wir wissen es) wieder ein Film, der es mit den Höhepunkten seiner Filmografie – SHOOTER, BROOKLYN’S FINEST und THE EQUALIZER – aufnehmen kann. Er modernisiert die alter Heldengeschichte, interpretiert ihre Protagonisten als Kriegsversehrte, die USA als einen Ort, der sich schon viel zu lang über Gewalt definiert und liefert mit dem Showdown ein adrenalinpumpendes, physisches Actionfeuerwerk, wie man es im Kino dieser Größenordnung nicht mehr allzu oft geboten bekommt.

Das Örtchen Rose Creek, eine Siedlung, in der sich brave weiße Christen niedergelassen haben, wird von dem skrupellosen Kapitalisten Bartholomew Bogue (Peter Sarsgaard), der in der Nähe eine lukrative Mine betreibt, in Angst und Schrecken versetzt. Er will die Siedler vertreiben und schreckt dabei auch vor Gewalt nicht zurück. Emma Cullen (Haley Bennett), die in einem Scharmützel ihren Mann verloren hat, sucht den Gesetzeshüter Chisolm (Denzel Washington) auf, um Bogue Einhalt zu gebieten. Der Revolverheld stellt darauf ein schlagkräftiges Team zusammen. Dazu gehören der Ganove Faraday (Chris Pratt), der mexikanische Strauchdieb Vasquez (Manuel Garcia-Rulfo), der Südstaaten-Scharfschütze Goodnight Robicheaux (Ethan Hawke) und sein Partner Billy Rocks (Lee Byung-hun), den legendären Jack Horne (Vincent D’Onofrio) und den Indianer Red Harvest (Martin Sensmeier) …

Der Unterschied zum Original ist deutlich: Ja, die zu verteidigenden Siedler sind keine Mexikaner mehr, sondern treue Amerikaner, aber der Feind kommt nun ebenfalls aus dem Inneren des Landes. Bogue ist Vertreter eines brutal vorpreschenden Kapitalismus und bei seinem blutigen Vorgehen gegen die die widerspenstigen Siedler muss er nicht auf die Hilfe von Kriminellen zählen, sondern kann sich auf die Bereitschaft diverser offizieller „Sicherheitskräfte“ verlassen. In Chisolms spontan zusammengestellter Armee kommen hingegen Parteien zusammen, die noch vor nicht allzu langer Zeit verfeindet waren: Nord- und Südstaatler, ein Mexikaner, dessen Großvater den Amerikanern beim Angriff aufs Alamo eine empfindliche Niederlage bei- und dabei möglicherweise Faradays Großvater umgebracht hatte, der Indianerkiller Horne und ein Indianer sowie ein von allen als Exot kritisch beäugter Chinese. Anders als in Sturges‘ Film – und klassischen Heldenerzählungen generell – sind Chisolm und seine Männer damit aber eben nicht nur Außenseiter, die am Ende des Films in den Sonnenuntergang davonreiten müssen, sondern ein wesentlicher Bestandteil amerikanischer Geschichte, die immer wieder in Scharmützel mündet. Gewalt ist in Fuquas Film gleichermaßen Triebmotor für den „Prozess der Zivilisation“ wie sie immer wieder droht, alles um Jahrhunderte zurückzuwerfen – von den emotionalen Wunden, die sie schlägt, ganz zu schweigen. Fuqua ist wahrscheinlich eher einem konservativen politischen Spektrum zuzuordnen, aber er zeigt eben ziemlich deutlich, dass der Traum vom sauberen, gewaltlosen Fortschritt ein Irrglaube ist.

