OLD SHATTERHAND ist der erste der Karl-May-Filme, die unter der Leitung von Artur Brauner und seiner CCC-Film (Central Cinema Compagnie) entstanden. Wo ein gutes Geschäft lockte, da war Brauner nicht weit, auch wenn er unter Umständen etwas mogeln musste. Brauners großer deutscher Produzenten-Konkurrent Horst Wendlandt, ein ehemaliger Angestellter, hatte seinem einstigen Chef nicht nur die Verfilmungsrechte an den Edgar-Wallace-Filmen weggeschnappt, sondern auch an den Westernromanen Karl Mays. Brauner blieben nur die Rechte an den weniger populären Orient- und Mexikostoffen. Als sich DER SCHATZ IM SILBERSEE als Kassenschlager erwies, erfand Brauner kurzerhand seinen eigenen Karl-May-Western, den er durch Verhandlungsgeschick mit den Stars der Rialto, Lex Barker und Pierre Brice, besetzen konnte. So bot er Wendlandt im “Tausch” für Pierre Brice die bei ihm unter Vertrag stehende Elke Sommer an, die dann für die Rialto in UNTER GEIERN mitwirkte. In seinem Karl-May-Abenteuer müssen die beiden Helden wieder einmal den fragilen Frieden zwischen Weißen und Indianern sichern.
Eine Bande von Gangstern ermordet ein Farmerehepaar mithilfe einiger gedungener Komantschen und hofft so, die Friedensverhandlungen zwischen Weißen und Indianern zu stören. Der Sohn des Ehepaars überlebt jedoch und kann sich zur Indianerin Paloma Nakama (Daliah Lavi) retten. Nach einem Treffen zwischen Old Shatterhand (Lex Barker) und Winnetou (Pierre Brice), die über die besorgniserregenden Neuentwicklungen informiert sind, holt Shatterhand die Indianerin und den kleinen Jungen ab, um sie in Golden Hill in Sicherheit zu bringen. Dort haben sich jedoch auch die Gangster um Dixon (Rik Battaglia) einquartiert und bringen den kleinen Zeugen kurzerhand um. Als weitere Morde den Apatschen in die Schuhe geschoben werden, scheint ein Krieg nicht mehr abwendbar. Hinter dem Komplott steckt der gemeine Soldat Captain Bradley (Guy Madison), dem es darum geht, das Indianerland in seine Hände zu bekommen …
Den vermeintlichen “Mangel” der fehlenden Originalvorlage machte Brauner durch großen Materialeinsatz wett: OLD SHATTERHAND ist mit einem Budget von rund fünf Millionen DM der teuerste der Karl-May-Filme der Sechzigerjahre und dank der Regie des Argentiniers Hugo Fregonese wohl auch der amerikanischste. Der Regisseur hatte in den Fünfzigerjahren bereits einschlägige Erfahrungen in Hollywood gemacht, dabei unter anderem mit Stars wie Joel McCrea, James Mason, Ricardo Montalban, Joseph Cotten, Shelley Winters, Gary Cooper, Barbara Stanwyck, Anthony Quinn, Edward G. Robinson, Lee Marvin und Jack Palance gearbeitet. Seine Erfahrung sieht man OLD SHATTERHAND an: Der naive. märchenhafte Charme, der die Rialto-Filme auszeichnet, ist hier weitestgehend abwesend und sogar die kroatische Berglandschaft sieht etwas weniger kroatisch aus. Vielleicht ist es auch nur auf die Qualität der DVD zurückzuführen, aber OLD SHATTERHAND ist in seiner Farbpalette merklich gedämpft, mutet herbstlicher und erdiger an als die von der Rialto beaufsichtigten Karl-May-Filme mit ihren strahlend blauen Himmeln, dem saftigen Grün der Wiesen und den sich davon abhebenden weißen Felsen. Das bringt auch einen gewissen Realismus mit sich: Obwohl OLD SHATTERHAND dem von der Rialto vorgegebenen Muster inhaltlich treu bleibt, geht ihm deren mythischer, hyperrealer Touch vollkommen ab. Und wenn am Ende der Indianerangriff auf ein Fort inszeniert wird, dann muss Brauners Film den Vergleich mit so manchem US-Western nicht scheuen.
Dennoch war ich nicht durchgehend zufrieden: OLD SHATTERHAND ist mit seinen fast zwei Stunden Laufzeit überlang geraten, nimmt sich aber kaum Zeit für seine Figuren. Es wird ein Berg von Handlung abgearbeitet, dennoch tritt der Film im gesamten Mittelteil auf der Stelle. Und weil es kaum Atempausen gibt, die Figuren keine Luft zum Atmen bekommen, wirkt er trotz aller unleugbaren Schauwerte ein wenig leblos und steif. Viele interessante Aspekte werden so hingeworfen, aber nicht richtig ausgearbeitet: Es gibt keine gute Schurkenfigur und die Verwandlung des großen Mysteriums Winnetou in einen Menschen aus Fleisch und Blut gelingt auch nicht so recht. Pierre Brice’ Spiel bleibt zu distanziert und undurchsichtig, um echten Zugang zu seinem Charakter zu ermöglichen. Old Shatterhand hingegen, in den Rialto-Western noch der greifbarere Part des Duos, nimmt hier Winnetous Funktion des Deus ex machina an, hetzt von einem Schauplatz zum nächsten, immer darauf bedacht, den Tag zu retten. Dass der kleine Junge trotzdem überaus unvermittelt ins Gras beißen muss, ist der eine große Schock des Films, der Leena und mich bei der Sichtung dann auch beinahe hat aufschreien lassen. Solchen Zynismus hat sich Wendlandt in seinen Karl-May-Filmen nicht erlaubt. Ich tue mich schwer mit dem Fazit: OLD SHATTERHAND ist mehr als respektabel in seinem Versuch, es dem US-amerikanischen Vorbild gleichzutun (auch wenn er dabei fast zwangsläufig scheitern muss) und insofern ein bemerkenswertes Beispiel großen deutschen Unterhaltungskinos. Dennoch gefallen mir die Rialto-Produktionen besser, weil sie eben etwas vollkommen eigenes darstellen und demzufolge nicht bloß als schwächere Kopie eines überlegenen Originals abschneiden. Vielleicht muss ich das abschließende Urteil auf eine irgendwann erfolgende Zweitsichtung vertagen.
