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Channel: Western – Remember it for later
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winnetou 1. teil (harald reinl, deutschland/jugoslawien/italien 1963)

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Es ist erstaunlich, wie modern ein so deutlich in seiner Zeit verhafteter Film wie WINNETOU 1. TEIL heute in seinem Ansatz wirkt. Nachdem der Zuschauer die beiden Freunde Old Shatterhand und Winnetou in DER SCHATZ IM SILBERSEE kennenlernen durfte, erfährt er nun, wie es zu dieser Freundschaft kam. Der Apachenhäuptling Winnetou, in DER SCHATZ IM SILBERSEE noch eine cypher, eine vom Zuschauer mit Bedeutung aufladbare Leerstelle, reines Bild gewissermaßen, erhält nun einen biografischen Hintergrund, einen Charakter, eine Motivation – und eine Stimme. Man kennt diese Strategie, mit der Fortsetzung eines erfolgreichen Films in dessen Vorvergangenheit zu springen, um seine Ereignisse gewissermaßen rückwirkend herzuleiten. “Prequels” nennt man diese vorverlagerten Fortsetzungen und hat heute selten gute Worte für sie übrig, weil sie meist dem Missverständnis erliegen, ein Mehr an expositorischer Information stelle einen Wert an sich und einen Mehrwert gegenüber dem Vorgänger dar, wo sie im Gegenteil doch meist das Mysterium, das im Zentrum jeden Filmes steht, entzaubern. Auf WINNETOU 1. TEIL trifft das glücklicherweise nicht zu: Er dringt nur ein Stück tiefer in eine unermessliche Welt ein, ohne sie jedoch vollständig zu erschließen und zu kartografieren. Und Winnetou bleibt auch nach diesem Teil noch so fremd, exotisch und anziehend, wie er das zuvor war. Die Figur ist nicht auszuloten.

Pierre Brice wurde mit der Darstellung Winnetous zwar zum Star, doch sein Spiel nur selten gelobt. Dabei ist es ganz entscheidend für den Erfolg der Filme, die er durch seine bloße Präsenz trägt – sogar in Szenen, in denen er gar nicht anwesend ist. Brice verleiht dem Indianerhäuptling eine stoische Miene, in der sich kaum Emotionen abzeichnen, die aber nicht einschüchternd, drohend oder gleichgültig wirkt, der vielmehr etwas Verwundbares, Verletzliches, sehnsüchtig Suchendes innewohnt. Es sind wahrscheinlich die dunklen, aber klaren Augen, in denen sich das Leid seines Volkes widerspiegelt, ebenso aber auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Das Drehbuch – und Synchronsprecher Christian Wollf – legen ihm aphoristische Dialogzeilen in den Mund, gleichnishaft formulierte Sätze, die Ausdruck seines Spiritualismus, seiner Erdverbundenheit und einer weit über seine Jahre hinausgehenden Weisheit sein sollen. Sie schrammen die Grenze zur unfreiwilligen Komik manchmal mehr als nur haarscharf, aber Brice gelingt es wie durch ein Wunder, sie überzeugend zu verkaufen. In seiner ganzen Gestalt und Haltung, Körpersprache und -spannung entbirgt sich eine Dissoziation mit dem Materiellen, als sei er nur vorübergehender Gast auf der Welt und in seinem Leib. Er ist ganz entschieden messianisch gezeichnet, ein Aspekt der im zweiten und schließlich im dritten Teil noch deutlicher hervortritt, und man wunderte sich nicht, wenn er sich plötzlich entmaterialisierte und als schillernder Lichtstrahl gen Himmel führe. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Die Great Western Railway plant den Bau einer Eisenbahnlinie nach Westen, die rund um das Apachengebiet gelegt werden soll. Ein deutscher Ingenieur, wegen seines harten Schlags “Old Shatterhand” genannt (Lex Barker), soll den Bau beaufsichtigen. Noch vor seiner Ankunft erfährt er aber, dass der schurkische Santer (Mario Adorf) mit dem Bauunternehmer Bancroft andere Pläne verfolgt: Er will die Bahnlinie gegen gültige Verträge direkt durch das Land der Apachen bauen, sich so das gesparte Geld in die eigene Tasche stecken und außerdem einen Krieg provozieren, um an das Gold des Indianerstamms zu kommen. Als Vertreter der Eisenbahner sieht sich auch Old Shatterhand dem gerechten Zorn Winnetous gegenüber, den er nicht zerstreuen kann. Nach einer erbitterten Schlacht in der Westernstadt Roswell, bei der Old Shatterhand versucht, Santer in seine Gewalt zu bringen, gerät er in die Gefangenschaft der Apachen. In einem Duell gegen Winnetous Vater Intschu-tschuna (Mavid Popovic) muss er nun um sein Leben kämpfen …

Mit WINNETOU 1. TEIL beginnt eine in den beiden Sequels stringent fortgesetzte Geschichte um Frieden, Toleranz, Ehrlichkeit und grenzüberschreitende Freundschaft. Für Winnetou markieren die drei Filme Stationen auf einer Reise vom wütenden Opfer weißer Unterdrückung hin zum Friedensstifter und Versöhner, dessen Glanz schließlich auf alle, die ihn umgeben, abstrahlt. Im ersten Teil steht er noch ganz in der Tradition des erbarmungslosen Wilden, der, von den weißen Teufeln in die Ecke getrieben, mit unerbittlicher Grausamkeit und Entschlossenheit zurückschlägt. Unbarmherzig schmettert er alle Bemühungen Old Shatterhands ab, ihn von seinem Wohlwollen zu überzeugen, und noch nicht einmal seine Schwester Nscho-tschi (Marie Versini) kann ihn davon abbringen, Old Shatterhand am Marterpfahl sterben zu lassen. Als Winnetou dann doch einer inneren Eingebung folgend von einer sofortigen Hinrichtung absieht, und dem Weißen eine Chance gibt, sein eigenes und das Leben seiner Freunde zu retten, hat man den Eindruck, der Indianer hat einen Kampf gegen sich selbst verloren: Er kann Grausamkeit nicht, sie entspricht nicht seinem Wesen, auch wenn sie dringend zum Repertoire eines angehenden Häuptlings gehören sollte. Wenig später schon vollzieht er mit dem Mann, den er eben noch als Feind umbringen wollte, das Ritual zur Blutsbrüderschaft. Und mit dem Blut verbinden sich nicht nur zwei kulturelle Gegensätze, auch die beiden wichtigsten Impulse des Films finden zueinander: Mit Old Shatterhand wird WINNETOU 1. TEIL gewissermaßen geerdet, er ist der Handwerker, der Winnetous Vision vom Frieden in die Tat umsetzt, dem Philosophen den Rücken frei- und ihn gleichzeitig am Boden hält, verhindert, dass er sich in einer immateriellen Ideenwelt verliert. Umgekehrt schenkt Winnetou dem tapferen Weißen eine Mission, die seine eigene Bedeutung weit überragt. Old Shatterhand ist aber natürlich auch der Anker für den Zuschauer, die Figur, durch dessen Augen er auf die fremde Welt blickt. Was er da sieht, ist wieder einmal schlicht bezaubernd: Durch die Verlegung des Wilden Westens nach Jugoslawien wird der mythische Gehalt der Erzählung noch gesteigert, es ist, als ritten die Figuren durch idealisierte Traumlandschaften, immer auf der Suche nach der leuchtenden Himmelspforte. Wenn sich Reinl dann den eher zupackenden Elementen zuwendet, ein echtes Massaker im Eisenbahnerstädtchen Roswell inszeniert, die Apachen mit gen Himmel gereckten Speeren geduldig und mitleidlos auf den Sturz des an einer Felsklippe hängenden Santers warten lässt, wirken diese Szenen ob des offenkundigen Kontrastes gleich doppelt so brutal. Den Film zerreißt es förmlich, in seinem Bestreben die grausame Materialität der Erde hinter sich zu lassen und ins Paradies zu fahren, da wo Martin Böttchers Musik in Endlosschleife läuft, der Tag im Lächeln Nscho-tschis immer für uns leuchtet.

 



winnetou 2. teil (harald reinl, deutschland/frankreich/italien/jugoslawien 1964)

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Im Text zum Vorgänger schrieb ich, dass Winnetou “messianische Züge” trage, seine Geschichte, wie sie in der Trilogie erzählt wird, gewissermaßen eine Messias-Geschichte ist. Wenn man diese These annehmen möchte, dann markiert der zweite Film den Moment in Winnetous Biografie, in dem er endgültig erkennt, dass er eine größere Aufgabe auf der Welt hat, dass seine eigenen persönlichen Interessen und Wünsche hinter dieser zurückstehen müssen, dass er im Dienste eines größeren Ganzen agiert. WINNETOU 2. TEIL ist ein trauriger Film, und bei aller in dieser Traurigkeit noch zum Ausdruck kommenden Romantik ist er schon von einer Ahnung des kommenden Unheils durchzogen. Man spürt, dass diese Geschichte nicht nur gut ausgehen wird, dass es nur ein mögliches Ende gibt. Und auch Winnetou spürt das. Er bereitet sich hier auf den Gedanken vor, für seine Sache sterben zu müssen. Mehr noch, er trifft hier den Entschluss, sich für seine Sache zu opfern. Man sieht es in seinem Blick: die Erkenntnis, dass sein Leben nicht ihm allein gehört.

Old Shatterhand weiß von all dem nichts. Mit großem Eifer wirft er sich für die gute Sache ins Zeug, aber letztlich ist er nur ein Abenteurer, ein aktiver Zuschauer. Welche Tragweite die Ereignisse des zweiten Teils haben, welche unausweichlichen Folgen mit seinen und Winnetous Handlungen verbunden sind, welche Gewalt die Lawine entwickelt, die sie lostreten, davon hat er vielleicht eine leise Ahnung: Wirklich betreffen, im Innersten treffen, tut ihn das alles nicht. Wie auch: Er ist ein Zugereister und nichts hindert ihn daran, in ein Schiff zu steigen und in seine Heimat zurückzukehren. Selbst wenn er das nicht vorhat: Diese Möglichkeit ist immer da und sie ist das, was ihn von seinem Indianerbruder unterscheidet. Er ist nur Zeitzeuge, Besucher, Protokollant. Die Freundschaft zwischen beiden, die ja eine Blutsbrüderschaft ist, gründet im gegenseitigen Vertrauen, vor allem aber in Winnetous politischer Weitsicht – er weiß, dass er den Weißen gut gebrauchen kann: Aber eine tiefe seelische Verbindung zwischen beiden gibt es nicht. Auch wenn das suggeriert wird, um den weißen Zuschauer bei Laune zu halten. Es ist unerlässlich, dass Shatterhand “draußen” bleibt. Und so hält Winnetou ihn immer auch ein Stück auf Distanz.

In WINNETOU 2. TEIL droht der Konflikt zwischen den Weißen und den Indianern zu eskalieren: Diesmal ist es die Bande von Forrester (Anthony Steel), die einen Konflikt zwischen den Parteien provozieren will, um das Indianerland und die darin verborgenen Ölvorkommen in ihren Besitz zu bringen. Der Plan scheint aufzugehen, der drohende Krieg wird erst verhindert, als der junge Lieutenant Merrill (Terence Hill), Sohn des Befehlshabers von Fort Niobara, mit der Heirat von Ribanna (Karin Dor), ihres Zeichens Tochter des Häuptlings der Assiniboin, ein Signal der Einheit von Weißen und Indianern setzt. Für Winnetou (aber auch Ribanna) bedeutet dies ein großes Opfer, sind beide doch in Liebe verbunden: Stillschweigend erbringt Winnetou dieses Opfer, wissend, dass es die letzte Chance ist, den Frieden zu bewahren. Der Kampf gegen Forrester eskaliert noch einmal, als der Schurke das junge Ehepaar in seine Gewalt bringt.

Der finale Shootout, von Reinl für beide Konfliktparteien wieder überaus verlustreich in Szene gesetzt, steht dann auch deutlich im Schatten von Winnetous innerem Tumult, der das dramatische Herz des Films ist. Es ist, als betrachte man ihn durch einen Tränenschleier. Und wenn er dann – meines Wissens zum einzigen, in jedem Fall aber zum ersten Mal in den Karl-May-Filmen – seine ikonisch gewordene Bekleidung ablegt, mit freiem Oberkörper in die Grotte taucht, in der sich Forrester mit seinen Männern und Ribanna verschanzt hat, wie ein Rachegeist auftaucht, um die Geliebte, mit der er nicht mehr sein darf, zu retten, dann gewinnt er für einen kurzen Augenblick jene Körperlichkeit, die er ihm bis zu seinem Tod im finalen dritten Teil sonst vollkommen abgeht (die Szene erinnert fast ein bisschen an RAMBO: FIRST BLOOD PART II). Der Moment markiert auch eine Zäsur: Es ist gewissermaßen Winnetous Abschiedsgruß, bevor er sich endgültig auf den Status des Propheten und Heilsbringers verlegt.

 


unter geiern (alfred vohrer, deutschland/frankreich/italien/jugowslawien 1964)

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unter_geiern_quer Pure Magie, dieses Wiedersehen. Seit geschätzten 30 Jahren habe ich UNTER GEIERN nicht mehr gesehen. Damals gehörte er mit WINNETOU 3. TEIL und DER ÖLPRINZ zu jenen Karl-May-Filmen, die meine Eltern aus dem Fernsehen aufgenommen hatten und die ich eine zeitlang rauf und runter schaute. An die Handlung, geschweige denn an irgendwelche konkreten Details konnte ich mich nach all diesen Jahren natürlich nicht mehr erinnern, nur noch daran, dass ich ihn damals absolut geliebt habe. Und so saß ich da also äußerst erwartungsfroh vor dem Fernseher und plötzlich kamen all diese längst vergessenen Bilder und Dialoge wieder, fiel ein Groschen nach dem anderen, wusste ich auf einmal wieder, was da gleich als nächstes passieren würde. Und mit diesen Erinnerungen kamen auch die Emotionen zurück, die ich damals mit dem Film verbunden hatte. Das ist ja dann auch das, was Nostalgie tatsächlich ausmacht: Dass man plötzlich durch einen äußeren Reiz wie durch Zauberei in die Lage versetzt wird, noch einmal dieselben Gefühle zu spüren wie vor Jahrzehnten, die eigene Kontinuität zu erkennen. Aber nicht nur deshalb war es eine wunderbare Sichtung: UNTER GEIERN ist nach den zuletzt gesehenen Karl-May-Filmen etwas völlig anderes, und macht in seinen Eigenheiten sehr deutlich, was die beiden vielleicht größten deutschen Genrefilmer jener Zeit, Vohrer und eben Reinl, jeden für sich, auszeichnet.

In Abwesenheit des Bärenjägers Baumann (Walter Barnes) und seines Sohnes Martin (Götz George) findet ein Überfall auf die Baumann-Ranch statt, bei der Gattin und Tochter bzw. Mutter und Schwester ermordet werden. Blind vor Wut gibt Baumann den Schoschonen die Schuld, die er mit seinem Sohn kurz zuvor bei der Verfolgung einer Gruppe Weißer gesehen hatte. Jeder Zweifel, dass nur die Indianer für dieses Verbrechen verantwortlich sein können, ist angesichts der Grausamkeit der Tat wie weggeblasen. Winnetou (Pierre Brice), der auf der zerstörten Ranch eintrifft, fordert Baumann zur Besinnung auf und verspricht, den Mörder zu fassen. Wenig später treffen neben Winnetous altem Freund, dem Meisterschützen Old Surehand (Stewart Granger), auch die junge Annie (Elke Sommer) und ein Unterschlupf suchender Priester auf, der sich äußerst verdächtig verhält. Hat er etwas mit der Gangsterbande der “Geier” zu tun, die, angeführt von Preston (Sieghardt Rupp), nicht weit entfernt ihr Unwesen treiben? Und stecken vielleicht eben jene Geier auch hinter dem feigen Überfall?