Ganz toll fand ich, wie er das finale Duell zwischen Chisolm und Bogue auflöst, wie er die Konventionen umdreht und Chisolm vom Machtrausch fortgetragen wird, was ihn beinahe das Leben kostet. Sein Blick spiegelt die ganze Ambivalenz des Films. Letztlich ist es Willkür, ob einen die Geschichte ins Recht setzt oder auf die Seite der Schurken.


true grit (joel coen/ethan coen, usa 2010)

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Das Original zum Film der Coens, das 1969 unter der Regie von Henry Hathaway entstand, ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil es John Wayne wenige Jahre vor seinem Tod endlich den Oscar bescherte, der nach rund 40 Jahren im Filmgeschäft längst überfällig war. Hathaways TRUE GRIT war sicherlich nicht Waynes bester Film – die Idee des New Hollywood war im Jahr zuvor unter anderem aus dem Grund geboren worden, um „Opas Kino“, wie es der 71 Jahre alte Hathaway verkörperte, abzulösen -, aber man ahnte wohl, dass es nicht mehr allzu viele Gelegenheiten geben würde, Wayne auszuzeichnen, und sein Rooster Cogburn in TRUE GRIT war eine jener selbstreflexiven Altersrollen, die auch heute noch gern ausgezeichnet werden. (Im Nachhinein hätte man vielleicht lieber auf Don Siegels THE SHOOTIST warten sollen, um Wayne die verdiente Würdigung zuteil werden zu lassen, aber man kann es sich halt nicht immer aussuchen – und Wayne war da auch bereits so stark vom Krebs gezeichnet, dass er von seinem Oscar nicht mehr viel gehabt hätte.) Ich mag Hathaways TRUE GRIT, weil ich mit ihm nostalgische Erinnerungen verbinde, aber es ist ein Film, der Ende der Sechzigerjahre hoffnungslos aus der Zeit gefallen war, ein bisschen hüftsteif und altmodisch, ganz so wie sein Held.

Im Werk der Coens ist TRUE GRIT sicherlich kein Fremdkörper, aber es handelt sich dennoch um einen auffallend klassischen Film: Erzählkino im besten Sinne, das ganz von der Wertschätzung seiner Macher für das amerikanischste aller Filmgenres lebt und aus seinen, sagen wir mal, gedrosselten künstlerischen Ambitionen keinen Hehl macht. Aber was heißt das schon, wenn die Coens hinter der Kamera stehen? Ihr TRUE GRIT ist so furztrocken wie Schießpulver, verliebt in die unwirtliche, aber majestätische Prärie, die wettergegerbten Gesichter seiner männlichen Protagonisten, ihre tabakverrauchten Stimmen und den spröden drawl, der ihnen so wunderbar gelassen von der Zunge rollt. Wichtiger als die Jagd auf den Mörder ist die Konfrontation der selbstbewussten, wohlartikuliert und bestimmt argumentierenden 14-jährigen Mattie (Hailee Steinfeld) und dem gammligen Veteran Cogburn (Jeff Bridges). Den „Biss“, der da eigentlich Bridges‘ Charkter zugeschrieben wird, ist ja vor allem die Eigenschaft, die die junge Mattie auszeichnet: In einer von erwachsenen Männern dominierten Welt tritt sie bedingungslos für ihre Interessen ein und Killern, Betrügern, Säufern und Strauchdieben auf die Füße – und triumphiert.

