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Clik here to view.Als D. W. Griffith THE BIRTH OF A NATION drehte, schwebte ihm vor, einen Film zu machen, der die Gründung der USA als einen kollektiven Willens- und Kraftakt vieler mutiger Bürger erfahrbar machte. Er wollte der visionären Kraft, die dafür nötig war, ein Denkmal setzen, und ein Gefühl ehrlichen Stolzes und heiliger Ergriffenheit in den Herzen seiner Zuschauer pflanzen. Sein Scheitern bestand darin, dass er dabei ausschließlich weiße Zuschauer im Sinn hatte und der Meinung war, dass jeder, der nicht mit dem “aryan birthright” ausgestattet war, in den USA auch kein Mitspracherecht haben sollte. Die Nation konnte eigentlich demnach erst entstehen, indem sie sich von ihrer ursprünglich zugrundeliegenden Idee eines freiheitlichen Staates verabschiedet hatte. Man musste schon, wie er, auf der Gewinnerseite stehen, um das als Triumph betrachten zu können.
Die Idee zu THE IRON HORSE hatte William Fox, Gründer des gleichnamigen Studios: Ähnlich wie Griffith schwebte ihm ein bildgewaltiges und ergreifendes historisches Epos über Amerika vor (“the great American picture play”) und als er sich bei der Suche nach einem geeigneten Stoff mit dem Bau der Eisenbahnlinie auseinandersetzte, die Ost und West verbinden sollte, wusste er, dass er fündig geworden war. Als Regisseur wählte er den jungen John Ford, der nicht nur das nötige Maß an Erfahrung mitbrachte, sondern – noch wichtiger – “whose heart and soul were imbued with the spirit of America”. Die Wahl des Regisseurs mag in Anbetracht des gewaltigen materiellen und logistischen Aufwands, der für THE IRON HORSE mit dem Ziel betrieben wurde, das Publikum zu überwältigen, eine Marginalie gewesen sein, aber sie hätte treffender kaum sein können. Später mehr dazu.
Nach Casting und monatelanger Recherche, die die historische Genauigkeit sicherstellen sollte, begannen die komplizierten Dreharbeiten in Mexiko, Kalifornien, Utah, Nevada, Dakota und Wyoming. In mehr als zwei Jahren befehligte Ford eine Belegschaft von rund 5.000 Leuten, darunter neben den Hauptdarstellern überwiegend Eisenbahner, Indianer und Statisten aus 37 Nationen, die wie die Eisenbahnleute im Jahrhundert zuvor in einer fahrenden Stadt durchs Land zogen, von Wind und Wetter gepeinigt. 200 Köche waren mit der Versorgung betraut, die davon abhängig war, dass rechtzeitig Nachschub eintraf. 2.800 Pferde, 1.300 Büffel und 10.000 Rinder sollen zum Einsatz gekommen sein. Am Ende des aufwändigen Drehs, bei dem Ford die Studioleute beständig im Nacken saßen und ihn zur Einhaltung des Drehplans drängten, stand ein 150-minütiges Epos, das bei Kosten von ca. 280.000 Dollar (heute ca. 7 Millionen Dollar) weltweit einen Gewinn von 2 Millionen (heute: geschätzt 50 Millionen Dollar) einspielte und Ford einen entscheidenden Karrieresprung verpasste. THE IRON HORSE gilt heute als das vielleicht erste echte Meisterwerk des Westerns und zeigt überdeutlich, worin Fords ausgesprochene Stärke bestand. So gelang ihm eben genau das, was Griffith sich zehn Jahre zuvor vorgenommen hatte: einen filmischen Gründungsmythos zu schaffen, der die “Geburt der Nation” als einen kollektiven Kraftakt der einfachen Arbeiter darstellte, die aus aller Herren Länder gekommen waren, um einen gemeinsamen Traum zum Leben zu erwecken. THE IRON HORSE erfüllte mich während der Sichtung mit einem Gefühl der Demut und Ehrfurcht. Für den heutigen Betrachter wird das sicherlich auch durch das Alter des Films begünstigt, der mittlerweile selbst ein kulturhistorisches Artefakt ist, wie ein Fenster in die Zeit wirkt, aber diese Kraft liegt eben auch in Fords Inszenierung und in seinen Bildern begründet, die eine fast religiöse Kraft entfalten.