UNTER GEIERN beginnt heftig: Auch wenn Vohrer den Überfall auf die Baumann-Ranch offscreen stattfinden lässt und dem Zuschauer den Anblick der beiden Leichen erspart, stellt die rücksichtslose Ermordung zweier Unschuldiger doch einen harten Kontrast zu der romantischen Entrücktheit der Winnetou-Filme Reinls dar, in denen man die Gewalt stets wie durch einen Schleier der Historie wahrnahm. Aber es wäre falsch, UNTER GEIERN als brutaler zu bezeichnen, denn eigentlich wirkt er mit dem lebhaften Plauderton, den Vohrer etabliert, weniger ernst als etwa WINNETOU 1. TEIL oder WINNETOU 2. TEIL. Er ist lockerer, verspielter, sein Humor wird nicht auf ein oder zwei eher lose mit der eigentlichen Geschichte verbundenen comic reliefs verteilt. Surehands Sidekick Old Wabble (Milan Srdoc) sorgt mit seinem Ungeschick zwar für den ein oder anderen Lacher, ist aber nicht so sehr auf die Funktion des Gaglieferants festgelegt, wie das bei Sam Hawkens oder Lord Castlepool zweifellos der Fall ist. Ein Großteil des Vohrer’schen Schwungs geht auf das Konto Stewart Grangers, der seinen Old Surehand als auch in größter Not nie die gute Laune verlierenden Haudegen interpretiert. Dass UNTER GEIERN in einem ganz anderen Universum angesiedelt ist als Reinls Filme, wird besonders in dem Moment augenfällig, als Old Surehand den stolzen Apachenhäuptling Winnetou als “netten Kerl” bezeichnet: eine Attributierung, die angesichts der Figur, die wir als entschlossen und stolz den Pfad der Bestimmung beschreitenden Indianermessias kennengelernt haben, seltsam trivial anmutet. Vohrer ist eben nicht am großen Pathos, am Mythos interessiert, sondern an der Bewegung, am Thrill. UNTER GEIERN ist ultradynamisch, hält sich nie zu lange mit einer Sache auf, ist stets auf dem Sprung, auf der Suche nach einer Gelegenheit für den nächsten Gag, den nächsten Kampf, die nächste Spannungsszene. Das bedeutet nicht, dass er ruhelos ist oder keine Geduld hat. Kaum weniger bedeutend als Stewart Granger ist Götz George für den Gesamteindruck, den der Film hinterlässt: Seine Performance mutet heute eigenartig affektiert, theaterhaft an: George tanzt geradeu durch die Settings, jede Bewegung ein Ausrufezeichen, auf den größtmöglichen Effekt hin ausgeführt. Und wenn man ihn so betrachtet, erkennt man, dass UNTER GEIERN fast ein Musical ist, eines ohne Gesangsnummern natürlich, aber mit demselben Drive, derselben Pointierung, derselben visuellen Klarheit. Man betrachte nur die Szene, in der die Geierbande die tapfere Annie in dem Saloon bedrängen, der ihnen als Unterschlupf dient, und sage mir, dass sie nicht wie der Auftakt zu einer breit angelegten Song-and-Dance-Nummer aussieht.

Die Künstlichkeit des Ganzen, der Kostüme und Settings, die in Reinls Filmen der Mythologisierung zuspielt, befördert hier eher den ungezügelten Drive des Regisseurs: Wenn alles fake ist, geht auch alles. Vielleicht ist UNTER GEIERN auch deshalb so temporeich, weil Vohrer der Überzeugungskraft seiner Bilder selbst nicht ganz traut. Die alten, wettergegerbten Kroaten, die als Ältestenrat der Schoschonen wohl nur durch die Kernentspanntheit des Alters der Versuchung widerstehen können, direkt in die Kamera zu schauen, sehen hier noch weniger echt aus als bei Reinl, dem es stets gelingt, den Zuschauer in ein Kind zu verwandeln, das bereit ist, ihm alles zu glauben. Dass Vohrer die Gemachtheit des Ganzen nicht zu verdecken versucht – es geht ihm eben nicht um perfektes make believe – , steht dem Spaß nicht im Wege, vielmehr erwächst gerade daraus die Freude. Der Eurowestern wird zum Spielplatz, auf dem man ungehemmt die innere Wildsau rauslassen kann. Die Identifikation entsteht durch die pure Lust, die aus jedem Millimeter Film sprudelt, den sichtbaren Spaß aller Beteiligten und aus Vohrers Ehrgeiz, in jeder Szene auf den Punkt zu kommen. Vielleicht einer der besten reinen Unterhaltungs- und Genrefilme, die je in Deutschland gemacht wurden. Einfach toll!


der ölprinz (harald philipp, deutschland/jugoslawien 1965)

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DER ÖLPRINZ zählte, wie schon erwähnt, mit UNTER GEIERN und WINNETOU 3. TEIL zu den treuen Begleitern meiner Kindheit. Ich glaube, damals mochte ich ihn von allen dreien sogar am liebsten: Die Figur des aristokratischen Ölprinzen (Harald Leipnitz), mit ihrem akkurat rasierten Vollbart, dem feinen Anzug mit den weißen Handschuhen, regte meine Fantasie ebenso an wie sein Handlanger “Knife” (Slobodan Dimitrijevic), der mit seinen heimtückisch versteckten Messern und seiner Stummheit eine unheimliche Faszination auf mich ausübte. Ich erinnere mich noch daran, dass meine Mutter mir für mein Spielzeugmesser auch eine Scheide basteln musste, die ich nach seinemVorbild am Unterarm tragen konnte. Ich weiß nicht, ob ich das heute noch plausibel erklären kann, aber von diesem Schurkenpaar ging damals für mich etwas ungemein Diabolisches aus und wenn DER ÖLPRINZ nicht in einer weit entfernten Vergangenheit angesiedelt gewesen wäre, ich hätte mich vor beiden wahrscheinlich ziemlich gefürchtet. Das ist heute zwar logischerweise nicht mehr so, aber ich weiß, warum ich damals so empfand. Harald Philipp hat zwar im Gegensatz zu Alfred Vohrer im unmittelbaren Vorgänger mit Heinz Erhardt als Kantor Hampel zwar wieder ein echtes comic relief an Bord, dennoch gibt es in DER ÖLPRINZ Momente von auffallend grausamem Sadismus, die ihre Wirkung nicht verfehlen, das unschuldige Schwelgen in bunten Bildern und tugendhaftem Heldentum bisweilen jäh unterlaufen.

Mit der In-Brand-Setzung einer Ölquelle geht DER ÖLPRINZ gleich in die Vollen. Dass der Ölprinz vor deutlich als solchen erkennbaren Rückprojektionen lodernder Flammen agiert, betont noch seine Gewissen- und Mitleidlosigkeit: Die Zerstörung, die er aus reiner Gier anrichtet, erreicht ihn gar nicht. Der Besitzer kommt bei seinem Attentat zwar nicht ums Leben, ist danach aber ein ruinierter Mann. Sein verzweifeltes und vergebliches Betteln um einen neuen Kredit markiert einen Grad existenzieller Not, der in den Karl-May-Filmen, die sonst üblicherweise den schnellen, schmerzlosen Tod durch Pistolenkugeln bereithalten, eher ungewöhnlich ist. Der Showdown des Films schließlich kreist um den Racheschwur des Indianerhäuptlings Mokaschi (Mavid Popovic), der 50 Tote unter den Siedlern fordert, um den Tod seines Sohnes zu rächen. Erst in letzter Sekunde kann Old Surehand dem Häuptling den wahren Mörder, den Ölprinzen, liefern, der stellvertretend “50 Tode erleiden” soll: Philipp traut sich nicht, die anschließende Tortur zu zeigen, aber der angsterfüllte Schrei des Bösewichts, sein Flehen um Gnade und das wortlose, ungerührte Wegschleppen seines bewusstlosen Körpers vermittelt eine Ahnung dessen, was ihm bevorsteht, und verfehlt seine Wirkung nicht. DER ÖLPRINZ ist kein brutaler Film und schon gar kein besonders grafischer, aber seine Gewaltinszenierungen hallen nach, weil sie so ungemein nüchtern inszeniert sind. Der Ölprinz entledigt sich eines seiner Betrugsopfer, indem er ganz lapidar die Höhle sprengen lässt, in die er diesen zur Besichtigung geschickt hat und in der auch seine Helfer sich noch befinden. Sein Handlanger “Knife” stirbt zwangsläufig stumm, hätte aber auch sonst wahrscheinlich keine Gelegenheit mehr gehabt, noch einen Laut des Schmerzes oder der Verwunderung loszuwerden: Old Surehand wirft ihn nach einem Angriff über die Schulter, der Bösewicht stürzt in sein eigenes Messer und bleibt reglos mit dem Gesicht im Dreck liegen. Gestorben, ohne es überhaupt gemerkt zu haben.

DER ÖLPRINZ teilt seinen Schwung und seine zupackende Art mit Vohrers UNTER GEIERN: Beide verzichten auf das Pathos und die Mythologisierung, die Reinls Filme auszeichnet, konzentrieren sich ganz auf das Schnüren eines unterhaltsamen Rundum-sorglos-Pakets. DER ÖLPRINZ ist dabei nicht ganz so temporeich und zwingend wie der Vohrers Film, was wohl sehr naheliegend auch daran liegt, dass das Warten sein wichtigstes Handlungselement ausmacht: Erst warten die Siedler darauf, endlich losziehen zu können, dann, an einer Zwischenstation angekommen, darauf, von Old Surehand vor der Bedrohung durch die Indianer erlöst zu werden. Für Dynamik sorgt vor allem das Hin-und-Herspringen  zwischen den einzelnen Figuren: Old Surehand und Winnetou funktionieren als relativ gleichberechtigte Figuren, Surehands Sidekick Old Wabble und Kantor Hampel sorgen für den Humor, Lizzy (Macha Meril) und der Falschspieler Richard Forsythe (Terence Hill) sowie Campbell (Walter Barnes) und Frau Ebersbach (Antje Weisgerber) für etwas Romantik in unterschiedlichen Altersgruppen. Das Zentrum, das dem Film so verlorengeht, besetzt Harald Leipnitz als Ölprinz. Im einzigen Karl-May-Film, der nach dem Bösewicht benannt ist, wird der Bösewicht zur interessantesten und rundesten Figur und Harald Leipnitz leistet Großes mit ihr. Der Auftakt vor den Flammen, wenn er seinem stummen Diener die Anweisungen für das weitere Vorgehen gibt, ist fantastisch, ebenso, wie er im Folgenden aus seinem Hotelzimmer heraus die Fäden zieht, seine Untergebenen anherrscht, zurechtweist, beschimpft und instruiert, wie er immer wieder wie ein Regisseur vom Balkon aus über das Geschehen in der Stadt blickt oder aber mit “Knife” in Zeichensprache parliert, ganz ruhig, als sei er der einzige, der mit ihm auf einer Wellenlänge funkt. Damals, als ich DER ÖLPRINZ zum ersten Mal sah, kannte ich Leipnitz noch nicht, aber er war mit dieser Rolle für mich der finstere Gentleman-Gangster, ein kultivierte, schnittiger, scharfsinniger, dabei ungemein hassenswerter Typ. Eigentlich das komplette Gegenteil von Leipnitz Persona, wenn man von einer solchen sprechen mag: Mit seiner Boxernase ist der 2000 verstorbene Schauspieler eigentlich auf eher ehrliche, unverstellte, kernige Typen festgelegt. Dass er auf völlig anderem Terrain diese Glanzleistung abliefert, zeigt wie gut er ist. Ich liebe die Szene, in der er auf dem Bett liegend von Surehand überrascht wird und der ein Messer direkt neben dem Kopf des Schurken in die Wand wirft, ohne das der auch nur mit der Wimper zuckt. Oder wie er sich dann am Ende, wenn er des Mordes überführt ist, winselnd versucht, aus der Verantwortung zu winden, von dem selbstsicheren, stilbewussten Schurken nichts mehr übrig bleibt. Er ist vielleicht der beste Schurke aus Wendlandts Karl-May-Filmen, besser noch als Mario Adorf. Und dank ihm wird dann auch DER ÖLPRINZ zum Gewinner, den ich gern wiedergesehen habe.

 

 


winnetou 3. teil (harald reinl, deutschland/italien/jugoslawien 1965)

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Der Auftakt macht noch einmal sehr klar, warum die Winnetou-Filme von Reinl trotz ihrer sonnenklaren Bildsprache und ihrer ungebrochenen Romantik so seltsam sind: Ein Voice-over-Erzähler erläutert in betont sachlichen Worten den historischen Hintergrund, vor dem sich der folgende Film entfaltet, beschreibt Winnetou als Philosophen und Heilsbringer, als historische Figur von unschätzbarer Bedeutung. Sein Tonfall erinnert an Dokumentationen, wenn auch an solche, die nicht unbedingt durch große Distanz zu ihrem Sujet auffallen, und sie schaffen sofort eine Kluft zwischen dem Zuschauer und dem Titelhelden, der unweigerlich zu etwas Fremdem, Erklärungsbedürftigen wird, einer Figur, der wir uns forschend annähern können, die wir aber nie verstehen oder gar durchschauen werden – schon gar nicht ohne fremde Anleitung und Führung. Winnetou, das ist ganz entscheidend für die Rezeption der Trilogie, ist keine Identifikationsfigur. Er ist nicht der Verbündete des Zuschauers, nicht derjenige, in dessen Haut wir schlüpfen, um uns ins Kampfgetümmel zu stürzen – diese Rolle kommt Old Shatterhand zu –, sondern im Gegenteil das von uns getrennte Objekt unserer Betrachtung.

Was habe ich geflennt damals, als Winnetou die Kugel, die für seinen Blutsbruder Old Shatterhand gedacht war, mit seinem Herzen auffing. Als der Arzt mit hochgekrempelten Ärmeln von dem leblos aufgebahrten Indianerhäuptling wegging, Shatterhand mit den Worten “das liegt jetzt in Gottes Hand” und mich mit dem Wissen zurückließ, dass es kein Happy End geben würde. Wie Winnetou sich dann ein, zwei, drei Mal mit Hilfe des deutschen Freundes erhob, der Blick schon gebrochen, in die Ferne hinter dem Horizont gerichtet, ein entrücktes Lächeln auf dem Gesicht. Wie er die entfernten Glocken einer Kirche hörte und sie als Ruf begriff, wie er den Tod aufnahm, ihn willkommen hieß, wissend, dass sein Werk auf Erden getan war. Wie er dann in den Armen seines Freundes einschlief und die Totenprozession danach in den Sonnenuntergang zog, der Film mit dem einzigen, dem unvermeidlichen Ende schloss, aber dennoch seltsam offen blieb. Ich hatte diesen Winnetou zwar nicht begriffen, aber er war jetzt dennoch ein Teil von mir.

Gestern hat WINNETOU 3. TEIL überhaupt nicht mehr funktioniert. Es ist eindeutig der schwächste Beitrag der Trilogie, ihm fehlt sowohl eine klare Storyline als auch ein griffiger Schurke. Rik Battaglia ist ein angemessen schmieriger Halunke, aber er lässt jedes diabolische Format vermissen. Er ist nicht einmal richtig unsympathisch. Es ist nicht ohne Konsequenz, dass es gerade so ein vollkommen mittelmäßiger Gauner ist, der den stolzen Apachenhäuptling feige aus einem Hinterhalt erschießt, aber als Projektionsfläche für den Zorn taugt er überhaupt nicht. Der ganze Film scheint nur von seinem seit dem ersten Teil feststehenden Ende her gedacht, auf das er möglichst ohne große Umwege hinführen muss. Es bleibt nicht viel hängen auf diesem Weg, nicht einmal einzelne Bilder oder auch nur eine besonders gelungene Actionszene: Ja gut, die Sequenz mit den Floßen auf dem brennenden Fluss ist recht schön, aber sonst ist weder den Autoren noch Reinl viel eingefallen. Und so ist es eben allein der enigmatische Winnetou, der hier mit stahlblauem, spirituell verzücktem Blick seinen inneren Frieden schließen darf, der an den Film bindet und das Interesse wachhält. Wenn ich in meinem Text zum Vorgänger schrieb, dass der Häuptling sich auf das Sterben vorbereite, erahne, dass der Erfolg seiner Mission an seinen eigenen Tod als Märtyrer geknüpft ist, so wartet er in diesem Film nur noch auf den richtigen Zeitpunkt, auf einem Sonnenstrahl gen Himmelspforte zu galoppieren. Der religiös-spirituelle Gehalt, der in WINNETOU 1. TEIL und WINNETOU 2. TEIL noch subkutan verabreicht wurde, ergreift hier Besitz vom Ganzen und es ist immer wieder ein Irritationsmoment, wenn sich die Handlung Sam Hawkens und seinem Gebalge mit der Banditenbande zuwendet, die als einzige verhindern, dass sich WINNETOU 3. TEIL den Sternen und der Ewigkeit zuwendet. Reinls Film ist der unabwendbare Endpunkt der Reihe und musste als solcher natürlich gemacht werden. Aber weil man auch als Zuschauer von Beginn an weiß, wie die Geschichte ausgehen wird, ziehen sich die 90 Minuten bis dahin doch merklich. Aber wie könnte ich einem Film, der meinem achtjährigen Selbst das Herz gebrochen hat, böse sein? WINNETOU 3. TEIL hat mehr erreicht als andere, auch bessere Filme in meinem Leben. Dafür liebe ich ihn, muss ich ihn lieben.