In Hathaways Film war der Charakter noch etwas weniger positiv gezeichnet worden: An Mut mangelte es Mattie auch dort nicht, aber es blieb trotzdem kein Zweifel daran, dass sie eigentlich keine Chance hatte. Gerettet werden muss sie am Ende auch in Coens Remake: Aber was bleibt ist nicht das Gefühl, dass der Wilde Westen doch nur etwas für harte Kerle ist, sondern dass der „true grit“, den Cogburn verkörpert, in Zukunft nicht mehr das Maß der Dinge sein wird. Am Ende will die mittlerweile erwachsene Mattie ihren einstigen Weggefährten wiedertreffen, auf einem Jahrmarkt, auf dem die alten Westernlegenden sich bestaunen lassen wie Zirkustiere, doch dort erfähr sie nur, dass Cogburn an auf läppische Art und Weise gestorben ist. Es bleibt der einarmigen Mattie vorbehalten, am Horizont zu verschwinden wie einst die Helden, nachdem sie den Tag gerettet hatten.Während Hathaway zur Zeit des Spätwesterns einen throwback inszenierte, einen Film, der noch einmal mit dem großen Schmelz der Klassiker gedreht war, reimaginieren die Coens den Stoff als Abgesang auf eine historische Epoche. Kritiker klagten, es handle sich nicht um einen „echten“ Coen-Film, aber das ist natürlich Quatsch: Bridges‘ Cogburn ist die alternde Westernvariante seines Lebowski, eine Episode um einen Erhängten ist ein weiterer, gelungener Beleg für den schwarzen Humor der Brüder, der Showdown wird wunderbar lässig hingeworfen, kurze angeteaserte Episoden und das Kommen und Gehen verschiedener Charaktere stärken den Eindruck, dass da eine ganze Welt im Hintergrund der Haupterzählung mitläuft. Den Coens ist mit TRUE GRIT ein wunderbarer, unprätentiöser Film gelungen(ihr kommerziell erfolgreichster überdies) und ein starker Western, dessen erzählerische Gelassenheit keine Schwäche, sondern Zeichen echter Meisterschaft ist.

the frisco kid (robert aldrich, usa 1979)

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In meinem Eintrag zu THE CHOIRBOYS hatte ich es schon angedeutet: THE FRISCO KID war der Grund, warum ich meine Aldrich-Retro damals abgebrochen habe – zwei Filme vor Schluss. Ich hatte einfach kein allzu großes Interesse an einer Komödie, die in Deutschland mit dem alle Hoffnungen zerstörenden Titel EIN RABBI IM WLDEN WESTEN gestraft war. Der Film, den ich bei diesem Titel vor meinem geistigen Auge hatte, sah einfach furchtbar aus. Die nun endlich nachgeholte Sichtung ist dann aber mal wieder eine Beweis dafür, dass man sich nicht von seinen Vorurteilen leiten sollte: THE FRISCO KID ist ein wunderhübscher kleiner Film, der im Gesamtwerk des Meisters zwar keinen der ganz vorderen Plätze einnimmt, aber gut dazu geeignet ist, seine große Vielseitigkeit zu bestätigen – und das Klischee des Macho-Zynikers zu zerstreuen, das sich immer noch recht hartnäckig hält.

THE FRISCO KID ist eine Mischung aus Schelmenkomödie, Road Movie und Schöpfungsmythos: Aldrich erzählt die Geschichte des kleinen, verträumten polnischen Rabbis Avram Belinski (Gene Wilder), der nach Amerika geschickt wird, um dort eine Gemeinde zu übernehmen und nebenbei eine Frau zu heiraten. Doch vorher muss er einmal das gesamte Land durchqueren, von dem er rein gar nichts weiß. Natürlich fällt er gleich zu Beginn drei Halunken zum Opfer, die ihn ausrauben. Dann nimmt sich der Ganove Tommy (Harrison Ford) des Greenhorns an und gibt ihm Geleitschutz. Doch der vermeintlich wehrlose Rabbi weiß sich durchaus zu behaupten und so gelingt es dem ungleichen Paar Schneestürmen, Indianern und Banditen zu trotzen …

