Ein Blut-Schweiß-Tränen-Rotz-Schnee-Matsch-Erd-und-Eingeweide-Epos: THE REVENANT, der auf der wahren Geschichte des Trappers Hugh Glass basiert, erzählt ausdauernd von Schmerz und Leid und vom entsagungsreichen Leben unter widrigen Bedingungen, das, wenn man Glück hat, nach einem heftigen Adrenalinschub der Angst von einem schnellen, gewaltsamen Tod beendet wird, oder aber, wie im Falle des Protagonisten, einfach nicht aus den Knochen weichen mag, sich an den gemarterten Körper klammert wie die Pranken eines Bären, ihn auf allen Vieren durch die Wildnis treibt.
Alejandro G. Iñárritu hat sich bisher nicht gerade einen Namen als „bescheidener“ Regisseur gemacht. Seinen Filmen haftet immer etwas der Ruch der Aufschneiderei, des überflüssigen Pomps und Kitsches sowie der Prätentiosität an. AMORES PERROS, mit dem er 2000 international bekannt wurde, lief bereits 155 Minuten und verknüpfte mehrere Episoden und Schicksale zu einem theatralischen Runterzieher, in dessen Mittelpunkt das Schicksal eines armen Wauwaus stand. Dem folgenden 21 GRAMS konnte man mit einigem Recht vorwerfen, in erster Linie den Zweck verfolgte, seinem Publikum mit großem Aufwand die Laune zu vermiesen zu wollen, BABEL verrannte sich mit weltumspannenden Netzwerk-Plot in rechtschaffenem Welterklärertum, und wenn man so hörte, wie unbescheiden Iñárritu über seinen preisgekrönten BIRDMAN schwadronierte, konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er sich tatsächlich für so wichtig und genial hielt, wie seine Filme das immer suggerierten. Auch THE REVENANT ändert nichts daran: Er dauert erneut zweieinhalb Stunden und wartet mit zwei Hauptdarstellern auf, die jeweils für die volle Dröhnung thespischer Gravitas und märtyrerartige Verschmelzung mit ihren Figuren stehen. Als besonderes Gimmick verzichtete der Regisseur auf die Verwendung jeglicher künstlicher Beleuchtung und die Auftaktsequenz, die Spielbergs D-Day in den US-amerikanischen Nordwesten verlegt, ihren Strand verteidigende Nazis durch attackierende Indianer ersetzt, ist selbstredend ohne (sichtbaren) Schnitt inszeniert. Die Handlung ist demgegenüber geradezu aufreizend sparsam: Es geht um Durchhaltevermögen und Lebenswillen, um Liebe und Loyalität und, ich bin geneigt zu sagen: natürlich, um Rache.
Damit wir uns richtig verstehen: THE REVENANT sieht wirklich fantastisch aus, lässt sich als ausufernder Bilderbogen beschreiben, der die ganze ungezähmte Wildheit der US-amerikanischen Wildnis in eindrucksvollen Panoramen einfängt, den armen, durchnässten Weißen, die wie ahnungslose Zielscheiben durch das feindliche Land ziehen, eine schroffe, unbarmherzige Natur entgegensetzt, deren Schönheit nur wenig mit den Idealisierungen der Romantik zu tun hat. Den Protagonisten dabei zuzusehen, wie sie sich dieser Natur entgegenwerfen, wie sie versuchen zu überleben und welche Entbehrungen sie dabei auf sich nehmen, ist durchweg packend und nicht selten schmerzhaft. Vor allem DiCaprio darf als halbtoter, durch die Mangel gedrehter Hugh Glass alle Register ziehen, bluten, schreien, grunzen, keuchen und kriechen, aber seine Mitstreiter, von denen nicht wenige von aus dem Nichts heranrasenden Pfeilen durchbohrt werden, und Tom Hardys Fitzgerald, dessen Indianerhass von einer überlebten Skalpierung herrührt, sollen auch nicht verschwiegen werden. Es ist schon eine Schau, THE REVENANTs Sadismus über die volle Distanz zu folgen. Definitiv der erste Film Iñárritus, bei dem ich mir eine Zweitsichtung wirklich vorstellen kann.
Aber, und das wäre dann also meine Kritik, es ist schon etwas seltsam, diese trotz esoterischem Geraune (Glass sieht immer wieder seine tote Indianergattin) im besten Wortsinne eindimensionale Geschichte im Gewand des großen Oscaranwärters dargeboten zu bekommen. Glass‘ Geschichte war schon einmal verfilmt worden, 1971 mit Richard Harris in der Hauptrolle als MAN IN THE WILDERNESS, und damals war das ein schlanker 100-Minüter von Richard Sarafian, an den sich heute niemand mehr erinnert. Unter Iñárritus Regie avanciert die Mär über einen sich grunzend durch den Schnee schleppenden Zottel, der nur von Rachegelüsten, eisernem Willen und – seien wir ehrlich – einer ihm vom Drehbuch angedichteten Tom-und-Jerry-haften Stehaufmännchen-Physis am Leben gehalten wird, hingegen zum kulturellen Großereignis, über das alle reden und dem die Auszeichnungen hinterhergeworfen werden. Das Missverhältnis ist kaum zu übersehen, und so langsam aber sicher finde ich die Obsession des amerikanischen Kinos mit dem Rachethema durchaus etwas problematisch: Ich habe rein gar nichts gegen einen kompakten, gewalttätigen Reißer, aber gibt es für das ganz große Kino wirklich keine interessanteren menschlichen Grenzerfahrungen mehr als unstillbaren Blutdurst und Hass? Wie oft müssen wir uns noch damit auseinandersetzen und so tun, als habe das wirklich etwas mit unserem Leben zu tun? Und: Ist es wirklich angemessen, diese Geschichte mit diesen Mitteln zum Großereignis aufzublasen?