 


old surehand 1. teil (alfred vohrer, deutschland/jugoslawien 1965)

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Das “1. Teil” im Titel des siebten von Horst Wendlandt und der Rialto produzierten Karl-May-Films erinnert ein wenig an die als Ruinen in die Himmel ragenden Überreste alter Tempel längst vergangener, einst stolzer Zivilisationen. Etwas unendlich Trauriges geht von ihm aus, steht es doch für sehr konkrete Pläne, Hoffnungen und Träume, die leider, wie wir heute wissen, unerfüllt bleiben mussten: Einen zweiten Old-Surehand-Film hat es nie gegeben, Stewart Granger schlüpfte für Alfred Vohrer zum letzten Mal in die Rolle des silbergrauen Scharfschützen mit dem unerschütterlichen Optimismus. Man kommt kaum umhin, Mitleid mit ihm zu haben, glaubt man doch, die Energie und Freude in seinem Spiel erkennen zu können, die die Aussicht, Titelheld einer eigenen Filmserie zu werden, bei ihm freisetzte. Und Alfred Vohrers OLD SUREHAND 1. TEIL hat dann auch wieder den Schwung und Witz, die er schon für UNTER GEIERN in die Waagschale warf, kommt zudem ganz ohne die bitteren Momente aus, die jenen zu einer Achterbahn der Gefühle machten. Natürlich werden auch in OLD SUREHAND 1. TEIL Menschen erschossen, nehmen die Bösewichter für die Umsetzung ihres Plans die Ermordung Unschuldiger billigend in Kauf, aber es gibt keine emotionale Nachhaltigkeit. Wie seit DER SCHATZ IM SILBERSEE nicht mehr kommt hier wieder dieser unschuldig-naive, spielerische Charakter zum Tragen, steht der jederzeit durchschaubare Requisiten-Charakter der Ausstattung dem make believe nicht etwa im Weg, sondern ist die Quelle, der Kinomagie entspringt.

Was ich bisher versäumt habe herauszustreichen: Alle Karl-May-Filme der Rialto haben die gleiche Handlung. In allen versucht eine Gruppe von Ganoven ihr materielles Ziel durch das Aufeinanderhetzen von Weißen und Indianern zu erreichen. Meist besteht der Plan darin, den Mord eines Mitglieds der einen Seite, den die Gangster selbst begangen haben, der anderen Seite in die Schuhe zu schieben, und immer haben die Helden die Aufgabe, die erzürnten Indianer oder Weißen durch Ermittlung des wahren Mörders zu besänftigen. Immer geschieht dies in letzter Sekunde, kurz vor dem Ausbruch eines erbitterten Krieges, der – so suggerieren die Filme – nicht nur den fragilen Frieden, sondern auch das Schicksal der Indianer für immer besiegeln wird. Durch die Wiederholung dieser immergleichen Konstellation verwandeln sich die Filme von konkreten quasi-historischen Erzählungen in Mythen, transzendieren Figuren wie Winnetou, Old Shatterhand und Old Surehand ihre Rolle als Individuen und werde mit ihren Sidekicks zu Repräsentanten “historischer” Vorgänge. Dabei haben die Karl-May-Filme unverkennbar utopischen Charakter, denn die historische Wahrheit – die Kapitulation der Indianer vor den Armeen der USA – wird hier immer wieder hinausgeschoben. Die “5 Minuten vor 12″ für die Kultur der nordamerikanischen Ureinwohner werden endlos ausgedehnt, ohne dass es jedoch freilich gelänge, die Uhren ganz zurückzudrehen. Die Figuren sind in einem Limbo gefangen, in dem sie den einen entscheidenden Konflikt immer wieder austragen müssen. Sie erhalten so unweigerlich etwas Übermenschliches, Geisterhaftes: Am meisten natürlich Winnetou, dem auch in OLD SUREHAND 1. TEIL wieder die Funktion eines personifizierten Deus ex machina zukommt, der sich immer im entscheidenden Moment materialisiert, der immer weiß, was er eigentlich nicht wissen kann, und dem es so gelingt, das Unabwendbare noch einmal abzuwenden. Sein Tod in WINNETOU 3. TEIL sollte demnach ein denkbar schlechtes Omen für die Zukunft der Indianer darstellen. Doch mit OLD SUREHAND 1. TEIL wird die Uhr sogleich wieder zurückgedreht, in eine Zeit vor seinem Tod zurückgesprungen. Winnetou ist wieder am Leben – oder ist er ein Geist? –, die letzten fünf Minuten dürfen noch einmal anbrechen. Es ist ein Wunder, dass die Karl-May-Reihe der Rialto nicht ewig andauern konnte.


winnetou und das halbblut apanatschi (harald philipp, deutschland/italien/jugoslawien 1966)

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Kaum habe ich geschrieben, dass die Rialto-Karl-May-Filme immer die gleiche Geschichte erzählen, dass sie immer wieder in diesen sprichwörtlichen fünf Minuten vor dem Untergang der indianischen Kultur angesiedelt sind, der dann durch den Einsatz der Helden noch einmal abgewendet werden kann, kommt mit WINNETOU UND DAS HALBBLUT APANATSCHI der erste Film seit DER SCHATZ IM SILBERSEE, der mit der bewährten Formel bricht. Nicht ganz wohlgemerkt: Das Unheil geht wieder einmal vom Materialismus weißer Ganoven aus, die das Ende des Bürgerkrieges nach Westen gespült hat, und wieder einmal ist es Winnetou, der sie stoppen muss, aber es kommt ohne den Krieg zwischen Weißen und Indianern aus. Philipps zweiter Karl-May-Film nach DER ÖLPRINZ wird so zu einer eher fluffigen und flüchtigen Angelegenheit, die im süßen Püppchengesicht der 22-jährigen Uschi Glas (in den Credits als “Ursula Glas” gelistet) den passenden Ausdruck findet.

Zu ihrem 21. Geburtstag schenkt der Farmer Mac Haller (Walter Barnes) seiner Tochter Apanatschi (Uschi Glas) eine Goldader, die er vor Jahren gefunden und geheimgehalten hatte. Durch Zufall bekommen Pinky und Sloan, zwei falsche Freunde Macs, Wind von der Sache und wittern die Chance auf den großen Reichtum. Doch bevor Mac ihnen die Goldader zeigen kann, kommt es zum Schussgefecht, bei dem der Familienvater stirbt. Weil Winnetou (Pierre Brice), Old Shatterhand (Lex Barker) und Apanatschis Verlobter Jeff (Götz George) die drohende Gefahr für das Mädchen erahnen, verstecken sie sie in einem Eisenbahnercamp. Pinky und Sloan holen sich inzwischen Verstärkung bei der Bande des Gangsters Curly Bill. Es kommt zur Auseinandersetzung zwischen den Banditen auf der einen und den Eisenbahnern auf der anderen Seite …

WINNETOU UND DAS HALBBLUT APANATSCHI ist der erste der Rialto-Karl-May-Filme, der nur noch “auf Motiven” des beliebten Schriftstellers basierte. Vielleicht war auch das ein Grund dafür, dass die kritischen Laute, die bemängelten, der Film habe mit dem Werk des Autors nichts mehr gemein, immer lauter wurden und der Zuschauerzustrom langsam aber sicher abebbte. Dem Film fehlt der epische Ansatz, den selbst OLD SUREHAND 1. TEIL in Ansätzen noch hatte, das große Thema und ein echtes Zentrum. Uschi Glas kann diese Funktion in ihrer ersten Hauptrolle nicht übernehmen, Winnetou und Old Shatterhand bleiben schattenhaft, Actionhelden ohne echte Persönlichkeit. Wie schon bei UNTER GEIERN wird Götz George mit seiner überragenden physischen Präsenz enorm wichtig für den Film, auch wenn das Drehbuch nicht allzu viel mit ihm anzufangen weiß. Trotzdem hat Harald Philipp wieder einmal einen soliden Timewaster auf die Beine gestellt, was ja auch nicht ganz verkehrt ist: Der Auftakt mit dem Angriff eines Adlers auf einen kleinen Jungen, den Winnetou in höchster Not retten kann, ist trotz zum Teil erbarmungswürdig schlechter Spezialeffekte recht spannend und intensiv, der folgende Konflikt zwischen Macs Familie und den falschen Freunden angemessen unheilvoll umgesetzt. Das folgende Katz-und-Maus-Spiel mit der Bande von Curly Bill, bei dem Jeff wieder einmal in Undercover-Funktion unterwegs ist, ist abwechslungs- und temporeich, kommt aber ohne den ganz großen Höhepunkt aus. Erst im Showdown kracht es dann unter großzügigem Dynamiteinsatz. WINNETOU UND DAS HALBBLUT APANATSCHI kann seine große Schwäche, den Mangel einer übergeordneten Idee, eines Konzepts und eines zugkräftigen Schurken nicht verhehlen. Er ist letztlich kaum mehr als ein buntes Sammelsurium bewährter Situationen und Elemente. Wie der Film-Dienst angesichts der Flüchtigkeit dieses Films dazu kam, ihm “eine gehörige Portion Zynismus und Grausamkeit” zu unterstellen, bleibt ein Rätsel. Ganz daneben liegt das Lexikon des Internationalen Films, dass erkannt haben will, der Film sei” Gefühlsbetont wie die Vorlage, aber werkwidrig brutal.” Das macht nun wirklich überhaupt keinen Sinn.


winnetou und sein freund old firehand (alfred vohrer, deutschland/jugoslawien 1966)

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Weil die vorangegangenen Karl-May-Filme an die großen Publikumserfolge der Vorjahre nicht mehr hatten anknüpfen können, versuchte Horst Wendlandt mit WINNETOU UND SEIN FREUND OLD FIREHAND etwas Neues. Doch der Plan einer Revitalisierung sollte nicht aufgehen, der Zuschauerzuspruch war schwach, das Ende der Reihe nicht mehr abwendbar. Zwei Jahre später versuchte Artur Brauner noch einmal sein Glück mit WINNETOU UND SHATTERHAND IM TAL DER TOTEN, dann war der die Zeit der deutsch-jugoslawischen Balkanwestern endgültig vorbei. Der einstige Glanz ist hier unübersehbar ermattet: War es in den Karl-May-Filmen der Blütezeit noch bravourös gelungen, eine Entsprechung zur aus der Ferne fabulierten Wildwest-Romantik des deutschen Schriftstellers zu schaffen, eine Hyperrealität zu kreieren, die die Filme ihrem konkreten zeitlichen Raum enthob und sie im besten Sinne “zeitlos” erscheinen ließ, wie Erinnerungen an eine Vergangenheit, die in dieser Form nie existiert hatte, kann WINNETOU UND SEIN FREUND OLD FIREHAND seine Gemachtheit nie verleugnen. Er präsentiert sich als popkulturelles Artefakt, als Puzzle verschiedener zu jener Zeit moderner oder aber auch schon überkommener Einflüsse, die sich einfach nicht zu einem vollkommenen Bild zusammenfügen wollen. Alfred Vohrers Film ist mithin keine runde Sache, auch wenn der Regisseur sein bestes tut, darüber hinwegzutäuschen, aber gerade das macht seinen Charme aus. Hatte Wendlandt mit seinen Jahren zuvor etwas ganz eigenes Geschaffen, ist sein letzter Karl-May-Western lupenreines Epigonenkino, deutsche Exploitation vom Feinsten.

Bei einem Überfall der vom Schurken Silers (Harald Leipnitz) angeführten Bande auf Winnetou (Pierre Brice), Nscho-tschi (Marie Versini) und ihre tapferen Apachenkrieger kommen der Trapper Old Firehand (Rod Cameron) und seine Freunde in letzter Sekunde zur Hilfe. Später erfährt Winnetou, dass der Bruder Silers’ im Städtchen Miramonte von Captain Mendoza (Rik Battaglia) festgenommen wurde. Es ist klar, dass Silers das nicht so einfach hinnehmen wird. Als der Bruder stirbt, ist seine Rache nicht mehr abzuwenden. Winnetou, Old Firehand und Mendoza bereiten das Dorf auf den anstehenden Angriff der Banditen vor. In den Ruhepausen knüpft Firehand zarte Bande zu seiner einstigen Geliebten Michéle (Nadia Gray) – die auch von dem britischen Lord Ravenhurst (Viktor De Kowa) umgarnt wird – und seinem mittlerweile erwachsenen Sohn (Jörg Marquardt) …

Schon mit den ersten Sekunden des Films wird klar, dass sich etwas verändert hat: Die wilde Schießerei zu Pferd, über die die Title Credits laufen, wird nicht mehr von Martin Böttchers Klängen unterlegt, sondern von der deutlich rhythmischeren, moderneren Musik von Peter Thomas. Wendlandt hatte die Veränderungen, die der Italowestern mit sich gebracht hatte, offensichtlich nicht mehr länger verleugnen können: Die satten grünen Wiesen der vorangegangenen Filme weichen hier verdorrten, steinigen Landschaften, das Städtchen Miramonte wird erstmals von sonnengegerbten “Mexikanern”  bevölkert und Silers’ Mordbuben knallen sich aus purer Boshaftigkeit auch schon einmal gegenseitig über den Haufen. Alles ist etwas dreckiger, staubiger und hitziger als zuvor: Der Wilde Westen ist nicht mehr länger der Ort, an dem rechtschaffene Männer ihren Edelmut beweisen können, hier geht es dann doch vordergründig ums Überleben. Doch so ganz kann sich Wendlandt dem Zynismus nicht hingeben. Mit dem Westernveteran Rod Cameron steht auch ein waschechter Held bereit, ein Bär von einem Mann, der auch in sengender Hitze nicht die Fellmütze vom Kopf nimmt und trotzdem Gentleman ganz alter Schule ist. Sein Sohn himmelt ihn an, ohne zu wissen, dass er sein Vater ist, und beginnt sogleich von einem Leben in der Wildnis zu träumen, was die Mutter mit Argwohn beäugt. Sie wehrt sich, wie das in alten Westernromanzen so zu sein hat, eher pro forma gegen das neue alte Liebesglück: Insgeheim geht es ihr eher ums Prinzip und darum, von ihrem Firehand erobert zu werden. Spätestens wenn das alte erdbeerfarbene Kleid wieder anzieht, das ihm einst den Kopf verdrehte, ist alles unter Dach und Fach. Auch das grobe Handlungsgerüst erinnert mit seiner Belagerungssituation an einen Klassikler des US-amerikanischen Westerns: Zu behaupten, Vohrers Film sei eine Kopie von Sturges’ THE MAGNIFICENT SEVEN wäre übertrieben und würde ihm nicht gerecht, aber die Ähnlichkeiten lassen sich trotzdem nicht übersehen. Zwischen diesen entgegengesetzten Stoßrichtungen – zynischer Italowestern einerseits, romantischer US-Western andererseits – stehen Winnetou und Nscho-tschi wie übrig geblieben Fragmente aus einem ganz anderen Film daneben, wollen sich mit ihren Karnevalskostümen einfach nicht ins Gesamtbild fügen. Der Versuch, Pierre Brice mit der Synchronstimme von Thomas Danneberg “kerniger” zu machen, misslingt, weil der Franzose seinen Indianerhäuptling immer noch mit jener gewohnten überkörperlichen Präsenz versieht. Winnetou war ja schon in den vorangegangenen Filme kein Actionheld im klassischen Sinne, zeichnete sich nie wirklich durch konkrete Handlungen oder hohen körperlichen Einsatz aus, sondern konnte sich stets auf die Autorität seiner bloßen Anwesenheit berufen. Doch in WINNETOU UND SEIN FREUND OLD FIREHAND scheint sich niemand so wirklich daran zu erinnern, welche Kapazität er ist. Weder das Drehbuch noch Vohrer noch seine Kameraden wissen, was sie mit der Rothaut anfangen sollen. Er kann einem fast Leid tun, wie er da ratlos zwischen den anderen, höchst geschäftigen Figuren herumsteht, und sich zu fragen scheint, warum er nicht einfach nach Hause reitet. Selbst das Relikt aus Rialto-Western-Tagen, das Comic Relief in Gestalt von Ravenhurst (Viktor De Kowa ist grandios in seiner letzten Filmrolle), fällt weniger aus dem Rahmen als die nominelle Hauptfigur.

Wie ich eingangs sagte: WINNETOU UND SEIN FREUND OLD FIREHAND ist ein in sich missratener Film, aber das macht ihn eben auch so originell. Und Vohrer zieht alle Register, liefert einen knalligen Showdown und den wahrscheinlich ruppigsten Karl-May-Film überhaupt ab. Mir hat das sehr gut gefallen.