THE FRISCO KID ist zu allererst mal eins: unendlich liebenswert und süß. Die Gutmütigkeit und Unverdrossenheit Belinskis überwindet die hartnäckigsten Barrikaden, vereint unvereinbare Gegensätze, versöhnt unterschiedlichste Kulturen, erobert die Herzen all derer, die ihm begegnen und ist damit eine Art idealisierter Vater der Idee, auf der die USA einst gegründet wurden. Dabei verkommt der Film unter Aldrichs Regie aber weder zur klebrigen Schmonzette noch zum pathetisch-patriotischen Erbauungsfilm, vielmehr bewahrt er sich seine gewisse Verschrobenheit und den Off.Beat-Charakter. Wer angesichts des Titels eine typische Fish-out-of-water-Komödie mit ethnischem Humor erwartet hat, sieht sich positiv überrascht. Zwar gibt es einige Gags in diese Richtung, aber insgesamt bleibt das alles sehr dezent – Wilders Belinski ist keine Lachfigur, im Gegenteil. Wenn er auch mit einem mordgierigen Lynchmob im Nacken am Prinzip des Sabbath festhält und sich weigert aufs Pferd zu steigen, ist das natürlich zunächst mal eine lustige Idee, aber noch mehr ein Plädoyer für Prinzipientreue, für das Festhalten an Werten, die man für sich als richtig erkannt hat. Wunderschön auch die Begegnung des Juden mit einem Indianerstamm, denen er dann sogleich einen traditionellen Tanz beibringt. Diese Sequenz hat mich tatsächlich fast zu Tränen gerührt: Was in den Händen eines anderen Regisseurs zu grellem Slapstick geronnen wäre, wirkt trotz des märchenhaften Charakters von THE FRISCO KID geradezu authentisch. Nach jahrzehntelanger Darstellung von Indianern als bemalten Wilden scheint die Vorstellung zunächst seltsam, aber warum sollten sie denn eigentlich nicht mit einem Rabbi tanzen? Die ganze Szene ist eine Befreiung: Hier werden zementierte, schmerzhafte Klischees mit Freude zertrümmert.

THE FRISCO KID ist ein kleiner Film, aber was Aldrich mit ihm macht, ist alles andere als das. Ihm ist ein positives, hoffnungsvoll stimmendes Werk gelungen, ein Film, der uns daran erinnert, dass es keine Unterschiede zwischen den Menschen gibt, die nicht überwunden werden können. Es bedarf dafür keiner Waffen und auch keines genialen diplomatischen Plans, lediglich etwas Mutes und der Bereitschaft, die Waffen als erster zu Boden zu legen. Wir brauchen solche Filme heute mehr denn je.

stagecoach (john ford, usa 1939)

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Mit STAGECOACH beginnt die vielleicht spektakulärste Phase in Fords Schaffen. Nicht, dass er bis hierhin nicht schon einige große Filme – darunter das Stummfilm-Meisterwerk THE IRON HORSE oder den düsteren Prä-Noir THE INFORMER – gedreht hatte: Aber mit STAGECOACH und den darauffolgenden Titeln schrieb er tatsächlich Filmgeschichte und erlangte den Ruf eines echten Meisters, beeinflusste das Schaffen zahlloser Filmemacher und hob das Handwerk auf die nächsthöhere Stufe. Es ist interessanterweise auch der erste Western, den der oft als „Western-Regisseur“ apostrophierte Filmemacher seit 1926 und 3 BAD MEN inszeniert hatte. In den Dreißigerjahren steckte der Western in der Krise und die großen Studios überließen das Genre der sogenannten Poverty Row – wo dann auch John Wayne, der mit Ford befreundet war, seine Sporen und den großen Durchbruch mit STAGECOACH verdiente. Ende der Jahre schien die Zeit also gewissermaßen reif zu sein, das amerikanischste aller Genres wiederzubleben. Ford tat dies in beispielloser Form und bot Wayne das Sprungbrett für eine unvergleichliche Karriere, die er oft gemeinsam mit ihm bestritt. Er wusste genau, welches Juwel er da hatte – im Gegensatz zu den Produzenten, denen Fords Beharren auf Wayne ein Dorn im Auge war: Dessen bis dahin einziger großer Western, Raul Walshs THE BIG TRAIL, war ein finanzieller Misserfolg gewesen: Ford wusste es hingegen besser und sagte seinem Star eine goldene Zukunft voraus, verkörperte er für ihn doch den perfekten „Jedermann“.