In einem Interviewfetzen erzählt Spielberg davon, dass er, wann immer er einen neuen Film vorbereitet, zur Inspiration mehrere Filme von Ford anschaut, darauf achtet, wie er den Frame setzte, wie er die Darsteller positionierte. Eine seiner Formulierungen fand ich sehr hilfreich, um zu verstehen, woher diese Kraft kommt: Spielberg sagt sinngemäß, dass jede Aufnahme von Ford immer auch eine Zelebrierung des Frames selbst sei, dass also der gewählte Rahmen für Ford mindestens genauso wichtig ist wie sein Inhalt. Es ist der Rahmen, der das Bild überhaupt erst macht, es aus dem Lauf der Zeit und der Bewegung herausreißt und es mit Bedeutung auflädt. Und weil Ford so unglaublich gut darin war, diesen Rahmen zu setzen (und natürlich auch darin, seinen Inhalt zu komponieren), benötigte Ford kaum Schwenks oder Fahrten (er setzt sie lediglich ein, wenn er, wie bei den Überfällen der Indianer auf den fahrenden Zug, einen Eindruck von Geschwindigkeit vermitteln will). Bewegung ist bei ihm vor allem psychologisch gedacht und sie entsteht sequenziell aus dem Zusammenspiel und der Kontrastierung der Frames durch die Montage. Man beachte die grandiose Sequenz, in der sich die Schurken in einem Saloon versammeln, um dort auf den Helden David (George O’Brien) zu warten. Man sieht in kurzen Aufnahmen die Killer, wie sie Position beziehen und dann warten, die innocent bystanders, die wissen, was sie Bösewichter im Schilde führen, die Tür, durch die David in Kürze eintreten wird. Irgendwann öffnet sich die Tür, man kann eine Stecknadel fallen hören, doch es sind zunächst nur Davids Freunde, drei alte Eisenbahnarbeiter, die sofort merken, was sich da zusammenbraut. Die Szene ist unfassbar spannend und ultradynamisch, obwohl sie eben nur aus diesen statischen Aufnahmen besteht, vom Mienenspiel der Darsteller und der quälenden Geduld lebt, mit der Ford den Moment, in dem David tatsächlich eintritt, herauszögert. Vor allem aber akzentuiert diese Anlage des Films als Collage aus statischen shots den mythischen Gehalt der Geschichte. Man fühlt sich als Betrachter von THE IRON HORSE, als sei man in eine alte Höhle getreten und betrachte nun im Licht einer Taschenlampe die Zeichnungen an den Wänden, die die Menschen dort vor Hunderten von Jahren hinterlassen haben. Nur dass sich diese Bilder eben bewegen, leben und auf den größtmöglichen Effekt hin komponiert sind. Es ist unfassbar, was alles in diesen Bildern steckt, die doch auf den ersten Blick so einfach zu sein scheinen.
Daher rührt auch die Frische, die THE IRON HORSE immer noch vermittelt. Die Erzählstrategien, der Szenenaufbau, das Spiel der Darsteller, die Actionszenen mit ihren zum Teil haarsträubenden Stunts, das erwähnte Framing wirken ebenso zeitlos, wie die Verbindung von quasidokumentarischen Elementen – ein großer Teil des Films befasst sich mit der Arbeit rund um den Bau der Eisenbahnlinie – und des eigentlichen Plots, einer sich über mehrere Jahre erstreckenden Rache- und Liebesgeschichte. Es gibt wunderbare Details zu bestaunen, die nur wenig mit dem eigentlichen Plot zu tun haben, aber ihren Teil dazu beitragen, dass das Zeitporträt so ungemein reich und lebendig wirkt. Die Städte, die mit dem Vorankommen des Bauunternehmens auf- und wieder abgebaut werden, die plötzlich hoffnungsvoll aus dem Boden schießen, während andere sterben. Ein Mann malt schnell eine Null auf ein Schild, als die Eisenbahner kommen, den Grundstückspreis von 25 auf 250 Dollar anhebend. Der Richter, der in einem fahrenden Saloon Gericht hält. Das Miteinander der verschiedenen Nationalitäten. Leid und Glück, die im Gefolge der Arbeiter mitziehen und sich oftmals die Hand reichen. Nur ganz kurz sieht man einmal, wie ein Mann beerdigt wird, seine weinende Frau allein neben dem Grab zusammenbrechen, bevor alle weiterziehen. Man weiß nicht, wer das ist und was ihn das Leben gekostet hat. Aber man ahnt, was jeder einzelne damals in die Waagschale warf, um nach Westen zu kommen, und weiß, dass vielen dieses Ziel so viel wert war, dass sie darüber ihr Leben riskierten. Jeder Traum hat seine Schattenseiten. Man erkennt schon, welche Konflikte auf die noch junge Nation zukommen werden. Die Kollision zwischen dem Traum, den Leute wie David träumen, und den Ambitionen finsterer Geschäftsleute, beschäftigt nicht nur amerikanische Filmemacher bis heute.
THE IRON HORSE ist ein unglaublicher Film, ein Mammutwerk, das in einem wahren Kraftakt aus dem Nichts erschaffen wurde, aber dabei ungemein leichtfüßig und sicher wirkt. Es ist das Werk eines vollendeten Künstlers, absolut souverän im Umgang mit der Technik, die ihm wie eine Verlängerung des Körpers ist, mit der klaren Vision eines Veteranen, den nichts mehr überraschen kann. John Ford war zu diesem Zeitpunkt gerade 30 Jahre alt.
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