 

 

 



old shatterhand (hugo fregonese, deutschland/frankreich/italien 1964)

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OLD SHATTERHAND ist der erste der Karl-May-Filme, die unter der Leitung von Artur Brauner und seiner CCC-Film (Central Cinema Compagnie) entstanden. Wo ein gutes Geschäft lockte, da war Brauner nicht weit, auch wenn er unter Umständen etwas mogeln musste. Brauners großer deutscher Produzenten-Konkurrent Horst Wendlandt, ein ehemaliger Angestellter, hatte seinem einstigen Chef nicht nur die Verfilmungsrechte an den Edgar-Wallace-Filmen weggeschnappt, sondern auch an den Westernromanen Karl Mays. Brauner blieben nur die Rechte an den weniger populären Orient- und Mexikostoffen. Als sich DER SCHATZ IM SILBERSEE als Kassenschlager erwies, erfand Brauner kurzerhand seinen eigenen Karl-May-Western, den er durch Verhandlungsgeschick mit den Stars der Rialto, Lex Barker und Pierre Brice, besetzen konnte. So bot er Wendlandt im “Tausch” für Pierre Brice die bei ihm unter Vertrag stehende Elke Sommer an, die dann für die Rialto in UNTER GEIERN mitwirkte. In seinem Karl-May-Abenteuer müssen die beiden Helden wieder einmal den fragilen Frieden zwischen Weißen und Indianern sichern.

Eine Bande von Gangstern ermordet ein Farmerehepaar mithilfe einiger gedungener Komantschen und hofft so, die Friedensverhandlungen zwischen Weißen und Indianern zu stören. Der Sohn des Ehepaars überlebt jedoch und kann sich zur Indianerin Paloma Nakama (Daliah Lavi) retten. Nach einem Treffen zwischen Old Shatterhand (Lex Barker) und Winnetou (Pierre Brice), die über die besorgniserregenden Neuentwicklungen informiert sind, holt Shatterhand die Indianerin und den kleinen Jungen ab, um sie in Golden Hill in Sicherheit zu bringen. Dort haben sich jedoch auch die Gangster um Dixon (Rik Battaglia) einquartiert und bringen den kleinen Zeugen kurzerhand um. Als weitere Morde den Apatschen in die Schuhe geschoben werden, scheint ein Krieg nicht mehr abwendbar. Hinter dem Komplott steckt der gemeine Soldat Captain Bradley (Guy Madison), dem es darum geht, das Indianerland in seine Hände zu bekommen …

Den vermeintlichen “Mangel” der fehlenden Originalvorlage machte Brauner durch großen Materialeinsatz wett: OLD SHATTERHAND ist mit einem Budget von rund fünf Millionen DM der teuerste der Karl-May-Filme der Sechzigerjahre und dank der Regie des Argentiniers Hugo Fregonese wohl auch der amerikanischste. Der Regisseur hatte in den Fünfzigerjahren bereits einschlägige Erfahrungen in Hollywood gemacht, dabei unter anderem mit Stars wie Joel McCrea, James Mason, Ricardo Montalban, Joseph Cotten, Shelley Winters, Gary Cooper, Barbara Stanwyck, Anthony Quinn, Edward G. Robinson, Lee Marvin und Jack Palance gearbeitet. Seine Erfahrung sieht man OLD SHATTERHAND an: Der naive. märchenhafte Charme, der die Rialto-Filme auszeichnet, ist hier weitestgehend abwesend und sogar die kroatische Berglandschaft sieht etwas weniger kroatisch aus. Vielleicht ist es auch nur auf die Qualität der DVD zurückzuführen, aber OLD SHATTERHAND ist in seiner Farbpalette merklich gedämpft, mutet herbstlicher und erdiger an als die von der Rialto beaufsichtigten Karl-May-Filme mit ihren strahlend blauen Himmeln, dem saftigen Grün der Wiesen und den sich davon abhebenden weißen Felsen. Das bringt auch einen gewissen Realismus mit sich: Obwohl OLD SHATTERHAND dem von der Rialto vorgegebenen Muster inhaltlich treu bleibt, geht ihm deren mythischer, hyperrealer Touch vollkommen ab. Und wenn am Ende der Indianerangriff auf ein Fort inszeniert wird, dann muss Brauners Film den Vergleich mit so manchem US-Western nicht scheuen.

Dennoch war ich nicht durchgehend zufrieden: OLD SHATTERHAND ist mit seinen fast zwei Stunden Laufzeit überlang geraten, nimmt sich aber kaum Zeit für seine Figuren. Es wird ein Berg von Handlung abgearbeitet, dennoch tritt der Film im gesamten Mittelteil auf der Stelle. Und weil es kaum Atempausen gibt, die Figuren keine Luft zum Atmen bekommen, wirkt er trotz aller unleugbaren Schauwerte ein wenig leblos und steif. Viele interessante Aspekte werden so hingeworfen, aber nicht richtig ausgearbeitet: Es gibt keine gute Schurkenfigur und die Verwandlung des großen Mysteriums Winnetou in einen Menschen aus Fleisch und Blut gelingt auch nicht so recht. Pierre Brice’ Spiel bleibt zu distanziert und undurchsichtig, um echten Zugang zu seinem Charakter zu ermöglichen. Old Shatterhand hingegen, in den Rialto-Western noch der greifbarere Part des Duos, nimmt hier Winnetous Funktion des Deus ex machina an, hetzt von einem Schauplatz zum nächsten, immer darauf bedacht, den Tag zu retten. Dass der kleine Junge trotzdem überaus unvermittelt ins Gras beißen muss, ist der eine große Schock des Films, der Leena und mich bei der Sichtung dann auch beinahe hat aufschreien lassen. Solchen Zynismus hat sich Wendlandt in seinen Karl-May-Filmen nicht erlaubt. Ich tue mich schwer mit dem Fazit: OLD SHATTERHAND ist mehr als respektabel in seinem Versuch, es dem US-amerikanischen Vorbild gleichzutun (auch wenn er dabei fast zwangsläufig scheitern muss) und insofern ein bemerkenswertes Beispiel großen deutschen Unterhaltungskinos. Dennoch gefallen mir die Rialto-Produktionen besser, weil sie eben etwas vollkommen eigenes darstellen und demzufolge nicht bloß als schwächere Kopie eines überlegenen Originals abschneiden. Vielleicht muss ich das abschließende Urteil auf eine irgendwann erfolgende Zweitsichtung vertagen.


winnetou und shatterhand im tal der toten (harald reinl, deutschland/italien/jugoslawien 1968)

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Als Horst Wendlandt 1967 das Ende der Karl-May-Verfilmungen verkündete, musste sein großer Konkurrent Artur Brauner sich geradezu dazu aufgefordert fühlen, das Zepter von ihm zu übernehmen. Mit WINNETOU UND SHATTERHAND IM TAL DER TOTEN trat er zwei Jahre nach seinem letzten Karl-May-Film IM REICHE DES SILBERNEN LÖWEN an, zu beweisen, dass das Publikum immer noch an den Titelhelden interessiert und bereit war, an der Kinokasse seinen Obolus für neue Abenteuer von ihnen zu entrichten. Er musste sich eines besseren belehren lassen: Im Jahr der Studentenbewegung waren die beiden in die Jahre gekommenen Tugendbolzen, “die immer dort zu finden sind, wo es gilt, das Unrecht zu bekämpfen und dem Recht zum Siege zu verhelfen”, hoffnungslos überkommen, wollten die Menschen lieber dem Hänger Martin bei der Bewältigung seines Schwabinger Faulenzeralltags in ZUR SACHE, SCHÄTZCHEN beiwohnen (6,5 Millionen Zuschauer) oder aber den Lausbuben um Pepe Nietnagel dabei zuschauen, wie sie die autoritären Vaterfiguren (mit Nazivergangenheit) der Lächerlichkeit preisgaben. Genaue Zahlen über den (Miss-)Erfolg von Brauners Western habe ich auf die Schnelle nicht gefunden, ein Blick auf diese (nicht verifizierten) Kinocharts des Jahres 1968 lässt aber schließen, dass weniger als 500.000 Zuschauer ihn sehen wollten.

Dabei ist hier fast noch einmal alles beim Alten: Winnetou und Shatterhand/Brice und Barker sind wieder vereint, schauen sich zur Musik von Martin Böttcher, die zum wolkenlos blauen Himmel emporsteigt, ein letztes Mal tief in die blauen Augen. Neben Ralf Wolter als skalpierter Trapper Sam Hawkens treibt Eddi Arent als Lord Castlepool seine Späße: Wie auch Karin Dor war er zum letzten Mal in WINNETOU 2. TEIL dabei, gehörte mit jener aber gewissermaßen zum Ursprungsensemble aus DER SCHATZ IM SILBERSEE. Auf dem Regiestuhl nahm Harald Reinl Platz, dessen vier Karl-May-Filme für Wendlandt – DER SCHATZ IM SILBERSEE sowie die drei WINNETOU-Filme – stilprägend für die Reihe und auch die Konkurrenzfilme Brauners waren. Er versieht auch WINNETOU UND SHATTERHAND IM TAL DER TOTEN mit jenem epischen Schmelz, der Jungeherzen höher schlagen lässt, und einem fast biblischen Sinn für Gut und Böse, der sich immer wieder in grausamen Sterbeszenen niederschlägt (etwa wenn die Bösewichter am Schluss von Hunderten von Giftschlangen förmlich niedergerungen und dezimiert werden). Dann natürlich die malerische jugoslawische Berg-, Seen- und Flusslandschaft: Nicht nur wandelt WINNETOU UND SHATTERHAND IM TAL DER TOTEN inhaltlich auf den Spuren von DER SCHATZ IM SILBERSEE, er scheint auch sonst einer noch nicht ganz verblichenen Spur zu folgen. Wie die Figuren hier die aus den vorangegangenen Filmen bekannten Schauplätze noch einmal aufsuchen – das Hochplateau, auf dem sich einst das Pueblo der Apachen erhob und das über dem Flusslauf liegt, auf dem sich Old Shatterhand den Respekt des jungen Häuptlings erkämpfte, die berühmten Wasserfälle, die Halbinsel aus OLD SHATTERHAND, um nur einige zu nennen –, kann man sich des Eindrucks eines “Abschiedsfilms”, der WINNETOU UND SHATTERHAND IM TAL DER TOTEN nach Wunsch des Produzenten natürlich nicht sein sollte, kaum erwehren. Auch die Bilder, die Winnetou nun tatsächlich in seiner amerikanischen Heimat vor dem gewaltigen Panorama des Grand Canyon zeigen, verkünden die unterschwellige Botschaft: Winnetou ist zu Hause angelangt, der Kreis hat sich geschlossen, die Reise ist zu Ende.

Auf diese Weise betrachtet, stimmt WINNETOU UND SHATTERHAND IM TAL DER TOTEN durchaus versöhnlich. Die insgesamt unbefriedigenden Mexiko-Ausflüge und Nahost-Exkursionen (mit Ausnahme von DER SCHUT) sind vergessen und auch die von unübersehbaren Abnutzungserscheinungen gebeutelten WINNETOU UND DAS HALBBLUT APANATSCHI und WINNETOU UND SEIN FREUND OLD FIREHAND lässt Reinl hinter sich; zumindest gelingt es ihm eben jene Stimmung wiederzubeleben, die die erste Hälfte der Karl-May-Verfilmungen zu solch großen Erfolgen machte. Dennoch bleibt ein Aufguss ein Aufguss: Vor allem Lex Barker sieht man den Lauf der Zeit und wohl auch die Folgen des Alkoholismus deutlich an, sein einst strahlend schöner, kerniger Old Shatterhand sieht in Nahaufnahmen reichlich mitgenommen aus, als hätte er den Apachen am Vorabend das letzte Feuerwasser weggesoffen. Die Witzchen von Wolter und Arent sind bestenfalls noch vage Erinnerungen an Momente, die schon beim ersten Mal nicht gerade als komödiantische Höhepunkte gelten durften, und Winnetou funktioniert weder als der Indianer gewordene Messias der WINNETOU-Trilogie noch als “realistischer” Ersatz-Geronimo aus OLD SHATTERHAND. Pierre Brice spielt ihn auf Autopilot, sich ganz auf sein markantes Gesicht und die wehende Perücke verlassend, aber ohne echtes Engagement. Wenn er nicht im Titel erwähnt würde und auf dem Poster abgebildet wäre, ich würde mich heute wahrscheinlich fragen, ob er tatsächlich mitmacht. Ein paar Szenen werden vielleicht im Gedächtnis bleiben: Die schon erwähnte Auseinandersetzung mit den hyperaggressiven Giftschlangen, die ihren armen Opfern offensichtlich ins Gesicht springen, die hübschen Beulen-Make-ups, die den Gangstern sowie Hawkens und Castlepool nach einem Bienenangriff verpasst werden und dann, als komisches Highlight, Old Shatterhands Antwort auf die Frage des Richters, wer er denn sei: “Man nennt mich Old Shatterhand”. Ich habe mir fest vorgenommen, es ihm gleichzutun, wenn sich einmal die Gelegenheit bietet, und mich dann als “Keule” vorzustellen.

Mal sehen, ob ich mir bei Gelegenheit noch DAS VERMÄCHTNIS DES INKA zu Gemüte führen werde, den fehlgeschlagenen Versuch von Georg Marischka, Drehbuchautor einiger Karl-May-Filme von Brauner, sich neben den beiden Alpha-Produzenten als dritte Kraft im Karl-May-Geschäft zu etablieren. Vorerst bin ich ganz froh, mich wieder etwas anderem zuwenden zu können. Ich habe während der Beschäftigung mit diesen Filmen oft darüber nachgedacht, warum sie rein quantitativ nicht mit den Edgar-Wallace-Filmen mithalten konnten. Die Karl-May-Filme bieten auf den ersten Blick doch deutlich mehr Schauwerte, sind bunter, größer, actionreicher. Natürlich waren sie daher auch mit einem viel größeren Aufwand verbunden, teurer in der Herstellung und damit insgesamt ein riskanteres Geschäft. Ich glaube aber, dass mehr dahinter steckt. Tatsächlich boten sich die Karl-May-Figuren nicht in dieser Form für die serielle Aufbereitung an wie die Scotland-Yard-Beamten und ihre Gegenspieler in der gleichzeitig laufenden Wallace-Reihe. Die Wiederholung bestimmter Elemente, die dort gerade einen nicht unerheblichen Teil des Appeals ausmachte, wirkte in den Karl-May-Filmen recht bald müde. Ich glaube, die Auseinandersetzung zwischen Weißen und Indianern war einfach zu unspezifisch, zu unkonkret, zu archetypisch, um über mehr als eine Handvoll Filme hinaus zu fesseln. Wahrscheinlich haben mir deshalb gerade jene Filme am besten gefallen, die entweder gerade das Mythische möglichst ungebrochen transportieren – DER SCHATZ IM SILBERSEE, die WINNETOU-Trilogie – oder aber deutlich aus dem Fluss der Serie heraustreten und sich ganz auf reißerische Action konzentrieren: UNTER GEIERN, DER ÖLPRINZ.


ruf der wildgänse (hans heinrich, österreich 1961)

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Vor Jahrzehnten gebar die wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt inhaftierte Amelia (Heidemarie Hatheyer) im Gefängnis den Sohn ihres verstorbenen Gatten, der ihr sofort abgenommen wurde. Heute lebt sie als Ehefrau des tyrannischen Landbesitzers Caleb Gare (Ewald Balser) und hat mit ihm zwei Töchter, Judith (Marisa Mell) und Ellen (Gertraud Jesserer), in der kanadischen Provinz Manitoba. Judith ist in den Cowboy Sven Sandbo (Horst Janson) verliebt, doch die Beziehung zu ihm ist Vater Caleb ein Dorn im Auge, verpasste ihm Svens Vater doch einst eine Kugel ins Bein. Die eh schon mehr als angespannte Atmosphäre im Hause des Patriarchen droht endgültig überzukochen, als ein Landvermesser namens Mark Jordan (Hans N. Neubert) auftaucht und sich in Judith verliebt. Amelia weiß, um wen es sich bei dem jungen Mann handelt …

RUF DER WILDGÄNSE ist in der Heimatfilm-Edition von Filmjuwelen erschienen und wird auf dem Backcover als Adaption von John Knittels berühmtem Roman “Via Mala” ausgegeben. Während ersteres nur fragwürdig ist, ist letzteres schlicht falsch: Hans Heinrichs Film basiert auf dem Roman “Wild Geese” der aus Norwegen stammenden US-amerikanischen Schriftstellerin Martha Ostenso, deren bewegtes Leben sie eben auch nach Manitoba führte. “Wild Geese” erschien 1925, erntete große Anerkennung, wurde mehrfach ausgezeichnet und gilt heute als herausragender Vertreter des kanadischen Realismus. Ob der Verleih mit seinem “Via Mala”-Hinweis hier schlicht geschlafen hat oder sich von der Erwähnung des in Deutschland ungleich bekannteren Romans größere Verkäufe versprach, sei mal dahingestellt. Vielleicht schwindelte man auch bloß, um die aus der Not geborene Kategorisierung als Heimatfilm mit “Fakten” zu unterfüttern (in das Abenteuer- oder Historiensegment hätte der Film kaum besser gepasst), ist aber noch halbwegs nachvollziehbar und wirft einige interessante Fragen auf: Ist der Heimatfilm das deutsch-österreichische Äquivalent zum Western, den man umgekehrt durchaus als US-amerikanischen Heimatfilm bezeichnen könnte? Die Geschichte um die von der patriarchischen Vaterfigur geknechten Frauen ließe sich ohne Schwierigkeiten auch in die Bergwelt der Alpen verlagern, und die Besetzung der Amelia mit der Österreicherin Heidemarie Hatheyer macht die Vergleiche mit Rudolf Jugerts sehr ähnlichem Film DER MEINEIDBAUER fast unumgänglich. Letztlich ist die Beantwortung der Frage, in welche Schublade man einen Film denn nun am ehesten einsortieren kann, aber nicht nur müßig, sondern höchst unbedeutend, wenn nicht gar respektlos. Zumal RUF DER WILDGÄNSE sich solchen Zuschreibungen sowieso höchst störrisch widersetzt. Eine an Originalschauplätzen gedrehte österreichische Verfilmung eines kanadischen Romans? Der Mut, ein solches Projekt zu verwirklichen, hat Respekt verdient – erst recht, wenn das Ergebnis so ausfällt wie hier.