Aber STAGECOACH hat natürlich weitaus mehr zu bieten, als seinen Star, der die Rolle des fälschlicherweise als Outlaw gebrandmarkten Haudegens Ringo mit der ihm eigenen Präsenz versieht: Der Film ist eine Meisterleistung der Struktur – und lebt dabei längst nicht nur von seiner Reduzierung auf den limitierten Raum der titelgebenden Postkutsche, in der weite Strecken des Films spielen. Nein, wie man das von Ford gewohnt ist, reduziert er die gesamten USA auf diese wenigen Quadratmeter, zeichnet ein breites Spektrum verschiedener Charaktere unterschiedlicher Herkunft und verhandelt dabei Themen wie Klasse, Rasse und Moral in einer Differenziertheit, für die andere Filmemacher ein mehrstündiges Epos brauchen. Innere und äußere Dramen werden von Ford kunstvoll und mit ungemeiner Erzählökonomie verwoben. Er setzte einen Standard, der späteren, auch heutigen, Filmemachern die Schablone lieferte – Orson Welles behauptete, er habe STAGECOACH in Vorbereitung auf CITIZEN KANE 40 Mal gesehen -, die aber nur selten mit so viel Leben gefüllt wird wie hier. Anders als bei vielen heutigen Vertretern dieser radikalen Umsetzung des aristotelischen Prinzips der Einheit von Raum, Zeit und Handlung wirkt STAGECOACH niemals gimmickhaft, die Form übertrumpft nie den Inhalt, alls wirkt ganz natürlich gewachsen. So, als habe Ford nur den ersten Stein umgestoßen und damit eine Kettenreaktion in Gang gesetzt.

Die Story vn STAGECOACH ist nur vermeintlich leicht erzählt. Verkürzt geht sie so: Eine Grupe von Reisenden begibt sich vom Städtchen Tonto nach Lordsburg. Auf dem Weg dorthin muss sie Apachengebiet durchqueren, was besonders brisant ist, da die sich unter der Führung von Häuptling Geronimo auf Kriegspfad befinden. Zum Glück gabelt die Kutsche Ringo (John Wayne) auf, einen Cowboy, der wegen Mordverdachs gesucht wird, aber seine Unschuld beteuert. Am Ziel warten auf ihn das Kittchen oder aber die Plummer-Drillinge, die eigentlich Schuldigen, und er sinnt auf Rache.

Die äußere Handlung ist die Reise der Postkutsche, die wiederum, wenn man so will, in den größeren historischen Kontext der Indianerkriege eingebettet ist. Das Ziel ist Lordsburg, aber für die Reisenden hat der Ort jeweils eine andere Bedeutung: Für Ringo wird sich dort, wie erwähnt, sein weiteres Schicksal vollziehen, für die Prostituierte Dallas (Claire Trevor) ist es eine weitere traurige Etappe auf dem Weg nach unten. Aus Tonto wurde sie gemeinsam mit dem alkoholsüchtigen Dr. Boone (Thomas Mitchell) verwiesen, einem Mann der sein beachtliches medizinisches Talent dem Suff geopfert hat: Man will dieses „sündige“ Volk dort nicht haben. In Lordsburg, einem Sündenbabel voller Glücksritter, scheinen sie besser aufgehoben. Die junge, vornehme Lucy (Louise Platt) erwartet ein Kind und will zu ihrem Mann, einem Soldaten, der in Lordsburg stationiert ist. Der Kartenspieler Hatfield (John Carradine), ein zwielichtiger Charakter, von dem niemand etwas Gutes denkt, wird sich auf der Fahrt in sie verlieben und bekommt Gelegenheit zu zeigen, was für ein Kerl erwirklich ist. Der Bänker Gatewood (Berton Churchill), ein unsympathischer Patriarch, der nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist, ist der eigentliche Schurke, denn hinter der Fassade des seriösen Geschäftsmanns und Gentlemans steckt ein ganz gewöhnlicher Dieb auf der Flucht.

Der Schnapshändler Peacock (Donald Meek) ist eine zu vernachlässigende Figur, aber auch er bekommt Gelegenheit, sein wahres Ich zu zeigen. Die Dynamik, die zwischen den Figuren entsteht, macht den Film, mehr als die Frage, ob die Kutsche ihr Ziel erreichen wird oder die berühmte Actionsequenz, die den Indianerüberfall zeigt. Ford räumt allen Figuren Zeit ein, setzt sie in wechselnde Spannungsverhältnisse zueinander, die den draußen tobenden Konflikt ins Innere verlagern. Lucy verachtet die unmoralische Dallas, der unmoralische Hatfield verliebt sich in Lucy, der rechtschaffene Ringo in Dallas. Der stets besoffene, aber gut gelaunte Boone findet seinen Widerpart in Marshal Curly Wilcox (George Bancroft), der zweiten Vaterfigur an Bord. Beide kennen Ringo, wissen, dass er ein guter Kerl ist und treten ihm zur Seite, verkörpern aber auch die Generation, die nun langsam Platz machen muss – und natürlich ganz unterschiediche Seiten der Gesellschaft. Nominell sind beide Autoritätsfiguren, aber die eine ist vom Leben aus der Bahn geworfen worden. Der Kutscher Buck (Andy Devine) und Peacock fungieren als Comic Reliefs und agieren jeweils als eine Art Sidekick für Wilcox respektive Boone. Gatewood kommt die Funktion des Quertreibers zu, der den Erfolg, der im Wesentlichen davon abhängt dass sich die unterschiedlichen Individuen zusammenraufen, immer wieder gefährdet.

Meine Leser wissen mittlerweile, dass die USA bei Ford immer ein Schmelztiegel der Kulturen sind, dass man die einzelnen „Rassen“ aber längst nicht mehr sauber trennen kann. In STAGECOACH begegnet uns diese Überzeugung im kurzen Auftritt eines Cherokee-Apachen, der den Soldaten im Kampf gegen Geronimo hilft. Für den General ist er natürlich auch nur eine „Rothaut“, erst sein Untergebener klärt ihn über die feinen Unterschiede und die Feindschaft von Cherokee und Apachen auf. Später taucht dann noch ein freundlicher mexikanischer Gastwirt auf, der mit einer Apachin verheiratet ist, die abends am Feuer spanische Lieder singt. Der amerikanische Traum sieht bei Ford immer das Miteinander der Klassen und Rassen vor. Dem kommunalen Miteinander steht der Wunsch nach Prosperität gegenüber, den Gatewood verkörpert, ein Geld- und Machtmensch, für den Werte nur dann als solche zu bezeichnen sind, wenn sie sich mit Zahlen beziffern lassen. Dass er das Gesetz bricht, ist für ihn auch nur ein logischer Schritt im kapitalistischen Gesellschaftsspiel. Was im Verlauf des letzten Jahrunderts aus dieser Sichtweise auf die Welt geworden ist, sehen wir heute täglich in den Nachrichten aus dem Weißen Haus.

Die kurze Beschreibung verdeutlich vielleicht, wie reich STAGECOACH ist. Mehr kann und will ich hier gar nicht leisten. Ein Reichtum der so wunderbar effektiv durch seine „Knackigkeit“ kontrastriiert wird, denn natürlich funktioniert STAGECOACH auch als straighter Western und erlesenes Beispiel für das „Spannungskino“ ausgezeichnet. Ein Wayne am Start seiner Jahrhundertkarriere und eine furiose Actionsequenz sind hierfür wichtig, aber natürlich ncht allein verantwortlich. Ein Film, so klar wie ein funkelnder Kristall, der aber immer wieder faszinierende Lichtbrechungen offenbart, wenn man länger hinschaut und ihn vor dem Auge dreht. Dialektik in Reinkultur, ein Film der alles ist.

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