Hans Heinrich verfolgt keinen geradlinigen Plot, vielmehr scheint er immer wieder von der eindrucksvollen kanadischen Landschaft oder seinen Charakteren abgelenkt zu werden. RUF DER WILDGÄNSE ist gleichermaßen kompakt wie er seltsam diffus bleibt. Der zentrale Konflikt – eigentlich eine Vielzahl von Konflikten – wird nicht sauber aufgelöst, der Film läuft nicht auf den einen Endpunkt zu, stattdessen befasst sich Heinrich mit dem inneren Kampf der von Caleb unterdrückten Frauen, ihrem Hadern mit einer Entscheidung, dem langsamen Heranreifen der Gewissheit, das Schicksal in die eigene Hand nehmen zu müssen. Am Ende gelingt das Judith als erster, sie durchbricht die Herrschaft des Vaters, wahrscheinlich für immer, aber Heinrich gibt keine Antwort auf die Frage, was mit ihm, mit Amelia und Ellen weiter passiert Es geschieht viel in RUF DER WILDGÄNSE, aber nur wenig davon gerichtet und intendiert. Handlung vollzieht sich eher an den Figuren, weniger durch sie: Auch Judith ergreift “nur” die Flucht, sucht nicht die Konfrontation. Das alles führt dazu, dass man RUF DER WILDGÄNSE beiwohnt wie ein Wanderer, der von einem erhöhten Standort die sich ihm zu Füßen ausbreitende Landschaft bewundert. Und Heinrich ist ein guter Landschaftsgärtner: Vor allem die sexuellen Spannungen, die da im Hause Gare Wellen schlagen, fängt er gut ein (es hilft ihm natürlich, dass Marisa Mell geradezu vibriert vor unerfüllter Lust). Ziemlich zu Beginn erzählt Judith von einer Bärenfamilie, die immer mal wieder die Vorratskammer plündere und die Marmeladentöpfe ausschlecke. Und der brave Mark, der mehr als nur ein Auge auf die Schönheit geworfen hat, antwortet höchst eindeutig, dass er es ihnen gern einmal gleichtäte. Später gibt es eine handfeste Auseinandersetzung zwischen Judith und ihrem Vater, bei der sie ihn nur knapp mit dem Beil verfehlt. Und als Antwort darauf bindet er sie, sadistische Dominanz ausstrahlend, mit einem Seil in der Scheune fest. Gibt Ewald Balser den Patriarchen als unverrückbaren Fels in der Brandung, als unbarmherzigen Popanz, zerfließt Heidemarie Hatheyer neben ihm in passiver Leidensfähigkeit, als Gesicht der Reue und Selbstbestrafung. In diesem Kontrast und dem jugendlichen Dazwischenpreschen von Sven, Mark und Judith zeichnet sich – wenn man RUF DER WILDGÄNSE eben als Western, als Pioniergeschichte begreift – auch das Voranschreiten von Geschichte ab, nicht als zielstrebig, zwechkgerichtet, hegelianisch, sondern im Wesentlichen als von menschlichem Begehren und Schmerz bestimmt.


django unchained (quentin tarantino, usa 2012)

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“Django”: noch mehr als für Franco Neros einen Sarg hinter sich herziehenden Revolverhelden, der vielleicht ganz einfach deshalb nicht tot zu bekommen ist, weil er längst nur noch als Geist auf der Erde wandelt, steht der Name für das Genre des Italowesterns. Sergio Corbuccis Film war nicht der erste und er ist vermutlich auch nicht der bekannteste, aber sein Einfluss ist kaum zu unterschätzen. Sergio Leone hatte mit den ersten beiden Teilen seiner Dollar-Trilogie wichtige Vorarbeit geleistet und den Grundstein gelegt, Corbucci warf noch die letzten an den US-Ursprung erinnernden Atavismen über Bord, und imaginierte die neue Westernwelt als eine versiffte Vorhölle voller Dreck und verkommener Subjekte. Sein Django war ein klassischer Underdog, ein Mann nicht ohne Namen wie bei Leone, aber doch ohne durchschaubare Vergangenheit, getrieben von einem tief im Inneren schlummernden Zorn. Der Krieg, in dem er gekämpft hat, hat ihn nicht etwa zum Helden gemacht, sondern ihn schwer gezeichnet: Was er dort genau erlebt hat, wird nie thematisiert, aber man erkennt den traumatisierten Veteran hinter dem maskenhaften Gesicht. Hier knüpft Tarantino mit DJANGO UNCHAINED an, der die Italowestern-Motivik von den gegen die Mächtigen ankämpfenden Underdogs  zu einer Auseinandersetzung mit der US-amerikanischen Geschichte der Sklaverei nutzt und damit fast noch mehr Blaxploitation- als Italowestern-Hommage ist.

Django (Jamie Foxx) wird von dem deutschen Kopfgeldjäger Dr. King Schultz (Christoph Waltz) befreit, weil der jemanden braucht, der drei Zielpersonen identifiziert. Bald arbeiten die beiden Hand in Hand und haben es dabei vor allem auf miese Rassisten, Sklavenhändler und -besitzer wie Big Daddy (Don Johnson) abgesehen. Der gemeinsame Weg führt sie auch auf das Anwesen von Calvin Candie (Leonardo DiCaprio), der sich Djangos Ehefrau Broomhilda (Kerry Washington) als Prostituierte hält. Die beiden erschleichen sich das Vertrauen des Großgrundbesitzers, indem sie sich als interessiert an einem “Mandingo”, einen schwarzen Kämpfer, zeigen. Djangos Braut soll nach ihrem Plan in einem unauffälligen Nebenhandel erworben werden. Doch die Tarnung fliegt auf …

Nachdem ich sowohl mit meinen Ersteindrücken zu sowohl DEATH PROOF als auch zu INGLOURIOUS BASTERDS massiv danebengelegen habe, bin ich vorsichtig geworden. Aber DJANGO UNCHAINED hat mich auch nicht entfremdet, wie es die beiden genannten Titel zunächst geschafft hatten: Wem die letzten Filme Tarantinos zu dialoglastig und akademisch waren, der wird mit seinem letzten rundum zufrieden sein. Ich bin geneigt, DJANGO UNCHAINED als Tarantinos kommerziellsten und zugänglichsten Film zu bezeichnen. Er ist rasant, wo der Vorgänger auffallend statisch war, plot- und handlungslastig, wo Plot und Handlung zuvor eher zweitrangig waren, aktionsgetrieben, wo früher meist gesprochen wurde. Als actionlastiger Western ist DJANGO UNCHAINED ein Erfolg und ich würde lügen, wenn ich behauptete, an den saftigen Blutfontänen, zerplatzenden Körperteilen und pointierten Episoden keinen Spaß gehabt zu haben. Auch dass Tarantino hier erneut einer sich nach vier Filmen zur handfesten Obsession ausgewachsenen Rachefantasie frönt, kann ich dem Film verzeihen – weil es dem Geist der Inspirationsquellen gerecht wird, weil ich den Akt der “poetic justice”, die hier vollzogen wird, begrüße, ich es als befreiend empfinde, wenn Drecksäcke wie Nazis, Rassisten, Sklavenhändler und anderes Pack auf der Leinwand ihrer gerechten Strafe zugeführt werden. Das Problem, dass ich habe, ist ein anderes: Ich finde, dass sich dieser Stoff nicht für diese Art Entertainment eignet. Auch INGLOURIOUS BASTERDS war in gewisser Weise kalkuliert, aber Tarantino fand dafür eine Form, die verhinderte, dass die Ermordung von Juden und Nazis einfach nur so reinlief. Der Film hatte Brüche, die die Immersion verhinderten, bei DJANGO UNCHAINED hingegen verdichtet sich der Eindruck, Tarantino sei seiner eigenen Verführungskunst oder zumindest dem Glauben an ihre unfehlbare Wirkung aufgesessen. Verglichen mit einem Film wie Fleischers MANDINGO, der seine Verstrickung in die Ausbeutungsmaschine, die die reale Sklaverei in Form von mit weißem Geld produzierten Blaxploitation-Filmen in der Gegenwart fortschreibt, gleich mitreflektiert, immunisiert sich Tarantino, indem er sich hinter seinem messianischem Helden und dessen clowneskem Begleiter (Christoph Waltz legt seine Rolle für meinen Geschmack etwas zu selbstverliebt und komisch an) versteckt und seine Schurken zu grotesken Arschlöchern und degeneriertem Gesindel verzeichnet. Eine Sequenz zeigt eine Versammlung des Ku-Klux Klans, dessen Mitglieder sich darüber beschweren, durch die Masken nicht richtig sehen zu können. Das ist durchaus lustig, aber allzu oft offenbart sich Tarantinos Bild jener Zeit als eindimensional und naiv, scheint ihm die Tragweite des Systems hinter der Sklaverei gar nicht bewusst. Bei ihm wird alles auf die einfache Gleichung “böse weiße Großgrundbesitzer knechten arme Schwarze” reduziert. Ein kleines Detail, auf das mich meine liebe Gattin aufmerksam gemacht hat, deutet indes an, dass Tarantino seine problematische Haltung als weißer Filmemacher zu diesem Stoff sehr wohl reflektierte: So fahrlässig und inflationär das Wort “nigger” hier gebraucht wird, gewissermaßen aus historischer Akkuratesse, Tarantino selbst verbietet es sich in seiner Rolle als australischer Sklaventreiber. Für ihn sind Schwarze “blackies”. Vielleicht ist die Begriffswahl auch nur Tarantinos enzyklopädischem Trieb geschuldet, aber wenn man bedenkt, dass er sich das berüchtigte “N-Wort” in seiner Rolle in PULP FICTION noch erlaubte (etwas, was heute wahrscheinlich gar nicht mehr ginge), darf man dahinter sehr wohl einen Reifeprozess, gesteigerte Sensibilität und eine bewusste Entscheidung vermuten.

Solche “Haken”, die zur Auseinandersetzung, zur Reibung auffordern, und an denen es in Tarantinos Werk sonst nicht mangelt, habe ich in DJANGO UNCHAINED weitestgehend vermisst. Zum ersten Mal scheint es so, als habe der Tarantino sich damit begnügt, einen “Tarantino-Film” zu drehen. Der Soundtrack verknüpft sehr vorhersehbar Soulklassiker, Italowestern-Scores und Hip-Hop, Franco Nero darf seinen Gastauftritt absolvieren und Jamie Foxx fragen, ob er wisse, wie man “Django” schreibe. Alte Weggefährten und nicht genug gewertschätzte Nebendarsteller füllen die Besetzungsliste. Es hagelt Gewalt und Sadismen im Minutentakt. Das konnte man alles erwarten und bekommt es in zuverlässiger Qualität geliefert. Bislang zeichnete sich Tarantinos Werk aber nicht zuletzt dadurch aus, dass nie so wirklich klar war, was man bekam, und man sich vom fertigen Film mehr als einmal auf dem falschen Fuß erwischt sah. In diese Hinsicht ist DJANGO UNCHAINED schon eine Enttäuschung, wenn auch auf hohem Niveau.

 


rio bravo (howard hawks, usa 1959)

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Einer der größten amerikanischen Filmklassiker des vergangenen Jahrhunderts, Inspirationsquelle für zahllose Regisseure und Filme (mir ist z. B. jetzt erst aufgefallen, wie viele Details aus diesem Film sich in Barbonis LO CHIAMAVANO TRINITÀ wiederfinden) nimmt RIO BRAVO mittlerweile längst selbst den Status jener Mythen ein, von denen der Western zu erzählen pflegt. Es ist ein Film, der trotz seines vergleichsweise jungen Alters so sehr mit der Geschichte des amerikanischen Kinos verwoben ist, dass man sich eine Welt ohne ihn kaum vorstellen kann. RIO BRAVO war wahrscheinlich schon immer da, Howard Hawks hat ihn nur sichtbar gemacht, ihn aus dem Wüstensand geborgen, die Knochen freigeschaufelt, gereinigt und wieder zusammengesetzt. Eine Ikone, die bei Betrachtung ein ganzes Universum eröffnet.

Dabei wurde RIO BRAVO mit einem ganz konkreten Vorhaben im Sinn erdacht und realisiert, wenn man den Chronisten Glauben schenken darf. Gemeinsam mit seinem Star John Wayne wollte Hawks – der gerade eine vierjährige Schaffenspause hinter sich hatte, an argen Selbstzweifeln litt und noch nicht ahnen konnte, was für ein fulminantes Comeback seine neuster Film bedeuten würde – das Gegenstück zu Zinnemanns HIGH NOON drehen, einen Film, den der “Duke” angeblich als “unamerikanisch” verachtete. (“What a piece of you-know-what that was,” he [John Wayne; Anm. v. mir]  told me [Roger Ebert; Anm. v. mir]. “I think it was popular because of the music. Think about it this way. Here’s a town full of people who have ridden in covered wagons all the way across the plains, fightin’ off Indians and drought and wild animals in order to settle down and make themselves a homestead. And then when three no-good bad guys walk into town and the marshal asks for a little help, everybody in town gets shy. If I’d been the marshal, I would have been so goddamned disgusted with those chicken-livered yellow sons of bitches that I would have just taken my wife and saddled up and rode out of there.”) Die Geschichte um den aufgrund der Feigheit seiner Mitmenschen allein einer Verbrecherschar entgegentretenden Sheriff bedurfte einer Revision, die den amerikanischen Gemeinsinn beschwor. So entstand, basierend auf einer gleichnamigen Kurzgeschichte, RIO BRAVO, ein Film um eine Stadt im Belagerungszustand, mehr aber noch über die Freundschaft fünf äußerst ungleicher, in ihrem Pflichtbewusstsein und ihrer grenzenlosen Loyalität allerdings seelenverwandter Charaktere. Und das ist auch das eigentlich Spannende an RIO BRAVO, das, was den Zuschauer, der heute kaum noch unvorbelastet an ihn herantreten kann, weil Hawks’ Film die Populärkultur durchdrungen hat wie die Zehn Gebote die westlichen Zivilisationen, überrascht, verblüfft, fasziniert: Dieser Western ist nur ganz am Rande Pferdeoper, nur ganz am Rande an Schießereien und markigen Sprüchen interessiert, sein Rahmen ist im Grunde willkürlich, nicht notwendig für sein Gelingen. Es handelt sich um ein Drama, einen Film über diese fünf Menschen und die Beziehung, die sie zueinander haben, über ihre Freundschaft und ihre Kämpfe, über gegenseitigen Respekt und Treue, aber auch um den Zeitpunkt, an dem man diese Treue im Sinne der Freundschaft entziehen muss. Es ist ein Film über die Vergangenheit, die ihre Schatten auf das Heute wirft, und darüber, wie man sich ihrer entledigt, um das Morgen erleben zu können. Dieses universale, mythische Element steckt natürlich im Kern jedes Westerns, aber dieser sticht dadurch heraus, dass er den Kern weitestgehend freilegt. Wenn sich Chance (John Wayne), Dude (Dean Martin), Colorado (Ricky Nelson) und Stumpy (Walter Brennan) im Finale den Schurken stellen, dann ist das eigentlich nur ein Nachgedanke. RIO BRAVO ist geradezu frappierend modern für einen Western, mit dem John Wayne den Amerikanismus retten wollte.

Der Anfang ist natürlich legendär, perfektes Beispiel dafür, wie man einen Film beginnen sollte: Der abgerissen aussehende, mit einem Deputystern ausgestattete Dude wankt in einen Saloon, blickt sich die Lippen leckend um, sieht überall Männer, die köstlichen Whiskey in sich hineinkippen. Aber er hat kein Geld und niemand ist bereit, ihm welches zu geben. Nur Joe (Claude Akins) wendet sich ihm zu, nimmt einen Dollar aus der Tasche und wirft ihn voller Schadenfreude in einen Spucknapf, der auf dem Boden steht. Ein teuflisches Grinsen huscht über sein breites Gesicht. Dude ist nur anscheinend hin- und hergerissen. Er weiß, dass er den Dollar aus dem Rotz herausangeln wird, um sich den ersehnten Drink kaufen zu können, egal wie lange er mit sich hadert, weiß, dass ihn die Aussicht auf das Gelächter, den Hohn und Spott, den er unweigerlich ernten wird, genausowenig vom Griff nach dem Almosen abhalten werden, wie die Erkenntnis, ganz am Boden angelangt zu sein. Dude beugt sich zum Napf, da tritt ein Stiefel ihn weg. Es ist der Stiefel von Chance, seines Zeichens Sheriff und Freund des traurigen Säufers. Es kommt zur Keilerei, bei der erst Dude seinem alten Freund einen kräftigen Schlag verpasst, dann ein unschuldiger Schlichter von Joe erschossen wird. Joe wechselt den Saloon, und wenig später erscheint dort ein wankender, blutender Chance, um den Mörder zu verhaften. Einer seiner Kompagnons will den Sheriff umlegen, doch da erscheint Dude wieder auf der Bildfläche und rettet Chance mit einem gezielten Schuss das Leben. Joe, der Bruder des örtlichen schwerreichen und kriminellen Viehbarons Nathan Burdette (John Russell), wird verhaftet, das Unheil nimmt seinen Lauf.

Die wichtigsten Handlungselemente des Films sind in dieser kurzen, nahezu wortlosen Exposition enthalten: Sie etabliert den Alkoholismus Dudes, die ehrliche, wenn auch nicht immer harmonische Freundschaft zwischen ihm und Chance und natürlich den Grundkonflikt, der den Film in den folgenden zwei Stunden seinem unweigerlichen Showdown entgegentreibt. RIO BRAVO zeichnet ein Belagerungsszenario, wie es dank gelehriger Schüler wie George A. Romero (NIGHT OF THE LIVING DEAD) oder John Carpenter (ASSAULT ON PRECINCT 13) zu einem Standard des Thrillerkinos wurde: Die Helden warten in einem abgeschlossenen Raum (extern das Kaff Rio Bravo, intern das Sheriffbüro samt Gefängnis) auf Hilfe durch den Marshall, von der sie wissen, dass sie zu spät kommen wird, und auf den Angriff der Schurken. Anders als etwa bei Carpenter wird dieses Warten bei Hawks aber nicht zur nervenzerfetzenden Zerreißprobe. Die fünf Freunde – den Männern gesellt sich noch Feathers (Angie Dickinson) hinzu, die mit Chance anbändelt – nutzen die Zeit, um alte und neue Probleme zu lösen oder aber sich kennenzulernen. Die bevorstehende Aufgabe schweißt sie zusammen, sofern sie nicht eh schon Brüder im Geiste sind. Natürlich schwingt dabei auch die Idee mit, das eigene Leben in Ordnung zu bringen, bevor das Ende naht, aber RIO BRAVO wird niemals düster oder deprimierend. Seine Protagonisten kennen ihren Platz im Leben, wissen, dass sie sich nichts vorzuwerfen haben, aber auch, welchen Weg sie gewählt haben. Wenn sie am Ende in die Schlacht ziehen, hat das deshalb auch nichts von jener Todessehnsucht, die Peckinpahs Wild Bunch befällt, vielmehr mit der Unlust, sich länger in die Passivität drängen zu lassen. Es steckt noch zu viel Energie in ihnen, sei sie entfacht durch eine entflammte Liebe wie bei Chance, die abgelehnte Sucht bei Dude oder den Ehrgeiz, in die Ahnengalerie der Helden einzutreten wie bei Colorado. RIO BRAVO ist ein Charakterfilm, auch wenn eine genaue formale Analyse genug inszenatorische Winkelzüge für ein ganzes Buch offenbaren dürfte (er kommt angeblich mit ganzen vier Nahaufnahmen aus), und wird getragen von seinen Dialogen – die vor allem in den Szenen mit Wayne und Dickinson an die berühmten Austäusche von Bogart und Bacall erinnern – und der Präsenz seiner Darsteller. Dean Martin war wahrscheinlich nie so gut und bewegend wie hier, John Wayne dominiert paradoxerweise mit respekteinflößender Zurückhaltung und Angie Dickinson steht als Frau ihren Mann, ohne dabei die Klischees bedienen zu müssen. Hier fügt sich alles wie ein Puzzle zusammen, und wenn man sich den Film anschaut, dann weiß man, dass das keine Fügung glücklicher Zufälle war, sondern Meisterhandwerk, wie es heute verdammt selten geworden ist.


el dorado (howard hawks, usa 1966)

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critique-el-dorado-hawksEL DORADO, Howard Hawks’ vorletzter Film, gilt als einer der großen Westernklassiker, auch wenn er zu einer Zeit erschien, als sich das Genre bereits auf dem absteigenden Ast befand. Er ist, mehr noch als RIO BRAVO, mit großer Geste als farbenfrohes Entertainment-Paket inszeniert, voller Actionszenen, markiger Dialogzeilen und deutlich größerem Anteil an komischen Einlagen. Inhaltlich darf man ihn durchaus als Remake, oder vielleicht besser “Re-Imagining” des nur sechs Jahre zuvor ebenfalls unter Hawks’ Regie entstandenen Films bezeichnen, aber er ist ausufernder, weniger fokussiert, beschwingter, lockerer. Dass er kaum weniger geliebt wird als sein Vorgänger verwundert aus heutiger Sicht etwas, gehört es doch mittlerweile zum guten Ton für selbstbewusste Filmfreunde, eilig nachgeschobene Remakes und Reboots mit Verachtung zu strafen, vor allem, wenn sie leichter und weniger ernst sind als ihre Originale. Dann muss man aber einräumen, dass heutige Remakes und Reboots selten auch nur einen Funken der Klasse haben, die EL DORADO ohne Zweifel aufweist.

Im inhaltlichen Abgleich zeigt sich, dass Hawks einen anderen Anfang für seine Geschichte wählt, früher ansetzt als der Vorgänger, der den Zuschauer ohne große Exposition in medias res warf. EL DORADO wirkt hingegen fast schon episch mit seinem sechs Monate überspannenden Handlungsbogen: Robert Mitchums J. P. Harrah, das Äquivalent zu Dean Martins Dude, ist der Sheriff von El Dorado und zu Beginn des Films, als sein alter Kumpel, der Revolverheld Cole Thornton (John Wayne) auftaucht, noch trocken. Der spätere Konflikt wird vorerst nur vorbereitet, bricht aber noch nicht aus. Thornton verlässt die Stadt wieder, nachdem er in Notwehr einen unschuldigen Jungen, der ihn für einen Gangster hielt, erschießen musste und zur Rache dafür selbst eine Kugel auf den Pelz gebrannt bekam, die nun nahe seinem Rückgrat feststeckend unregelmäßige Lähmungsanfälle hervorruft. Während seiner Abwesenheit lernt er den jungen Einzelgänger Mississippi kennen – James Caan in der Ricky-Nelson-Rolle – und erfährt, dass es in El Dorado bald zum Kampf zwischen dem schurkischen Rancher Bart Jason (Edward Asner) und den braven Macdonalds kommen wird. Cole kehrt zurück, um seinem Freund Harrah zu helfen, der in der Zwischenzeit über einer unglücklich verlaufenen Liebesgeschichte zum Alkoholiker geworden ist. Von hier an spielt sich die Geschichte bis auf Details nach dem Muster von RIO BRAVO ab: Cole, der ihn begleitende Mississippi sowie Harrahs Sidekick Bull (Arthur Hunnicutt) müssen den Sheriff einer Entziehungskur unterziehen, um ihn für die bevorstehenden Aufgaben frisch zu machen. Bart Jason landet nach dem Mord an einem Macdonald im Gefängnis, Cole geht auf Tuchfühlung mit der schönen Maudie (Charlene Holt), und Jasons Killer, angeführt von Nelse McLeod (Christopher George), versammeln sich um das Haus des Sheriffs.

EL DORADO hat seinem ideellen Vater nicht viel hinzuzufügen: Robert Mitchum betont in der Rolle des Alkoholikers eher die körperliche Seite des Verfalls, während es bei Dean Martin vor allem um den Verlust der Würde ging. Mitchum ist natürlich toll, aber ihm gefällt es sichtlich, den abgerissenen Penner zu geben. Man hat fast ein bisschen Mitleid mit ihm, wenn Mississippi ihm einen ekelhaft aussehenden Trunk einflößt, der es Harrah danach unmöglich macht, auch nur einen Tropfen zu sich zu nehmen. Die Tragik, die Martin seinem Dude verleiht, wird hier deutlich gemildert. James Caan wird mehr Raum eingeräumt als Ricky Nelson vor ihm und er weiß diesen gut zu nutzen. Man merkt, dass es sich bei ihm um einen “echten” Schauspieler handelt und nicht um einen Quereinsteiger aus dem Musikbiz. Der Hauptplot steht mehr im Vordergrund, es gibt mehr Schießereien, der Schurke erhält mit McLeod einen gefährlichen Helfer – Christopher George, der später meist freundliche Rollen spielte, ist toll mit blindem Auge und beeindruckender Narbe –, alles wirkt etwas größer und spektakulärer – aber auch oberflächlicher. Am deutlichsten wird das an der Beziehung zwischen Cole und Maudie, die nur ein Schatten des komplexen Rapports ist, den John Wayne und Angie Dickinson in RIO BRAVO miteinander unterhielten. Charlene Holt, ein ehemaliges Model, ist hübsch anzusehen, aber wenig mehr. Ihre Rolle bedeutet gegenüber dem in der Zeichnung seiner weiblichen Protagonistin durchaus als progressiv zu bezeichnenden Vorgänger einen Rückfall in alte Westernschemata, in denen Frauen üblicherweise auf die Aufgabe reduziert wurden, ihren Mann anzuhimmeln und sich Sorgen um ihn zu machen. Das alles ändert nichts daran, dass EL DORADO meisterliches Kino ist, inszeniert von einem der Allergrößten. RIO BRAVO ist einfach ein verdammtes Meisterwerk, mit dem nur die allerwenigsten Filme mithalten können.


the big country (william wyler, usa 1958)

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The_Big_Country-609819729-large“It’ s a big country.” Diesen Satz sagen die Charaktere des Films immer wieder, fast mantraartig wiederholen sie ihn. Er ist durchaus ambivalent, bedeutet einerseits, dass es viel Platz gibt für die unterschiedlichsten Menschen mit den unterschiedlichsten Lebensentwürfen, besagt andererseits, dass in diesem weiten Land auch viel passieren kann, von dem niemand Notiz nimmt. “Das nächste Sheriff-Büro ist 200 Meilen weit entfernt, man muss seine Gesetze hier selbst machen.”, sagt Major Terrill (Charles Bickford) einmal. William Wyler zeigt das weite Land als endlose karge, von Horizont zu Horizont reichende Fläche, tabula rasa für die Verwirklichung der eigenen Träume, ein Land, das erst noch gefüllt werden muss, mit Bedeutung, mit Zukunft. Das einzige, was es hier noch mehr gibt als Land ist Himmel, doch der liebe Gott ist auffallend abwesend. THE BIG COUNTRY handelt vom Traum der Pioniere, die nach Westen zogen, aber auch von dem diesem Traum inhärenten Konfliktpotenzial: Wenn alle Menschen ihn verwirklichen wollen, muss es zu Problemen zwischen ihnen kommen, und die Findung eines Kompromisses fällt schwer, wenn man mehrere tausend Meilen gereist ist, um keinen mehr machen zu müssen. Für den Protagonisten erfüllt sich die Utopie am Ende – wahrscheinlich zumindest. Aber THE BIG COUNTRY ist natürlich auch ein Film, der der US-amerikanischen Faszination für Waffen und Gewalt auf den Grund geht, zeigt, welches Dilemma das Herz der großen Nation bis heute zerreißt. Die größtmögliche Freiheit, nach der da gestrebt wird, ist gleichzeitig der Quell größter Unfreiheit. Die Flucht vor der als beengend empfundenen Zivilisation führt geradewegs in die nächste.

William Wyler vermeidet einen drögen Historienwestern, indem er sein Thema auf einer ganz konkret individuellen Ebene ansiedelt und spiegelt. Der Neuankömmling James McKay (Gregory Peck), ein wohlhabender Schiffskapitän von der Ostküste, der in den Westen kommt, um Patricia (Carroll Baker), Tochter des reichen Großgrundbesitzers Terrill zu heiraten, sieht sich Vorurteilen und Anfeindungen ausgesetzt, weil er sich nicht den vorherrschenden Regeln beugen will. Er wird am Ende triumphieren, weil er nicht einem gerade nicht das tut, was ihm die Konvention diktiert, sondern nur das, was er selbst für richtig hält. Während Terrill seit Jahrzehnten mit dem heruntergekommenen Hannassey-Clan um Wasserrechte für die Viehherden im Clinch liegt, wie sein Gegenüber (Burl Ives) nicht bereit ist, auch nur einen Fußbreit zurückzuweichen, und so einen handfesten Krieg vom Zaun bricht, kann McKay das große Ganze sehen und eine Entscheidung im Sinne des Gemeinwohls treffen. Gregory Peck, der häufiger in der Rolle des für weich gehaltenen Kopfmenschen zu sehen war (man denke an Robert Mulligans TO KILL A MOCKINGBIRD), lässt seinen James McKay häufig seinen Gedanken nachhängen, reflektieren, seine nächsten Züge überdenken. Anders als Terrill schwingt er keinen großen Reden, um sich selbst zu inszenieren, aber alles, was er sagt und tut, hat Hand und Fuß. So betrachtet er den wilden Hengst Thunder – den zu reiten ihm der Cowboy Steve Leech (Charlton Heston) zu Beginn vorgeschlagen hat, natürlich mit dem Hintergedanken, den “eitlen Stadtmensch” im Dreck landen zu sehen und ihn so zurechtzustutzen – lange Zeit, als wollte er sein Verhalten studieren, bis er es dann wagt, sich auf den Sattel zu schwingen. Er ruht ganz in sich, weiß stets genau, was er will, ohne diese Selbstsicherheit demonstrativ vor sich her zu tragen. Gerade das wird ihm als Schwäche ausgelegt, weil der Schein im Wilden Westen von immenser Bedeutung ist. Nicht nur, um Halsabschneider wie die Hannasseys abzuschrecken, sondern weil die Existenz im Pionierland gewissermaßen Wunscherfüllung ist. Wer hier bereits mit sich zufrieden ist, muss den anderen suspekt sein.

THE BIG COUNTRY verfügt, ganz ähnlich wie der zuletzt gesehene RIO BRAVO, über ein Inventar faszinierender Charaktere, das seine Handlung diktiert. Charles Bickford ist wunderbar hassenswert als Patriarch, der jeden Vorwand nutzt, um einen Lynchmob gegen seine Erzfeinde anzuführen. Carroll Baker ist in der Rolle seiner ihm treu ergebenen Tochter kaum weniger schlimm. Sie kündigt ihrem Verlobten auf der Stelle die Treue, als der sich weigert, sich mit dem vor Zorn (und Eifersucht) brodelnden Leech zu prügeln. Überhaupt Heston: Hier sieht man, dass er in Schurkenrollen möglicherweise besser aufgehoben gewesen wäre, als immer wieder den lustfeindlichen, grimmigen Helden zu geben. Burl Ives gewann als Vater des Hannassey-Clans zwar einen Oscar, aber seine Darbietung ist tatsächlich am wenigsten gut gealtert, voller theaterhafter Monologe, die seiner Wirkung etwas im Weg stehen. Ganz anders Chuck Connors als sein rüpelhafter Sohn Buck: Seine widerspenstige Haartolle macht die Figur, gibt dem Raubein diesen Hauch verwundbarer Jungenhaftigkeit, lässt sein tragisches Ende umso bitterer erscheinen. Jean Simmons verblasst in ihrem – zugegebenermaßen undankbaren – Part etwas: Sie äußerte sich Jahre nach dem Film, dass es ihr unter den herrschenden Umständen – es gab während der Dreharbeiten zahlreiche Drehbuchmodifikationen – unmöglich war, eine gute Leistung abzuliefern. THE BIG COUNTRY war eine schwierige Produktion, bei der sich die guten Freunde Peck und Wyler schwer verkrachten und anschließend Jahre brauchten, um sich wieder zu versöhnen. Es ist bemerkenswert, dass man dem fertigen Film nichts davon anmerkt. Er ist schlicht makellos, grandios geschrieben, gespielt, fotografiert und inszeniert, ein Film für die Ewigkeit im wahrsten Sinne des Wortes. Seine Botschaft sollten sich die Menschen auch heute noch zu Herzen nehmen.

 



der letzt mohikaner (harald reinl, italien/spanien/deutschland 1965)

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Als erster und – trotz wohlwollender Publikums- und Kritikerreaktionen – auch letzter Film einer nach dem bahnbrechenden Erfolg von Reinls DER SCHATZ IM SILBERSEE neben den Karl-May-Filmen von der Constantin geplanten Reihe von Western, ist DER LETZTE MOHIKANER deutlich härter und auch amerikanischer als die schwelgerischen Epen nach Vorlage des deutschen Romanciers aus Radebeul. Reinl, zu seiner Zeit ohnehin einer der wenigen deutschsprachigen Regisseure, die sich auf die Inszenierung von Action verstanden, drehte einen erstklassigen Verfolgungs- und Belagerungswestern, verlegte die Handlung des berühmten Romans von James Fenimore Cooper vom 18. ins 19. Jahrhundert, von den Waldgebieten im Osten in eine typisch felsige Wildwestkulisse. Die drei Hauptstränge der Handlung führt er mit großer Könnerschaft und stetigem Spannungsaufbau auf das explosive Finale, das sichtlich von Altmeistern wie Howard Hawks inspiriert ist. Lediglich in der Figurenzeichnung der Titelfigur, dem Indianer Unkas (Daniel Martin) und seinem treuen Freund Falkenauge (Anthony Steffen), zeigen sich deutliche Parallelen zu den Winnetou-Filmen: schon allein deshalb, weil beiden dieselben Synchronsprecher zugeteilt wurden. Aber auch sonst erinnert Unkas’ Art, mit den Augen einen Punkt hinter dem Horizont zu fixieren und in poetischen Bildern zu sprechen an den berühmten Apachenkollegen. Es stört nicht weiter, weil “der letzte Mohikaner” von Cooper ja schon im Titel als tiefromantische Figur angelegt worden war, als Zeichen einer untergehenden, naturverbundenen Kultur und einer gewissen wilden Unschuld, die die weißen Siedler dabei waren, endgültig zu zerstören.

Doch eigentlich bleibt diese Hauptfigur ein Nebenaspekt in einem sehr geradlinig auf den finalen Showdown zulaufenden Film, dem sehr viel mehr an der historischen Realität als an einer märchenhaften Utopie gelegen ist, wie sie die Karl-May-Filme verkörperten. Schon die unwirtliche Felsenlandschaft der andalusischen Tabernas-Wüste markiert einen gewaltigen Unterschied zu den saftig-grünen, mit leuchtend weißen Felsen gesprenkelten Wiesen Jugoslawiens, und Karin Dors Cora gibt gleich mehrfach zu verstehen, wie grausam dieses Land sei. Die Menschen sterben hier deutlich weniger glamouröse oder auch nur dramatische Tode, sie beißen eben ins Gras, und das in stattlicher Zahl, ohne dass sie noch einem Blutsbruder den letzten Gruß ins Ohr hauchen könnten, und selbst, wenn die Bösewichte am Ende besiegt oder wenigstens in die Flucht geschlagen werden, stellt sich nicht die Euphorie des Triumphes ein. DER LETZTE MOHIKANER endet mit dem sinnlosen Tod desselben, ein unmissverständliches Zeichen dafür, das jede Hoffnung auf einen Sieg der Vernunft, auf eine gleichberechtigte Koexistenz nicht nur zwischen Weißen und Indianern, sondern zwischen Menschen jeglicher Herkunft, vergebens ist. Ein starker Film, der eine wertvolle Ergänzung und einen wirkungsvollen Kontrapunkt zu den Karl-May-Filmen bildet.

 

 


terza visione 2: il ritorno di ringo (duccio tessari, italien/spanien 1965)

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ritorno_di_ringo_giuliano_gemma_duccio_tessari_005_jpg_xrjmEin Beispiel für die vielen filmischen Schmankerl und Liebesdienste, die dem Besucher in Nürnberg – sei es beim Terza Visione oder den Hofbauer-Kongressen – geboten werden: IL RITORNO DI RINGO, der in Deutschland in zwei unterschiedlichen Fassungen ur- und wiederaufgeführt wurde, wurde für diese Aufführung in einer mit beträchtlichem Aufwand rekonstruierten Version gezeigt. Um die bestmögliche Bildqualität zu bieten, wurde die leicht gekürzte deutsche Fassung, die in einer sehr gut erhaltenen Kopie vorlag, mittels einer ungeschnittenen, leider aber rotstichigen Fassung vervollständigt. So kamen die Besucher in den Genuss des intakten Films, ohne dabei allzu große Einschränkungen hinnehmen zu müssen. Tessaris Film hat es verdient, denn er gehört ohne Zweifel zu den stärksten und ungewöhnlichsten Filmen seines Genres.

Die Geschichte ist ein Amalgam aus Corbuccis DJANGO und Leones PER UN PUGNO DI DOLLARI: Ein namenloser Soldat (Giuliano Gemma) kommt aus dem Krieg nach Hause und erkundigt sich nach einem Ringo, der im Nachbarort Mimbres leben soll. Er erfährt, dass Ringo gefallen sei und dessen Gattin nun kurz vor der Eheschließung mit einem Sohn des schurkischen Esteban Fuentes (Fernando Sancho) stehe, der Mimbres ganz in seiner Gewalt hat. Der Soldat – von dem wir ahnen, dass es sich um jenen Ringo handelt – verkleidet sich als Mexikaner und begibt sich nach Mimbres, um seine Gattin, seinen Grundbesitz und seine männliche Würde zurückzuerobern und den Ort von den Verbrechern zu befreien.

Wie Christian Kessler in seinem Italowestern-Buch “Willkommen in der Hölle” richtig schreibt, handelt es sich bei IL RITORNO DI RINGO um eine Art Westernvariante der alten Odysseus-Geschichte. Es ist mithin kaum verwunderlich, dass Tessaris Film eher dem mythisch Überhöhten statt dem Kurzweilig-Knalligen verpflichtet ist. Ringo ist wie ein Geist, der noch einmal die Gelegenheit bekommt, sich anzusehen, was von seiner alten Existenz übrig geblieben ist: nichts. Wenn im weiteren Verlauf des Films der Wunsch nach Rache in ihm heranreift, bekommt IL RITORNO DI RINGO eine heftige Schlagseite zum psychosexuellen Drama. Kämpft Ringo wirklich um seine alte Liebe oder geht es ihm nicht doch nur darum, seine Autorität als Kerl wiederherzustellen, seine Kastration rückgängig zu machen und seinen alten Platz als Alphamännchen von Mimbres wieder einzunehmen? Man weiß es nicht genau, das Schlussbild, dass eine naive Herzchenzeichnung zeigt, in der einige Messer stecken, ist vielseitig intepretierbar, lässt durchaus die Möglichkeit offen, dass hier längst nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist. Mal ganz davon abgesehen, dass Ringo mit seinen Helfern ein wahres Massaker unter den Fuentes angerichtet hat.

Auch wenn IL RITORNO DI RINGO mit seinem ausgedehnten Showdown am Schluss in recht genreübliche Bahnen gelenkt wird, bleibt doch der Eindruck eines besonderen Vertreters des Italowesterns. Duccio Tessari inszeniert überaus geduldig, fast zärtlich ist es, wie er seinen Helden bei der Hand nimmt, und ihn an seine alte Wirkungsstätte führt. Mimbres entpuppt sich weniger als Höllenloch denn als Jenseitsort, durch den ständig ein Windhauch zieht, der herumliegendes Heu mit sich trägt; die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm hat sich dort breitgemacht. Der erste Höhepunkt des Films ist die Wiederbegegnung von Ringo und seiner Ehefrau, bei der die alte, tot geglaubte Liebe sofort zu neuem Leben erwacht: ein Moment, der sich dank Ennio Morricones Score in nicht für möglich gehaltene emotionale Höhen emporschwingt. Später, während der wüsten Schlussballerei, gibt es ebenfalls einen wunderschönen, ruhigen und abgründigen Moment, wenn sich der verwundete Held von seiner kleinen Tochter die Waffe laden lässt und die Ruhepause nutzt, das Eis mit einem kleinen Scherz zu brechen. In diesen Szenen fällt die Maske des Nihilismus, hinter der der Italowestern sein wahres Gesicht oft verbarg, und entpuppt sich darunter als hoffnungslos sentimental und melancholisch. Ein Jahrhundertfilm, den auch die deutsche Synchro, die irgendwann anfängt, dem Helden idiotische One-Liner in den Mund zu legen, nicht kaputt bekommen hat.


the magnificent seven (john sturges, usa 1960)

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kfHuiowDie Lektüre des Buches “Steve McQueen: Portrait of an American Rebel” hat mich dazu inspiriert, dem Superstar, meisterhaften Minimalisten und reactor hier in den nächsten Wochen und in loser Folge eine kleine Reihe zu widmen. Viele seiner Filme kenne ich noch gar nicht, andere haben mal wieder eine Auffrischung verdient. Mit den neu angelesenen Informationen im Hinterkopf erhoffe ich mir außerdem auch neue Erkenntnisse. Ich war nämlich einigermaßen überrascht über McQueens Lebenslauf: Da er für mich die idealtypische Verkörperung männlicher Autorität und natürlich der viel beschworenen Coolness ist, hatte ich angenommen, dass der Superstar auch in seinem Leben ein Musterbeispiel für jene straightness gewesen sei, die er auf der Leinwand so unnachahmlich verkörpert. Stattdessen erfuhr ich, dass der Mann, der als Kind von seiner wenig verantwortungsbewussten Mutter hin und hergeschoben worden war, eine Vergangenheit als Gangmitglied und Jugendstraftäter hatte und seine Jugend zum Teil in einem Heim für schwer Erziehbare verbrachte, aufgrund seiner geringen Bildung unter großen Minderwertigkeitskomplexen litt und mehrere Anläufe benötigte, um sich als Schauspieler zu etablieren. Kurz gesagt: Steve McQueen war nicht gerade prädestiniert dazu, ein Künstler zu werden, noch weniger der bestbezahlte Schauspieler seiner Zeit. Diese eiskalte Autorität, die man mit ihm verbindet, war weniger die Folge eines großen Selbstbewusstseins als jener für ihn einst überlebenswichtigen street wisdom, dem Wissen, dass einem nichts geschenkt wird und der Gegner jedes Anzeichen von Angst oder Schwäche sofort auszunutzen bereit ist.

Als John Sturges ihn für die Rolle des Vin in seiner Bearbeitung von Kurosawas SHICHININ NO SAMURAI besetzte, hatte McQueen es bereits in New York am Broadway versucht und in mehreren Fernsehproduktionen und Spielfilmen mitgewirkt, die Macher dabei stets von seinem natürlichen Talent und seiner Präsenz überzeugen können, aber letztlich die nötige Disziplin vermissen lassen – oder einfach Pech mit seiner Rollenwahl gehabt. Der erste Schritt zum Erfolg war die Hauptrolle in der Westernserie WANTED: DEAD OR ALIVE, in der McQueen den Kopfgeldjäger Josh Randall spielte und Macher wie Zuschauer gleichermaßen mit seiner Detailversessenheit sowie seinem Sinn für Realismus und Authentizität beeindruckte. Die Wege von McQueen und Sturges kreuzten sich zum ersten Mal 1959, als der damals bereits 29-Jährige eine Nebenrolle in dem Sinatra-Vehikel NEVER SO FEW mit Leben füllte. Das Angebot des Megastars, fortan als festes Mitglied seines Rat Packs zu reüssieren, schlug McQueen mutigerweise aus: Er wollte nicht, dass man seine Karriere später auf die Gefälligkeit eines mächtigen Freundes zurückführte, sondern es aus eigener Kraft schaffen. Mit 30 Jahren und festgelegt auf eine Fernsehrolle, die damals nur selten eine große Filmkarriere nach sich zog, war THE MAGNIFICENT SEVEN mithin die Chance, die McQueen unbedingt nutzen musste. Das Problem: Er war nicht der einzige hungrige Jungschauspieler am Set und auch nicht der einzige, der wusste, dass er aus dem Schatten des großen Yul Brynner heraustreten musste, wenn er die Aufmerksamkeit des Zuschauer gewinnen wollte. Marshall Terrill, der Autor des oben genannten Buches, erzählt einige amüsante Anekdoten vom Konkurrenzkampf, der infolgedessen unter den Darstellern entbrannte, von den Bemühungen der Co-Stars, Brynners Szenen zu “stehlen”, die eigene Position durch kleine Tricks zu verbessern. So soll McQueen, der durch seine Vergangenheit wusste, wie man mit einem Revolver umgeht, Brynner auf Nachfrage eine sehr einfache Methode beigebracht haben, die Waffe zu ziehen, um mit der eigenen, deutlich elaborierteren Technik besser auszusehen. Als Brynner davon erfuhr, versuchte er wiederum McQueen davon zu überzeugen, vom Revolver auf ein Gewehr umzusteigen: Ein Schachzug, auf den McQueen allerdings nicht hereinfiel, sehr zum Ärger Brynners. McQueen machte sich bei seinen Kollegen nicht unbedingt beliebt: Er war immer darauf bedacht, gut wegzukommen, wusste genau, wenn eine Regieanweisung oder ein Szenenaufbau ihm zum Nachteil gereichte und intervenierte dann auch zu Ungunsten seiner Mitstreiter. Er folgte einem strengen Karriereplan und wenn er auch keinen hohen Bildungsgrad hatte, so besaß er eben jene Schläue, die seinen Erfolg begünstigte und seinen Aufstieg zum Weltstar ermöglichte.

Um von McQueen den Übergang zum größeren Ganzen, Sturges’ Film, zu schaffen: Jene Strategie, auf die McQueen zurückgeworfen war, Szenen, in denen er eigentlich nur “Beiwerk” für den eigentlichen Star war, durch kleine Gesten und hingeworfene Improvisationen an sich zu reißen, ist nicht nur charakteristisch für seinen Stil, sie passt zu THE MAGNIFICENT SEVEN wie die Faust aufs Auge. Betrachtet man den Film nämlich aufmerksam, so fällt auf, wie wenig er mit Dialogen erzählt, stattdessen funktioniert er fast ausschließlich über seine Charaktere, und die Handlung entwickelt sich ganz logisch aus ihnen heraus, ohne dass große Exposition betrieben werden müsste. Das ist umso bemerkenswerter, als THE MAGNIFICENT SEVEN von den drei großen Ensemble-Spektakeln der Sechziger (die beiden anderen sind THE GREAT ESCAPE und THE DIRTY DOZEN) der mit Abstand kürzeste ist, mithin am wenigsten Zeit hat, seine Hauptfiguren umfassend zu charakterisieren. Horst Buchholz bekommt als junger Heißsporn Chico recht viel Platz, alle anderen haben nur wenig Gelegenheit, ihre Figuren zum Leben zu erwecken. McQueen hat zudem eine nur wenig profilierte Rolle, keinen echten “arc”, den er durchlaufen würde: Trotzdem ist es sein Vin, der als lebendigster Charakter in Erinnerung bleibt. Er erreicht das lediglich durch wohldosierte Bewegungen, Mimik, Blicke und seine Körperhaltung. Gleich zu Beginn, wenn er neben Brynners Chris den Platz auf dem Kutschbock einnimmt, benutzt er seinen Hut als Sonnenschutz, prüft, wo die Sonne steht und von wo er in der möglicherweise folgenden Konfrontation geblendet werden könnte. Überhaupt spielt sein Hut eine wichtige Rolle. David Morrell, Autor des Romans “First Blood”, für dessen Verfilmung McQueen in den Siebzigerjahren im Gespräch war, bevor man ihn aufgrund seines bereits zu hohen Alters verwarf, bezeichnet den Hut gewissermaßen als Schlüssel zu McQueens Erfolg in THE MAGNIFICENT SEVEN. Allgemeiner könnte man sagen, dass McQueen dadurch die Aufmerksamkeit auf sich zieht, dass er nie einfach nur so dasteht, auch dann nicht, wenn er eigentlich nichts zu tun hat. Immer hat er etwas in der Hand, das er betrachtet, womit er spielt. Meist sind es nur Kleinigkeiten, nie wirkt es aufgesetzt oder aufdringlich, aber immer erzielt er damit eine Wirkung. Kritiker und Zuschauer sahen das genauso: Brynner war der nominelle Star des Films, aber McQueen war es, der den Menschen auffiel. Vielleicht steckt dahinter das erste kleine Zittern der Erde vor dem großen Beben namens “New Hollywood”, das die Traumfabrik am Ende des Jahrzehnts erschüttern sollte. Brynner ist noch ein Typ vom alten Schlage, sein Spiel breit ausgestellt, nicht so sehr vom Einfühlen in eine Rolle geprägt als vom Wissen um die eigene Persona. Mit seinem swagger (dieser Gang, der faustgroße Hoden in der zu engen Hose suggeriert!), der etwas theatralischen Art, mit der er den Mittelpunkt des Bildes besetzt und seine Zeilen deklamiert, wirkt er neben dem Understatement und der selbstbewussten Lässigkeit McQueens wie das Relikt einer vergangenen Zeit. Vin wird vom Drehbuch als eine Art Bruder im Geiste von Brynners Chris angelegt, aber hinter der vordergründigen Übereinkunft spürt man deutlich die Spannungen zwischen dem “Alten” und dem “Jungen”. Chris und Brynner wissen, dass ihre Zeit abläuft; noch können sie auf ihren Körper zählen, zehren zudem von dem Ruf, der ihnen vorauseilt, aber irgendwann werden die Muskeln versagen, die Sinne schwächer. Vin und McQueen nutzen noch den Windschatten des Erfahrenen, saugen auf, was sie von ihm lernen können,und sparen ihre Kräfte, für den Moment, in dem er die ersten Schwächen zeigt, um ihn dann gnadenlos hinter sich zu lassen. Bis dahin sollte es nicht mehr lange dauern. Als Burt Kennedy sechs Jahre später THE RETURN OF THE MAGNIFICENT SEVEN drehte, war Yul Brynner wieder zur Stelle. Steve McQueen hatte eine Wiederholung des Erfolgsfilms da schon nicht mehr nötig. Er war bereits zu neuen Ufern aufgebrochen und sollte einen Ruhm erreichen, der den Brynners weit überstieg.


nevada smith (henry hathaway, usa 1965)

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48481Direkt im Anschluss an THE CINCINNATI KID begannen für Steve McQueen die Dreharbeiten an NEVADA SMITH, der den als aufmüpfig und schwierig bekannten Star mit dem Hollywood-Veteranen Henry Hathaway zusammenbringen sollte. Hathaway, der dafür bekannt war, ein eisernes Regiment am Set zu führen, schuf die Basis für die Zusammenarbeit, indem er McQueen vor Drehbeginn unmissverständlich klar machte, dass er keine Marotten und Extrawürste duldete. McQueen genoss dennoch zahlreiche Vorzüge – Hathaway wusste, dass er seinen Hauptdarsteller nicht einsperren konnte und ihn bei Laune halten musste –, für Missstimmungen sorgte in erster Linie Hathaways Ablehnung jeglicher Improvisation. Seine Regieanweisungen waren Gesetz, und McQueen, der einen weniger rigiden Stil und größere Freiheiten bevorzugte, um seine Figuren zum Leben zu erwecken, fühlte sich oft eingeengt. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass NEVADA SMITH zwar ein weiterer Hit in seiner Filmografie wurde, McQueens Erfolgsserie fortsetzte und einen wichtigen Schritt auf seinem Weg zum Superstar markiert, seine Leistung bei den damaligen Kritikern aber keine besondere Wertschätzung erfuhr. NEVADA SMITH ist ein schöner Western, ein Vertreter jenes großen Hollywoodkinos, das Mitte der Sechzigerjahre schon im Sterben begriffen war, mit epischem Schwung erzählt und wunderbaren Landschaftsaufnahmen von Lucien Ballard, aber er zählt gewiss nicht zu den Filmen, mit denen man McQueen heute in erster Linie assoziiert.

NEVADA SMITH basiert auf einer Figur aus Harold Robbins’ Roman “The Carpetbaggers”, der 1964 von Edward Dmytryk mit dem 51-jährigen, unmittelbar darauf verstorbenen Alan Ladd als “Nevada Smith” verfilmt wurde, und ist eine Art Prequel zu diesem (das gab es also auch schon damals): Seine Hauptfigur, das Halbblut Max Sand (Steve McQueen), ein unerfahrener junger Mann, der weder schießen noch lesen und schreiben kann, heftet sich drei Männern (Karl Malden, Arthur Kennedy und Martin Landau) an die Fersen, die seine Eltern brutal ermordet haben. Auf der Jagd quer durch die USA trifft er verschiedene Menschen, und die Erfahrungen, die er in der Begegnung mit ihnen sammelt, lassen ihn Schritt für Schritt zum Mann heranreifen und seinem Ziel näherkommen. NEVADA SMITH vereint in seiner Geschichte Elemente klassischer antiker Heldenmythen (die Reise mit ihren verschiedenen Stationen), des Schelmenstückes (das linkische Verhalten Max’, der damit dennoch überall durchkommt), des Bildungsromans (die Entwicklung des Jungen zum Mann) und der Americana (die verschiedenen Orte und Kulturen, mit denen Max zusammentrifft). McQueens Rolle entspricht dabei der Filmpersona, die er zu jener Zeit für sich herausgearbeitet hatte und die eine Vorstufe zu dem coolen, supersouveränen Profi ist, den er ab THE THOMAS CROWN AFFAIR verkörperte. In NEVADA SMITH ist er der nicht besonders intelligente, dafür umso entschlossenere, aufmüpfige, respekt- und furchtlose Jüngling (obwohl McQueen damals schon 35 war – eine Parallele zu seinem “Teenager” aus THE BLOB), der durchaus autobiografische Züge trägt: McQueen wuchs ohne leiblichen Vater auf, wurde von seiner Mutter über weite Strecken seiner Kindheit und Jugend allein gelassen, arbeitete auf der Farm seines Onkels und sammelte seine Erfahrungen auf der Straße, die ihm dann auch Schwierigkeiten mit dem Gesetz und einen mehrjährigen Aufenthalt in einem Heim der “Boys Republic”, einer Anstalt für schwer erziehbare Jungs einbrachten. So wie McQueen im Laufe seiner Karriere “wachsen” sollte, vom räudigen Straßenköter zu einem Sexsymbol, vom Taugenichts zum bestbezahlten Schauspieler seiner Zeit, so reift auch Max. Zuerst sind es nur kleine Schritte, die er macht: Er lernt, dass man Fremden nicht unbedingt trauen sollte, wie man richtig schießt. Er begeht seinen ersten Rachemord, verliebt sich in die indianischer Prostituierte Neesa (Janet Margolin) und wird von ihrem Stamm gesund gepflegt. Auf der Suche nach dem nächsten Mörder verschlägt es ihn in ein Strafgefangenenlager in den Sümpfen Louisianas, aus dem ihm mithilfe des Cajun-Mädchens Pilar (Suzanne Pleshette) der Ausbruch gelingt, bei dem sie jedoch stirbt. Erstmals kommen ihm Zweifel an der Richtigkeit seiner Mission: Wird er nicht selbst zu dem, was er zu bestrafen sucht? Doch er hält an seinem Plan fest, auch als ihm ein Mönch (Raf Vallone) ins Gewissen redet. Bis er den letzten Killer, Tom Fitch (Karl Malden), wehrlos vor sich stehen hat.

NEVADA SMITH hangelt sich an allen wesentlichen Plotmarkern des Rachefilms entlang und führt seinen Protagonisten auf seiner Reise gewissermaßen ans Licht der Erkenntnis. Der kaltblütige Rachemord ändert nichts, er verschmutzt letztlich nur die eigene Seele. Doch so wirkungsvoll die Schlussszene mit den an Max’ abprallenden Verfluchungen des verwundet zurückgelassenen Mörders auch ist: Nach zwei Stunden endet Hathaways Film damit lediglich genau so, wie man das von Beginn an vorausgesehen hat. NEVADA SMITH verfügt über eine nur schwer zu fassende, bleierne Atmosphäre, die mit seinem beschwingten Erzähltempo und den prachtvollen Bildern seltsam über Kreuz liegt. Das ist durchaus interessant, aber trotzdem fehlt irgendetwas zum totalen Glück. Der Kern der Geschichte, die innere Entwicklung, die Max durchläuft, bleibt diffus, auch weil der Film es versäumt, den Ablauf der Zeit wirklich greifbar zu machen. Als am Ende gesagt wird, dass seit dem Mord an Max’ Eltern Jahre vergangen sind, war ich mehr als nur etwas verdutzt. Das alles wirkt, als spielt es sich innerhalb einiger Wochen ab (auch wenn es logistisch etwas schwierig gewesen wäre, die Strecke in dieser Zeit zurückzulegen). McQueen gelingt es hier beileibe nicht so eindrucksvoll wie in seinen anderen Filmen, seinen Charakter zu seinem eigenen zu machen. Was Max im Innersten antreibt, die Entwicklung, die er durchläuft, wird nie wirklich transparent. Max bleibt ein Mysterium, mal benimmt er sich wie ein dümmlicher Naivling, dann ist er wieder der eiskalte Profi, und es fiel mir als Zuschauer enorm schwer, mich zu ihm zu positionieren. Wir erfahren fast nichts über ihn. Der Film beginnt mit dem Mord an seinen Eltern (Lukas hat hier eine kleine Analyse der Sequenz veröffentlicht), und bevor wir noch eine Beziehung zu Max aufbauen können, befindet er sich bereits auf dem Kriegspfad, um zwei Menschen zu rächen, deren Beziehung zu ihm nie beleuchtet wurde. Dass man mit ihm mitfiebert, ist eher der Konvention geschuldet, als dem Charakter selbst. Auch die humanistische Botschaft, mit der der Film endet, ist zwiespältig: Max lässt Fitch zwar leben, doch von echter Gnade kann keine Rede sein. Und wohin es den Protagonisten nun verschlagen wird, bleibt ebenfalls völlig ungewiss. Man sieht keine Zukunft für ihn am Horizont. Bezeichnend, dass sein Name, der Name des Films, ein Pseudonym ist, dass er sich spontan ausdenkt, um Fitch über seine wahre Identität zu täuschen. Wer ist dieser Mann eigentlich? Das Menschliche tritt gegenüber der Größe des Landes, das eine Vielzahl austauschbarer Geschichten erzählt, völlig in den Hintergrund. Der Weg ist das Ziel, und in der beinahe mythischen Reise des Jungen durch das Land entfaltet NEVADA SMITH dann auch seinen Reiz, vor allem in der Louisiana-Episode, die McQueen zum zweiten Mal nach THE GREAT ESCAPE zum Ausbrecher macht (einige Jahre später vollendete er seine private Ausbrecher-Trilogie mit PAPILLON).

Interessant ist auch die editionsphilologische Frage: Die deutsche Fassung läuft ca. 125 Minuten, was 131 NTSC-Minuten entspricht, doch im Netz ist vielfach von 135 Minuten die Rede. Es existieren Szenenfotos von der Ermordung von Max’ Eltern, die suggerieren, dass deutlich mehr gedreht wurde, als man im Film zu sehen bekommt, aber konkrete Hinweise zu einer solchen “intakten” Fassung gibt es nicht.


a man called horse (elliott silverstein, usa 1970)

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A MAN CALLED HORSE stammt aus einer Zeit, als viele Filmemacher offensichtlich bemüht waren, das im Western über viele Jahrzehnte gezeichnete, oft klischierte Bild des Indianers einer Revision zu unterziehen. Innerhalb weniger Jahre entstanden Filme wie SOLDIER BLUE oder ULZANA’S RAID, die die amerikanischen Ureinwohner nicht als zu bezwingende Wilde zeichneten, sondern sie als Menschen Ernst nahmen und auch die Verbrechen, derer sich die weißen Eroberer an ihnen schuldig machten, in der gebotenen Härte darstellten.

Elliott Silversteins Film beruht auf einer Kurzgeschichte der Westernautorin Dorothy M. Johnson, von der auch die Vorlagen zu Fords THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALANCE und Delmer Daves THE HANGING TREE stammen, und wurde mit der Behauptung beworben, ein “authentisches Porträt” des Lebens der amerikanischen Ureinwohner zu zeichnen. Sein viel diskutiertes pièce de résistance ist die lange Sequenz, in der die Hauptfigur dem Initiationsritus des “Sonnentanzes” (im Original: “vow of the sun”) unterzogen wird. (A MAN CALLED HORSE war damit der erste Film, der die sogenannte “Flesh Hook Suspension” zeigte, ein Brauch, der heute noch in der “Modern Primitive”-Kultur gepflegt wird.) Bereits im Vorspann des Filmes wird auf diese Sequenz hingeweisen und mitgeteilt, dass der Brauch in den späten Jahren des 19. Jahrhunderts verboten worden sei: Schon hier tritt die Zwiespältigkeit des Films hervor: Auch wenn Silverstein sich bemüht, die Indianer nicht zu beäugen wie der Zoobesucher die vielfältigen animalischen Attraktionen, sondern stattdessen eine Innenperspektive einzunehmen, und er zahlreiche echte Indianer als Schauspieler und Berater engagierte, benötigt er dennoch den weißen Helden, der den Primitiven letztlich zeigt, wie der Hase läuft – und sein Love Interest wird auch noch von einer Griechin gegeben, Corinna Tsopei, die 1964 Miss Universum geworden war. Indianer-Vertreter und Aktivisten protestierten erwartungsgemäß lautstark und vehement gegen den Film. In ihrem Buch “The Only Good Indian: The Hollywood Gospel” von 1972 schrieben Ralph E. und Natasha A. Friar etwa:

“How to make an Indian movie. Buy 40 Indians. Totally humiliate and degrade an entire nation. Make sure all Indians are savage and ignorant. Satisfy Indian groups by seeking authenticity. Import a Greek to be an Indian princess. Introduce a white man to become an ,Indian’ hero. Make the white man compassionate, brave and understanding. Make the white man an ,Indian’ leader to save the souls of the weak. desecrate the Indian religion. Pocket the profits in Hollywood.”

Aber A MAN CALLED HORSE hatte nicht nur mit solchen ideologiekritischen Vorwürfen zu kämpfen, er musste sich auch ankreiden lassen, es in der Darstellung des indianischen Lebens nicht ganz so genau genommen zu haben, wie es angeblich sein Anspruch gewesen war. Zwar beriefen sich die Produzenten auf die Erfahrungsberichte des Malers, Autors und Indianerkenners George Catlin – seine Mutter und Großmutter waren während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges von Indianern entführt worden und prägten durch die so erworbenen Erfahrungen sein späteres Interesse am Leben der Ureinwohner, mit dem er sich auf zahlreichen Reisen intensiv auseinandersetzte –, doch warfen sie dabei einiges durcheinander: Die den Sioux zugeschriebenen Praktiken waren viel eher eine Verbindung von Bräuchen der Crow und Mandan, die mit den Sioux sogar verfeindet waren. Es half nichts, dass Clyde Dollar, der Historiker, der am Film beteiligt war, die Kritik als Ausdruck von Eifersüchtelei zwischen den verschiedenen Stämmen bewertete, die von den damaligen Gegebenheiten eh keine Ahnung hätten.

Es ist nahezu unmöglich, all diese Vorwürfe zu entkräften: A MAN CALLED HORSE ist tatsächlich ein “imperialistischer” Film, der die Menschen, die er seinem Publikum nahebringen will, doch wieder nur durch die verzerrte Brille des weißen Mannes betrachtet und sie in ein narratives Korsett zwängt, das eindeutig als “weiß” zu identifizieren ist. Die Naivität dieses Konzepts mit dem Aufstieg des tapferen Weißen zum Anführer und dem sein Schicksal teilenden Franzosen, der als sein Vertrauter und Helfer fungiert, ist mehr als 40 Jahre nach seinem Kinostart offensichtlich. Auch fällt die Selbstgerechtigkeit des Protagonisten unangenehm auf, der seinen Freund einmal tadelt, die Indianer auch nach über fünf Jahren des Zusammenlebens nur als seine Peiniger zu betrachten, aber selbst immer noch einen Dolmetscher braucht, um sich überhaupt verständigen zu können. Dieser Mangel einer verbalen Übereinkunft ist es auch, der am unangenehmsten nachhallt, und den Eindruck, da kommt ein Herrenmensch an und reißt mal eben, von oben herab Befehle erteilend, die Kontrolle des Ladens an sich, verstärkt. Aber all das ändert nur wenig daran, dass Silversteins Film für seine Zeit durchaus ambitioniert war und auch heute noch schön anzuschauen ist. Dass er über weite Strecken auf verständlichen, sprich: englischen, Dialog verzichtet, den Protagonisten verstummen lässt, ermöglicht tatsächlich, diesen Einblick in die andere Kultur. Die Naturaufnahmen und natürlich die “Sonnentanz”-Sequenz sind auch heute noch beeindruckend und Richard Harris als Wahlindianer eine echte Schau. Nur den Klassikerstatus, den der Film vielleicht einmal innehatte, kann man heute nicht mehr wirklich bestätigen, dafür ist dann doch zu viel ideologischer Sand im Getriebe.


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